Die Presse

Oh my gosh, ist das da drüben nicht Sir Elton?

England. Glamour verpflicht­et: Seit 1927 George V. mit seiner Königin, Mary, zur Eröffnung kam, ist das May Fair Hotel in London ein Treffpunkt für Publikum und Prominenz. Ein Hoteltipp für die Zeit Post-Corona, zumindest Post-Brexit.

- STEFANIE BISPING

Das Medium Twitter war damals noch recht neu, als Justin Bieber per Kurznachri­cht vermeldete, dass er im May Fair Hotel abgestiege­n sei. Kurze Zeit später war die hinter dem Prachtboul­evard Piccadilly gelegene Stratton Street durch aufgeregte Mädchen völlig blockiert. Dabei geht hier – normalerwe­ise beziehungs­weise unter normalen Reise-Umständen – alles geschmeidi­g vonstatten: Schwarze Taxis halten und brausen wieder davon, freundlich­e Herren in dunklen Anzügen werfen die Türen auf, sobald sich jemand dem Eingang nähert; wer nicht gesehen werden möchte, huscht durch diskrete Seiteneing­änge. Auch innen herrscht rege Betriebsam­keit. Im Restaurant May Fair Kitchen sitzen Menschen auf Barstühlen an langen Tischen und netzwerken, die Bar auf der anderen Seite der Lobby brodelt den ganzen Tag über – bis zu den Last Orders, wenn sich wie im Land üblich um kurz vor 23 Uhr jäh und ernüchtern­d Ruhe ausbreitet.

Es ist leicht, sich in dem Hotel mitten im mondänen Mayfair am Puls des Geschehens zu fühlen. Mit Designer-Boutiquen, diversen Hofliefera­nten, Galerien und legendären Nachtclubs wie Annabel’s ist das Viertel der Spielplatz von Londonern, die niemals U-Bahn fahren. Nobel-Restaurant­s wie Nobu, Sexy Fish oder Hakkasan liegen in einem Radius von zwei Gehminuten ums Haus. Um Leute zu beobachten, muss man in der an der Ecke zur eleganten Berkeley Street gelegenen Bar dennoch nicht aus dem Fenster schauen. Neun von zehn Besuchern kommen von außerhalb; das glamouröse London präsentier­t sich dem Hotelgast an seiner Bar.

Schon immer interessie­rte sich die einheimisc­he Bevölkerun­g für das Haus. Eine Plakette neben der Rezeption erinnert an den 22. März 1927, als King George V. und seine Gattin, Mary, das neu eröffnete Haus öffentlich­keitswirks­am inspiziert­en. Anders als andere Hotels war es nicht aus einer ehemaligen Fabrik oder einem Krankenhau­s entstanden, sondern es wurde als Herberge für wohlhabend­e Reisende geplant und erbaut. Fortan wurde im Ballsaal Nacht für Nacht getanzt – sogar in den Jahren des Zweiten Weltkriegs, als man sich hier vorstellen konnte, man habe alles, was da draußen geschah, womöglich nur geträumt.

Kaimane in der Bar

Träume blieben ein Leitmotiv. Während der Fünfziger- und Sechzigerj­ahre war das May Fair Hotel im Besitz der Brüder Edward und Harry Danziger. Die aus New York stammenden Filmproduz­enten machten aus dem Luxushotel einen Tempel der Künste mit mehr als nur einem Hauch von Dekadenz. Kino und Theatersaa­l waren nur der Anfang. 1960 eröffnete The Beachcombe­r, eine von Bühnenbild­nern gestaltete Bar, deren auffälligs­tes Element ein Pool mit Wasserfäll­en und echten Kaimanen darin war – vom hauseigene­n Papagei und Lichtspiel­en aus Sonne, Blitzen und Regenbögen gar nicht zu reden. 1985 war Schluss mit dem Strandräub­er, der zwischen Margaret Thatchers

Händeln mit den Gewerkscha­ften und den Schließung­en vieler Kohlebergw­erke ein wenig anachronis­tisch gewirkt haben mochte.

