Diese verflixte Skisaison: Im Osten voll, im Westen leer
Österreich. Dieser Winter ist eine permanente Ausnahmesituation. Die Sehnsucht der Stadtmenschen nach Natur und Freiheit sorgt im Osten für hochsaisonartige Verhältnisse, während im Westen die Mischung aus Neuschnee und leeren Pisten fast surreal wirkt.
In diesen ausgesprochen ungemütlichen Zeiten liest und hört man oft von der Polarisierung der Gesellschaft, die von der Pandemie angetrieben wird. Unglücklicherweise betrifft das auch die österreichischen Berge. Und die können nun wirklich nichts dafür. Wer sich heute von Wien aus auf den Weg macht in Richtung Alpinerlebnis an einschlägigen Orten wie dem Semmering oder etwas weiter, dem Kreischberg, erlebt Staus bei der Anreise und volle Parkplätze wie zu Hause.
Man ist halt nicht allein als eingesperrter Städter mit der Sehnsucht nach Luft und Bewegung, nach Ski- und Rodelpartien, auch wenn sich der Einkehrschwung und die Brettljause in der Bauernstube nicht ausgehen. Die üppigen Schneefälle im Dezember in Kärnten und Osttirol haben diese Sehnsucht noch beflügelt. Einfach ist es nicht, sich an diese Verhältnisse zu gewöhnen. An einem Januarwochenende waren am Samstag 2250 Besucher am Kreischberg, wurden alle Zufahrten gesperrt, obwohl eigentlich 4000 Gäste erlaubt waren. Ein Problem ist, dass es Abstandsregeln gibt, mit denen viele Dinge wie der Ticketkauf und das Anstehen am Lift schwerfälliger und langsamer ablaufen.
Schweigen im Schnee
Solche Verhältnisse kennt Balthasar Sieberer in Hopfgarten in Tirol nicht. Die Saison ist für den Skischulinhaber ein Komplettausfall. Dafür sind die Pisten an der Hohen Salve nach den üppigen Schneefällen der letzten Tage in traumhaftem Zustand. Und dazu noch leer. „Es sind nur ein paar Einheimische unterwegs, Urlauber sind ja keine da, weil die Hotels alle zu sind“, sagt er.
Ein paar Leute aus Bayern, die sich über die Grenze getraut haben oder einen Zweitwohnsitz in Tirol haben, trifft man zuweilen in der
Seilbahnkabine. Und die sind auffallend ruhig, reden nichts, damit man sie nicht als Deutsche erkennt. Tagesausflügler aus der Stadt gibt es kaum. Innsbruck ist weit weg, und den Münchnern hat es ihr Ministerpräsident verboten. „Heute kannst du neben der Piste im Tiefschnee fahren und im jungfräulichen Schnee deine Spur ziehen. Das gibt’s sonst überhaupt nicht“, verrät Sieberer noch.
Im Osten sind die Berge an Wochenenden überlaufen. Im Westen ist es trotz Neuschnee fast leer, man reibt sich verwundert die Augen, weil es solche Verhältnisse eigentlich gar nicht gibt, außer in Werbespots von Skigebieten und Skiherstellern.
Ansturm im Wald
Dieser Skiwinter ist voller Eigenarten und Widersprüche. In Tirol oder im Salzburgerland laufen in vielen Gebieten Lifte nur teilweise, weil sich der Vollbetrieb mit derart wenigen Leuten kaum lohnt. Kleinere Gebiete schließen erst gar nicht auf.
Der Einheimische und der Stadtmensch suchen nach Alternativen. Da boomt dann die Skitour noch sehr viel mehr, als es in den vergangenen Jahren schon der Fall war. „Gerade mit Corona merkt man sehr stark, dass viele Leute aus der Stadt kommen und wenig Erfahrung haben“, sagt Bezirksjägermeister Jörg Regner aus dem Murtal. Viele von ihnen suchen gerade die einsamen Hänge, machen ihre Touren auch bei Nacht mit Stirnlampen und scheuchen so das Wild auf, das bei der Flucht unnötig viel Energie verbraucht. Manche, so Regner, gehen dabei so weit, dass sie mangels Unterkunft verbotenerweise ein Iglu am Berg aufbauen. Nicht selten sind die Tourenausrüstungen schon ausverkauft. Und wer besonders Pech hat, der hat sich selbige bestellt, die nun irgendwo lagert, weil das Sportgeschäft nicht öffnen und verkaufen darf.
Zu den Corona-Nebenwirkungen gehört auch, dass der einheimische Wintersportexperte mangels Kundschaft nicht viel mehr tun kann, als selbst skifahren oder langlaufen zu gehen, und dabei auf Menschen trifft, die er sonst nur aus der Zeitung oder vom Stammtisch kennt. Es kommen auch Leute, deren ausgeprägte Bergsehnsucht nicht ohne unfreiwillige Nebenwirkungen ausgelebt wird und die Bilder im Kopf haben, die viel mit Werbung und wenig mit der Realität zu tun haben. Da kursieren Fotos und Videos in den sozialen Netzen von Tourenneulingen, die sich krampfhaft bemühen, ohne Felle den Berg hinaufzukraxeln. Oder von einem deutschen Familienvater, der sich von seinem Navi Richtung Gipfel lenken ließ, bis sein SUV in den Graben sackte. Oder ein anderer, den sein Navi mit dem Auto an der Zugspitze direkt auf die Skipiste schickte. Es wird höchste Zeit, dass das Leben in den Bergen wieder normal wird.