Während der Ministerkrise
Wien, 26. Jänner 1871. Wieder sind zwanzig Namen für das neue Ministerium genannt worden, und nach kurzem Spiel damit hat die officiöse Sibylle alle Combinationen dementirt. Wir Oesterreicher sind mit der Resignation indischer Büßer ausgerüstet worden, wir werden also geduldig harren, bis das neue Ministergestirn an unserem politischen Himmel aufgehen wird. Nur klage man nicht über diese Resignation, die man großzieht; denn ist etwas geeignet, die Abstumpfung zu fördern, so ist es das officiöse Spiel mit den Zukunfts-Ministerlisten, das von einer grenzenlosen Entschlußlosigkeit zeugt.
Hätte man den Eindruck prüfen wollen, den einzelne Combinationen auf die öffentliche Meinung üben würden, so durfte man nicht von Stunde zu Stunde die Ministerlisten wechseln. Auch waren alle Namen viel zu leicht, als daß ihre Proclamirung einen Eindruck üben konnte.
Nur der politische Charakter des Einen der Genannten mag schwer genug, um eine nachhaltige Bewegung in der öffentlichen Meinung hervorzubringen und so dem Völkerpsychologen Gelegenheit zu interessanten Beobachtungen zu schaffen: Schmerling. War es an und für sich schon merkwürdig, daß dieser Name plötzlich wieder in den Vordergrund trat, so war noch überraschender der Eindruck, den der Name hervorbrachte. Wir haben schon mehrfach mitgetheilt, daß die Berufung Schmerling’s durchaus unwahrscheinlich und daß die Uebernahme eines Portefeuilles seitens Schmerling’s noch unwahrscheinlicher ist. Die Erörterung dieser Candidatur hat heute kein politisches Interesse, aber die Aufnahme, welche die Candidatur im Volke und in der Verfassungspartei gefunden, ist ein so interessanter psychologischer Vorgang, daß sich eine kühle, parteilose Beobachtung lohnt. Damals schrieb die