Oh my gosh, ist das da drüben nicht Sir Elton?
England. Glamour verpflichtet: Seit 1927 George V. mit seiner Königin, Mary, zur Eröffnung kam, ist das May Fair Hotel in London ein Treffpunkt für Publikum und Prominenz. Ein Hoteltipp für die Zeit Post-Corona, zumindest Post-Brexit.
Das Medium Twitter war damals noch recht neu, als Justin Bieber per Kurznachricht vermeldete, dass er im May Fair Hotel abgestiegen sei. Kurze Zeit später war die hinter dem Prachtboulevard Piccadilly gelegene Stratton Street durch aufgeregte Mädchen völlig blockiert. Dabei geht hier – normalerweise beziehungsweise unter normalen Reise-Umständen – alles geschmeidig vonstatten: Schwarze Taxis halten und brausen wieder davon, freundliche Herren in dunklen Anzügen werfen die Türen auf, sobald sich jemand dem Eingang nähert; wer nicht gesehen werden möchte, huscht durch diskrete Seiteneingänge. Auch innen herrscht rege Betriebsamkeit. Im Restaurant May Fair Kitchen sitzen Menschen auf Barstühlen an langen Tischen und netzwerken, die Bar auf der anderen Seite der Lobby brodelt den ganzen Tag über – bis zu den Last Orders, wenn sich wie im Land üblich um kurz vor 23 Uhr jäh und ernüchternd Ruhe ausbreitet.
Es ist leicht, sich in dem Hotel mitten im mondänen Mayfair am Puls des Geschehens zu fühlen. Mit Designer-Boutiquen, diversen Hoflieferanten, Galerien und legendären Nachtclubs wie Annabel’s ist das Viertel der Spielplatz von Londonern, die niemals U-Bahn fahren. Nobel-Restaurants wie Nobu, Sexy Fish oder Hakkasan liegen in einem Radius von zwei Gehminuten ums Haus. Um Leute zu beobachten, muss man in der an der Ecke zur eleganten Berkeley Street gelegenen Bar dennoch nicht aus dem Fenster schauen. Neun von zehn Besuchern kommen von außerhalb; das glamouröse London präsentiert sich dem Hotelgast an seiner Bar.
Schon immer interessierte sich die einheimische Bevölkerung für das Haus. Eine Plakette neben der Rezeption erinnert an den 22. März 1927, als King George V. und seine Gattin, Mary, das neu eröffnete Haus öffentlichkeitswirksam inspizierten. Anders als andere Hotels war es nicht aus einer ehemaligen Fabrik oder einem Krankenhaus entstanden, sondern es wurde als Herberge für wohlhabende Reisende geplant und erbaut. Fortan wurde im Ballsaal Nacht für Nacht getanzt – sogar in den Jahren des Zweiten Weltkriegs, als man sich hier vorstellen konnte, man habe alles, was da draußen geschah, womöglich nur geträumt.
Kaimane in der Bar
Träume blieben ein Leitmotiv. Während der Fünfziger- und Sechzigerjahre war das May Fair Hotel im Besitz der Brüder Edward und Harry Danziger. Die aus New York stammenden Filmproduzenten machten aus dem Luxushotel einen Tempel der Künste mit mehr als nur einem Hauch von Dekadenz. Kino und Theatersaal waren nur der Anfang. 1960 eröffnete The Beachcomber, eine von Bühnenbildnern gestaltete Bar, deren auffälligstes Element ein Pool mit Wasserfällen und echten Kaimanen darin war – vom hauseigenen Papagei und Lichtspielen aus Sonne, Blitzen und Regenbögen gar nicht zu reden. 1985 war Schluss mit dem Strandräuber, der zwischen Margaret Thatchers
Händeln mit den Gewerkschaften und den Schließungen vieler Kohlebergwerke ein wenig anachronistisch gewirkt haben mochte.
