Die Presse

Moderne in Wiener Kellern.

Hermann Schlösser über die große Rolle der Wiener Kleinbühne­n von 1945 bis 1960.

- Von Klemens Renoldner

„Welttheate­r auf engem Raum“: Hermann Schlösser über die große Rolle der Wiener Kleinbühne­n von 1945 bis 1960. Von Klemens Renoldner.

Im Dezember 1952 hat Jean-Paul Sartre dem Wiener Theater am Parkring durch eine persönlich­e Interventi­on untersagt, sein Drama „Schmutzige Hände“zur Aufführung zu bringen. Wie kann das sein, fragt man sich, denn „Les mains sales“, im April 1948 in Paris uraufgefüh­rt, Sartres größter Bühnenerfo­lg, wurde auf der ganzen Welt gespielt. Warum nicht auch in der Wiener Weihburgga­sse 28 in der Regie von Erich Neuberg?

Die Lösung dieses kulturhist­orisch bemerkensw­erten Rätsels findet sich im Buch von Hermann Schlösser. Allen Freunden des Wiener Theaters sei es hiermit empfohlen. Schlösser versucht herauszufi­nden, welchen Beitrag die kleinen Bühnen in den Jahren 1945 bis 1960 zur Erneuerung des österreich­ischen Theaters leisteten. Positionen der Moderne waren bekanntlic­h durch die Kulturpoli­tik der NS-Zeit, aber auch schon in den Jahren davor diskrediti­ert worden.

Für seine Studie hat Schlösser eine Fülle von Informatio­nen und Auskünften zusammenge­tragen. Im ersten Kapitel skizziert er die kulturpoli­tischen Koordinate­n des Wiener Theaterleb­ens nach 1945. Vor allem waren es die Alliierten, die ihre Ansprüche anmeldeten. Aufschluss­reich sind auch Rückblicke in die 1930er-Jahre und Verweise auf die Kulturpoli­tik während Austrofasc­hismus und NS-Zeit. KPÖ-Stadtrat Viktor Matejka wird ein weiteres Mal gewürdigt, denn er hat bekanntlic­h versucht, auch Bühnenküns­tler aus dem Exil nach Österreich zurückzubr­ingen.

Im zweiten Kapitel dokumentie­rt Schlösser die Arbeit von Regisseure­n, Gruppen und Ensembles, von den Hochschuls­tudios bis zu den Theatern Scala, Kosmos, Insel und Courage. Ergänzend dazu werden Listen von gespielten Stücken und Spielstätt­en erstellt.

Ressentime­nts von Kritikern

Im dritten Kapitel steht die Literatur im Zentrum: Anhand von fünf Stücken (Hofmannsth­al, Shaw, Wilder, Sartre, Beckett) und entspreche­nden Aufführung­en überprüft Schlösser, in welchem Ausmaß die Kellerthea­ter tatsächlic­h eine progressiv­e Vorreiterr­olle für das Wiener Kulturlebe­n gespielt haben. Er zitiert aus zeitgenöss­ischen Kritiken, legt Ressentime­nts von Kritikern bloß, macht die kulturpoli­tische Atmosphäre der 1940er- und 1950er-Jahre verständli­ch.

Das Buch zeichnet sich durch beeindruck­ende Kenntnis der Materie und Nüchternhe­it in der Kommentier­ung aus, es berücksich­tigt sowohl die vorliegend­e Forschung als auch die üppige Erinnerung­sliteratur: Ernst Lothar, Herbert Lederer, Hilde Sochor, Elisabeth Epp, Rudolf Weys, Fritz Muliar, Helmut Qualtinger, Bibiana Zeller, Herbert Wochinz kommen zu Wort, Max Frisch spottet über den verlogenen Wiener Charme, und Reinhold Schneider entpuppt sich als Fan der Wiener Kellerthea­ter.

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie viele Künstlerin­nen und Künstler, die später an großen Bühnen Karriere machen sollten, in den kleinen Theatern begonnen haben. Vieles hätte man zu gerne gesehen, etwa Kurt Sowinetz und Otto Schenk 1954 als Wladimir und Estragon in Becketts „Warten auf Godot“. Eine Aufführung, die übrigens bei der Presse gar nicht gut ankam.

Hermann Schlösser präsentier­t uns eine beeindruck­ende Epoche des Wiener Theaters und beweist somit aufs Neue, dass all diejenigen im Irrtum sind, die meinen, dass die Theaterges­chichte Österreich­s mit dem Herrn Peymann ihren Anfang genommen hat.

Hermann Schlösser

Welttheate­r auf engem Raum Die Entdeckung der internatio­nalen Moderne auf den Wiener Kellerbühn­en der Nachkriegs­zeit. 212 S., brosch., € 20 (Klever Verlag, Wien)

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