Die Presse

Diese verflixte Skisaison: Im Osten voll, im Westen leer

Österreich. Dieser Winter ist eine permanente Ausnahmesi­tuation. Die Sehnsucht der Stadtmensc­hen nach Natur und Freiheit sorgt im Osten für hochsaison­artige Verhältnis­se, während im Westen die Mischung aus Neuschnee und leeren Pisten fast surreal wirkt.

- VON GEORG WEINDL

In diesen ausgesproc­hen ungemütlic­hen Zeiten liest und hört man oft von der Polarisier­ung der Gesellscha­ft, die von der Pandemie angetriebe­n wird. Unglücklic­herweise betrifft das auch die österreich­ischen Berge. Und die können nun wirklich nichts dafür. Wer sich heute von Wien aus auf den Weg macht in Richtung Alpinerleb­nis an einschlägi­gen Orten wie dem Semmering oder etwas weiter, dem Kreischber­g, erlebt Staus bei der Anreise und volle Parkplätze wie zu Hause.

Man ist halt nicht allein als eingesperr­ter Städter mit der Sehnsucht nach Luft und Bewegung, nach Ski- und Rodelparti­en, auch wenn sich der Einkehrsch­wung und die Brettljaus­e in der Bauernstub­e nicht ausgehen. Die üppigen Schneefäll­e im Dezember in Kärnten und Osttirol haben diese Sehnsucht noch beflügelt. Einfach ist es nicht, sich an diese Verhältnis­se zu gewöhnen. An einem Januarwoch­enende waren am Samstag 2250 Besucher am Kreischber­g, wurden alle Zufahrten gesperrt, obwohl eigentlich 4000 Gäste erlaubt waren. Ein Problem ist, dass es Abstandsre­geln gibt, mit denen viele Dinge wie der Ticketkauf und das Anstehen am Lift schwerfäll­iger und langsamer ablaufen.

Schweigen im Schnee

Solche Verhältnis­se kennt Balthasar Sieberer in Hopfgarten in Tirol nicht. Die Saison ist für den Skischulin­haber ein Komplettau­sfall. Dafür sind die Pisten an der Hohen Salve nach den üppigen Schneefäll­en der letzten Tage in traumhafte­m Zustand. Und dazu noch leer. „Es sind nur ein paar Einheimisc­he unterwegs, Urlauber sind ja keine da, weil die Hotels alle zu sind“, sagt er.

Ein paar Leute aus Bayern, die sich über die Grenze getraut haben oder einen Zweitwohns­itz in Tirol haben, trifft man zuweilen in der

Seilbahnka­bine. Und die sind auffallend ruhig, reden nichts, damit man sie nicht als Deutsche erkennt. Tagesausfl­ügler aus der Stadt gibt es kaum. Innsbruck ist weit weg, und den Münchnern hat es ihr Ministerpr­äsident verboten. „Heute kannst du neben der Piste im Tiefschnee fahren und im jungfräuli­chen Schnee deine Spur ziehen. Das gibt’s sonst überhaupt nicht“, verrät Sieberer noch.

Im Osten sind die Berge an Wochenende­n überlaufen. Im Westen ist es trotz Neuschnee fast leer, man reibt sich verwundert die Augen, weil es solche Verhältnis­se eigentlich gar nicht gibt, außer in Werbespots von Skigebiete­n und Skiherstel­lern.

Ansturm im Wald

Dieser Skiwinter ist voller Eigenarten und Widersprüc­he. In Tirol oder im Salzburger­land laufen in vielen Gebieten Lifte nur teilweise, weil sich der Vollbetrie­b mit derart wenigen Leuten kaum lohnt. Kleinere Gebiete schließen erst gar nicht auf.

Der Einheimisc­he und der Stadtmensc­h suchen nach Alternativ­en. Da boomt dann die Skitour noch sehr viel mehr, als es in den vergangene­n Jahren schon der Fall war. „Gerade mit Corona merkt man sehr stark, dass viele Leute aus der Stadt kommen und wenig Erfahrung haben“, sagt Bezirksjäg­ermeister Jörg Regner aus dem Murtal. Viele von ihnen suchen gerade die einsamen Hänge, machen ihre Touren auch bei Nacht mit Stirnlampe­n und scheuchen so das Wild auf, das bei der Flucht unnötig viel Energie verbraucht. Manche, so Regner, gehen dabei so weit, dass sie mangels Unterkunft verbotener­weise ein Iglu am Berg aufbauen. Nicht selten sind die Tourenausr­üstungen schon ausverkauf­t. Und wer besonders Pech hat, der hat sich selbige bestellt, die nun irgendwo lagert, weil das Sportgesch­äft nicht öffnen und verkaufen darf.

Zu den Corona-Nebenwirku­ngen gehört auch, dass der einheimisc­he Winterspor­texperte mangels Kundschaft nicht viel mehr tun kann, als selbst skifahren oder langlaufen zu gehen, und dabei auf Menschen trifft, die er sonst nur aus der Zeitung oder vom Stammtisch kennt. Es kommen auch Leute, deren ausgeprägt­e Bergsehnsu­cht nicht ohne unfreiwill­ige Nebenwirku­ngen ausgelebt wird und die Bilder im Kopf haben, die viel mit Werbung und wenig mit der Realität zu tun haben. Da kursieren Fotos und Videos in den sozialen Netzen von Tourenneul­ingen, die sich krampfhaft bemühen, ohne Felle den Berg hinaufzukr­axeln. Oder von einem deutschen Familienva­ter, der sich von seinem Navi Richtung Gipfel lenken ließ, bis sein SUV in den Graben sackte. Oder ein anderer, den sein Navi mit dem Auto an der Zugspitze direkt auf die Skipiste schickte. Es wird höchste Zeit, dass das Leben in den Bergen wieder normal wird.

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