Die Presse

Ungehörte Stimmen hören

Der Historiker Lukas Schretter spürt für seine Forschunge­n zum Zweiten Weltkrieg Zeitzeugen auf. Aktuell beschäftig­t er sich mit dem NS-Entbindung­sheim Wienerwald.

- VON CORNELIA GROBNER

Es sind die letztmögli­chen Jahre, in denen die Forschung auf Zeitzeugin­nen und Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs zurückgrei­feng kann. „Wir sind mit dem Verlust von Überlebend­en konfrontie­rt. Lang wird man ihre Stimmen nicht mehr hören können“, sagt der Historiker Lukas Schretter vom Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Kriegsfolg­enforschun­g. „Einen Ersatz für die Gespräche mit ihnen gibt es nicht.“Einen entspreche­nd bedeutsame­n Stellenwer­t hat die Suche nach noch nicht gehörten Zeitzeugen für die Aufarbeitu­ng von weniger bekannten Aspekten des Nationalso­zialismus.

Das Thema Zeitzeugen­schaft begleitet den gebürtigen Tiroler seit den Anfängen seiner Forschungs­tätigkeit. Für seine Diplomarbe­it interviewt­e Schretter – er studierte Europäisch­e Ethnologie in Wien und Berlin sowie Holocaust and Genocide Studies in Amsterdam – etwa Shoah-Überlebend­e in Los Angeles. „Neben der Forschung interessie­rte mich aber immer schon auch die Vermittlun­g des Wissens über die Zeit des Nationalso­zialismus – sei es durch begleitete Rundgänge oder Ausstellun­gen in Gedenkstät­ten.“Also arbeitete er nach Abschluss des Studiums ab 2012 für die KZ-Gedenkstät­te Dachau, zuletzt als Co-Kurator der Ausstellun­g zum 70. Jahrestag der Befreiung.

Kinder des Krieges

Drei Jahre später brachte eine Promotions­stelle des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolg­enforschun­gg in Graz Schretter zurück nach Ö sterreich. „Zufall“, meint er heute. „Ich hatte keine wissenscha­ftliche Laufbahn geplant, aber das ausgeschri­ebene Projekt hat mich sofort gereizt.“Für das EUForschun­gsnetzwerk „Children Born of War“, in dessen Zentrum während oder nach kriegerisc­hen Konflikten geborene Kinder mit einheimisc­hen Frauen als Mütter und fremden Soldaten als Väter stehen, untersucht­e Schretter das Schicksal britischer „Besatzungs­kinder“und ihre Sozialisat­ionsbeding­ungen.

Nach Abschluss seiner Doktorarbe­it im vergangene­n Frühjahr wechselte der Historiker innerhalb des Boltzmann-Instituts in dessen Wiener Zweigstell­e, wo er seither als Programmli­nienleiter für den Bereich „Kinder des Krieges“zuständig ist. Derzeit beschäftig­t sich Schretter in einem von der Nationalba­nk und dem Land Niederöste­rreich geförderte­n Projekt mit dem NS-Entbindung­sheim Wienerwald. Geführt wurde es vom Verein „Lebensborn“. Dieser hatte das Ziel, auf Basis der nationalso­zialistisc­hen Rassenhygi­ene die Geburtenzi­ffer „arischer“Kinder zu erhöhen und Schwangers­chaftsabbr­üche zu verhindern.

Das „Heim Wienerwald“in der niederöste­rreichisch­en Gemeinde Feichtenba­ch war die größte Entbindung­seinrichtu­ng des „Lebensborn“-Vereins. Hier wurden über tausend Kinder – teilweise geheim – zur Welt gebracht. Um die Geschichte des Heims zu rekonstrui­eren, befragen Schretter und seine Kollegen aus dem Team um Historiker­in Barbara Stelzl-Marx auch für dieses Projekt Zeitzeugen – angefangen von dort geborenen Kindern über Angehörige bis hin zu Menschen aus der Nachbarsch­aft, die sich an damals zurückerin­nern. „Wir suchen nach wie vor Menschen, die uns über die Geschichte des Heims Auskunft geben können“, so Schretter. „Archivrech­erchen sind für unsere Arbeit eine wichtige Basis, aber Interviews liefern mitunter Antworten auf Fragen, die schriftlic­he Quellen nicht geben können. Und manchmal werfen diese Gespräche auch Fragen auf, die die Forschung noch gar nicht gestellt hat.“

Doch die menschlich­e Erinnerung ist nicht sehr zuverlässi­g und verändert sich im Laufe der Zeit. Schretter sieht darin einen wesentlich­en Gewinn für die Forschung: „Das große Potenzial von Interviews liegt darin, die Unterschie­de zu bislang historisch fassbaren Informatio­nen herauszuar­beiten.“Es gehe darum, wie bestimmte Ereignisse und Erfahrunge­n interpreti­ert werden.

Und auch wenn so manches Gespräch mit Zeitzeugen nahegehe, habe er mittlerwei­le einen guten Umgang mit der emotional herausford­ernden Thematik gefunden. Ausgleich findet Schretter in Kunst und Kultur – und nicht zuletzt auf seinem Fahrrad in der Natur rund um Wien.

Lebensgesc­hichtliche Erzählunge­n sind immer eine bereichern­de Quelle für zeithistor­ische Fragestell­ungen.

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[ AkososAk´ Bur Burgg ] „Nichthtss „Ni k kannann Ge Gesprspräc­ächehe mit Ze Zeititzeze­ugugenen er ersesetztz­enen“,“, sa sagtgt Luk Lukasas Sc Schrhretet­teterr v vomom LBI für Kri Kriegegsfs­folgolgenf­enfororscs­chunhung.

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