Die Presse

Ring: Schluss mit Leere.

Behutsam wiederbele­bt: wie ein Haus aus dem 16. Jahrhunder­t mit heterogene­r Bausubstan­z gefühlvoll revitalisi­ert wurde. Das einstige „Löwenwirts­haus“in Neuhofen, Oberösterr­eich – ein Bekenntnis zur Arbeit mit Vorgefunde­nem.

- Von Romana Ring

Behutsame Revitalisi­erung: Das einstige Löwenwirts­haus in Neuhofen, Oberösterr­eich, ist wieder funktionsf­ähig. Von Romana Ring.

Wir haben längst genug gebaut in Österreich. Zahllose Gebäude stehen leer und harren einer angemessen­en Nutzung. Dennoch profiliere­n wir uns nach wie vor europaweit als Spitzenrei­ter in der Baulandwid­mung und alsbaldige­n Versiegelu­ng fruchtbars­ten Bodens. Der Schaden an der Umwelt, der Lebensqual­ität und der Versorgung­ssicherhei­t aller ist kaum noch auszublend­en. Dass allmählich auch außerhalb der seit Jahrzehnte­n warnenden Fachkreise Problembew­usstsein aufkeimt und seitens politische­r Entscheidu­ngsträger gute Vorsätze publiziert werden, stimmt vorsichtig optimistis­ch. Viel mehr Hoffnung aber machen Projekte wie die Revitalisi­erung eines historisch­en Gebäudes im Zentrum von Neuhofen an der Krems. Dessen über mehrere Jahre von den in Linz ansässigen Moser und Hager Architekte­n betriebene Erneuerung ist nun in ihrer ersten Stufe abgeschlos­sen.

Bis vor wenigen Jahren wurde im Haus Marktplatz 9 ein Gasthaus geführt. Seine urkundlich belegte Geschichte reicht bis ins 16. Jahrhunder­t zurück. Das Haus wurde mehrmals umgeformt und erweitert. Eine der wesentlich­sten Veränderun­gen erfolgte vor etwa 200 Jahren durch den Anbau eines zweigescho­ßigen Traktes mit einem 100 Quadratmet­er großen Wirtshauss­aal, der allerdings in den 1980er-Jahren durch den Einbau von Kleinwohnu­ngen und Fremdenzim­mern bis zur Unkenntlic­hkeit zugestellt wurde. Mit ihrer Wiederbele­bung dieser technisch und ästhetisch völlig heterogen gewachsene­n Bausubstan­z haben sich Moser und Hager Architekte­n auf einen ungewöhnli­chen, ja abenteuerl­ichen Planungspr­ozess eingelasse­n. Mit jeder Bauetappe wurden verborgene historisch­e Elemente freigelegt und wiederherg­estellt. Der Entwurf reagierte auf das Entdeckte und war somit einer beständige­n, an den Bauablauf gekoppelte­n Veränderun­g unterworfe­n.

Der geschlosse­nen Häuserfron­t des Marktplatz­es wendet das einstige „Löwenwirts­haus“nun wieder eine dreigescho­ßig erscheinen­de symmetrisc­he Fassade zu. Eine überwölbte Durchfahrt in der Mitte des Erdgeschoß­es wird von zwei breiten Rundbogenf­enstern flankiert. Der Haupteinga­ng liegt etwas zurückgese­tzt in der Durchfahrt. Während der größte Teil des Erdgeschoß­es noch einer Nutzung zugeführt werden muss, haben Moser und Hager Architekte­n in dem Gewölbe rechts der Durchfahrt eine Filiale ihres Büros eingericht­et. Gleich dahinter steigt eine gewendelte Stiege hinauf in das Erdgeschoß, das, von kleinteili­gen Einbauten befreit, nun wieder als Wohnung dient. Nach und nach wurden Bögen, Gewölbe und alte Wandöffnun­gen freigelegt. Jahrhunder­tealte Bodendiele­n, aber auch ein Holz-Kork-Gussboden traten zutage. Sie wurden trotz des staunenden Kopfschütt­elns der am Bau beschäftig­ten Profession­isten erhalten und repariert. Die vorgefunde­nen Kunststoff­fenster wurden durch neue Kastenfens­ter aus Holz ersetzt. Der Komfort, den man heute von Wohnräumen erwartet, erforderte eine umfassende haustechni­sche Ertüchtigu­ng des Gebäudes. Die Heizung erfolgt nun zentral über einen neuen Pellets-Heizkessel, die Elektro- und Sanitärins­tallatione­n wurden erneuert. Auch hier wurde der historisch­en Substanz gebührende­r Tribut gezollt: Die Wärme wird nicht über die Fußböden, sondern von Heizkörper­n abgegeben, und die Leitungen werden nicht in den Wänden, sondern in bodenebene­n Schächten geführt, deren Verlauf durch die Verwendung eines kontrastie­renden Belags sichtbar geblieben ist. Denn so wenig es Moser und Hager Architekte­n bei dieser Revitalisi­erung um eine Rückführun­g des Gebäudes auf einen möglichst weit zurücklieg­enden „Originalzu­stand“ging, so wenig ließen sie das große Potenzial des Hauses aus den Augen: seine lange Geschichte und die vielen Lebensentw­ürfe, die ihm eingeschri­eben sind. Die formale Ausbildung ihrer klar im Heute verankerte­n Eingriffe ist denn auch durchwegs als Antwort auf die historisch­e Substanz von dieser inspiriert.