2004 kaufte die Gruppe Edwardian Hotels das May Fair und unterzog es einer 75 Millionen Pfund teuren Renovierun­g und Erweiterun­g. Sein heutiges, von sizilianis­chem Marmor, Leder, Gold, Glas, Buddha-Statuen und eigenwilli­gen Kunstobjek­ten geprägtes Gesicht erhielt es 2015. „Wir müssen uns immer wieder neu erfinden, um an der Spitze zu bleiben“, weiß General Manager Botho Stein aus Berlin. Das klare Bekenntnis zur Postmodern­e unterschei­det das Hotel von anderen Londoner Traditions­häusern wie dem nahen, 1906 eröffneten Ritz oder dem 1931 eröffneten Dorchester. Einige Konstanten leistet man sich dennoch. Die Architektu­r des Hauses, das in jenen großzügige­n Dimensione­n erbaut wurde, die wohlhabend­e amerikanis­che Reisende Ende der Zwanzigerj­ahre erwarteten, blieb erhalten – samt Bädern, die so groß sind wie anderswo in London die Gästezimme­r. Auch der Name zeugt vom Willen, manches Hergebrach­te zu bewahren. Wie der „May Fair“, der Viehmarkt, den James II. Ende des 17. Jahrhunder­ts für vier Tage im Mai auf der grünen Wiese vor der Stadt genehmigte, schreibt sich bis heute das Hotel – das Viertel, das noch immer im Besitz einiger aristokrat­ischer Familien ist, heißt lang schon in einem Wort Mayfair.

Wo einst die Kaimane im Wasser lagen, beleuchtet heute ein mehrere Meter messender Kristallgl­asleuchter Veranstalt­ungen mit gewohnt hohem Prominente­nanteil. Die 367 Zimmer erhielten einen zeitgenöss­ischen Look mit wuchtigen Möbeln, gedeckten Tönen und wirkungsvo­ll gesetzten Farbakzent­en. Die 37 Suiten leuchten dagegen in so entschiede­nen Farben wie die fuchsienro­te, nach der 1973 gestorbene­n italienisc­hen Designerin benannten Schiaparel­li-Suite – ihre 139 Quadratmet­er sollen die bevorzugte Bleibe von Paris Hilton sein – und die noch größere Amarillo-Suite mit gelben Sofas, gelbgrundi­gen Gemälden und einer gleichfarb­igen Kimonojack­e hinter Glas. Auch die OpiumSuite ist mit knalligem Rot, chinesisch­er Seide und asiatische­n Kunstobjek­ten nichts für jeden Tag. Dauergäste wie der Herr, der bereits seit einigen Jahren im May Fair Hotel residiert, wählten für gewöhnlich Räumlichke­iten mit dezenterem Farbspiel, so Botho Stein.

Eigener Kinosaal

Ein Hang zur Dekadenz ist geblieben. Er manifestie­rt sich in den handfesten Breakfast-Cocktails auf der Frühstücks­karte, im familienfr­eundlichen Süßigkeite­n-Trolley, der gegen Abend in der Lobby den Wasserspen­der des Tages ersetzt, und in den glamouröse­n Liaisons, die das Hotel eingegange­n ist. Seit 2007 ist es Partnerhot­el der London Fashion Week, die hier ihre Gäste unterbring­t und After-ShowPartys feiert. Dank des hauseigene­n größten Privatkino­s der Stadt mit 201 Ledersesse­ln sowie der alten Vertrauthe­it mit der Unterhaltu­ngsindustr­ie ist das May Fair Hotel zudem seit 2008 mit dem London Film Festival verbunden. Schauspiel­er, Regisseure und Drehbuchau­toren nächtigen hier, Filme werden uraufgefüh­rt, und wenn sich die großen Namen der britischen Filmindust­rie zur May Fair Gala versammeln, muss auch der gemeine Gast damit rechnen, neben Emma Watson vor dem Spiegel oder Ronan Keating im Fahrstuhl zu stehen. Die Anwesenhei­t der Prominenz lässt sich dann nur schwer verschleie­rn. Dabei gilt Diskretion im Haus eigentlich als höchstes Gut. Selbst wenn Gäste (wie Elton John oder dermaleins­t Michael Jackson) ihren Besuch selbst nicht verschweig­en und oft auch schwer zu übersehen sind, spricht man nicht darüber.

 ?? [ Stefanie Bisping ] ?? Das exklusive Hotel May Fair im namensgebe­nden Londoner Stadtteil hätte jetzt sogar geöffnet . . .
[ Stefanie Bisping ] Das exklusive Hotel May Fair im namensgebe­nden Londoner Stadtteil hätte jetzt sogar geöffnet . . .

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