2004 kaufte die Gruppe Edwardian Hotels das May Fair und unterzog es einer 75 Millionen Pfund teuren Renovierung und Erweiterung. Sein heutiges, von sizilianischem Marmor, Leder, Gold, Glas, Buddha-Statuen und eigenwilligen Kunstobjekten geprägtes Gesicht erhielt es 2015. „Wir müssen uns immer wieder neu erfinden, um an der Spitze zu bleiben“, weiß General Manager Botho Stein aus Berlin. Das klare Bekenntnis zur Postmoderne unterscheidet das Hotel von anderen Londoner Traditionshäusern wie dem nahen, 1906 eröffneten Ritz oder dem 1931 eröffneten Dorchester. Einige Konstanten leistet man sich dennoch. Die Architektur des Hauses, das in jenen großzügigen Dimensionen erbaut wurde, die wohlhabende amerikanische Reisende Ende der Zwanzigerjahre erwarteten, blieb erhalten – samt Bädern, die so groß sind wie anderswo in London die Gästezimmer. Auch der Name zeugt vom Willen, manches Hergebrachte zu bewahren. Wie der „May Fair“, der Viehmarkt, den James II. Ende des 17. Jahrhunderts für vier Tage im Mai auf der grünen Wiese vor der Stadt genehmigte, schreibt sich bis heute das Hotel – das Viertel, das noch immer im Besitz einiger aristokratischer Familien ist, heißt lang schon in einem Wort Mayfair.
Wo einst die Kaimane im Wasser lagen, beleuchtet heute ein mehrere Meter messender Kristallglasleuchter Veranstaltungen mit gewohnt hohem Prominentenanteil. Die 367 Zimmer erhielten einen zeitgenössischen Look mit wuchtigen Möbeln, gedeckten Tönen und wirkungsvoll gesetzten Farbakzenten. Die 37 Suiten leuchten dagegen in so entschiedenen Farben wie die fuchsienrote, nach der 1973 gestorbenen italienischen Designerin benannten Schiaparelli-Suite – ihre 139 Quadratmeter sollen die bevorzugte Bleibe von Paris Hilton sein – und die noch größere Amarillo-Suite mit gelben Sofas, gelbgrundigen Gemälden und einer gleichfarbigen Kimonojacke hinter Glas. Auch die OpiumSuite ist mit knalligem Rot, chinesischer Seide und asiatischen Kunstobjekten nichts für jeden Tag. Dauergäste wie der Herr, der bereits seit einigen Jahren im May Fair Hotel residiert, wählten für gewöhnlich Räumlichkeiten mit dezenterem Farbspiel, so Botho Stein.
Eigener Kinosaal
Ein Hang zur Dekadenz ist geblieben. Er manifestiert sich in den handfesten Breakfast-Cocktails auf der Frühstückskarte, im familienfreundlichen Süßigkeiten-Trolley, der gegen Abend in der Lobby den Wasserspender des Tages ersetzt, und in den glamourösen Liaisons, die das Hotel eingegangen ist. Seit 2007 ist es Partnerhotel der London Fashion Week, die hier ihre Gäste unterbringt und After-ShowPartys feiert. Dank des hauseigenen größten Privatkinos der Stadt mit 201 Ledersesseln sowie der alten Vertrautheit mit der Unterhaltungsindustrie ist das May Fair Hotel zudem seit 2008 mit dem London Film Festival verbunden. Schauspieler, Regisseure und Drehbuchautoren nächtigen hier, Filme werden uraufgeführt, und wenn sich die großen Namen der britischen Filmindustrie zur May Fair Gala versammeln, muss auch der gemeine Gast damit rechnen, neben Emma Watson vor dem Spiegel oder Ronan Keating im Fahrstuhl zu stehen. Die Anwesenheit der Prominenz lässt sich dann nur schwer verschleiern. Dabei gilt Diskretion im Haus eigentlich als höchstes Gut. Selbst wenn Gäste (wie Elton John oder dermaleinst Michael Jackson) ihren Besuch selbst nicht verschweigen und oft auch schwer zu übersehen sind, spricht man nicht darüber.