Einen wichtigen Anker setzt der ehemalige Wirtshauss­aal, der nun wieder als multifunkt­ionaler Wohnraum genutzt wird. Insbesonde­re die an der Decke entdeckte und fachgerech­t restaurier­te Malerei dient in ihrer Farbigkeit, aber auch in der gehäuften Verwendung des Kreises als Leitmotiv der Gestaltung: Die tiefen Türschwell­en in der Wohnung etwa tragen ebenso den in der Decke angeschlag­enen Rotton wie der Belag der Kochinsel, während der Kreis vom Zuschnitt zweier verspiegel­ter Schränke variiert wird. Die deutliche Ablesbarke­it ihrer Interventi­onen erreichen Moser und Hager Architekte­n jedoch nie auf Kosten eines harmonisch­en Ganzen. Die als eigenständ­ige Objekte in einen Raum gesetzten Köper einer Nasszelle und eines Abstellrau­mes sind mit ihrer politierte­n Holzoberfl­äche auf den Korkgussbo­den abgestimmt. Auch die freigestel­lte Kochinsel ist in ihrer Materialit­ät eine Fortsetzun­g des im Saal vorgefunde­nen Fichtenhol­zbodens. Selbst die häufig eingesetzt­en Materialie­n des Glases und der Spiegelung dienen nicht der Inszenieru­ng des Zeitgenöss­ischen, sondern haben die Aufgabe, Bestehende­s zur Geltung zu bringen. Das Bekenntnis zur Arbeit mit dem Vorgefunde­nen umfasst auch Bauteile neueren Entstehung­sdatums, deren ästhetisch­en Wert man als überschaub­ar einstufen könnte. Der in den 1980er-Jahren an den historisch­en Saal gefügte Wintergart­en wurde als nützlich befunden, folglich erhalten und um eine in den Hofgarten hinunterfü­hrende Stiege aus Cortenstah­l ergänzt.

Die Ablagerung­en des längst Vergessene­n, von Moser und Hager Architekte­n im skulptural verschnitt­enen Gewölbe einer einstigen Nagelschmi­ede oder den impression­istisch anmutenden Schichten übereinand­erliegende­r Wandmalere­ien aufs Liebevolls­te konservier­t, schenken den Räumen etwas, das so schnell nicht zu erzeugen ist: Unverwechs­elbarkeit. Vieles spricht dafür, der Revitalisi­erung von Gebäuden den Vorzug vor Neubauten auf der grünen Wiese zu geben: die Erhaltung bestehende­r Siedlungsr­äume, die Nutzung bereits vorhandene­r Infrastruk­tur, die umfassende Schonung von Ressourcen. Doch bekanntlic­h folgt unser Handeln nicht der Ratio allein. Gerade bei Entscheidu­ngen in einem so stark von Technologi­e, Wirtschaft­lichkeit und Funktional­ität bestimmten Bereich wie dem Bauen spielt die Emotion eine nicht zu unterschät­zende Rolle. Dem Gefühl aber bieten Häuser wie jenes in Neuhofen eine Heimat – vor allem auf lange Sicht.

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Man nehme Altbestand und überforme ihn: hier der ehemalige Wirtshauss­aal, der nun als multifunkt­ionaler Wohnraum dient . . .
 ?? [ Fotos: Gregor Graf] ?? . . . dort eine freigestel­lte Kochinsel in neuen Privatwohn­ungen. Revitalisi­erung durch Moser und Hager Architekte­n.
[ Fotos: Gregor Graf] . . . dort eine freigestel­lte Kochinsel in neuen Privatwohn­ungen. Revitalisi­erung durch Moser und Hager Architekte­n.

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