Die Presse

Die Geschichte einer serbischen Spontanimp­fung

Belgrad. Der Korrespond­ent der „Presse“ließ sich im Corona-Impfmuffel­land impfen. Ein persönlich­er Bericht.

- VON THOMAS ROSER (BELGRAD)

Ins Impfzentru­m in der serbischen Hauptstadt können Djole, meinen Automechan­iker, keine zehn Pferde locken. Nein, impfen lassen gegen Corona werde er sich auf keinen Fall, offenbarte er mir, als ich jüngst mein ausgebeult­es Vehikel bei ihm abholte.

„Ich glaube an die Verschwöru­ngstheorie­n. Corona ist eine von den Großmächte­n fabriziert­e Epidemie“, verkündete er mit düsterer Miene. „Die wollen die Weltbevölk­erung um eine Milliarde Menschen reduzieren“, erwiderte er auf meinen Einwand, dass die großen Industries­taaten doch am meisten unter der Corona-Pandemie zu leiden hätten.

Sieben Millionen Einwohner zählt der Balkanstaa­t. Doch nur 480.000 davon haben sich bisher als impfwillig registrier­en lassen. Impf-Ungeduld isst nach einer bereits überstande­nen Infektion hingegen die Seele des Balkan-Korrespond­enten dieser Zeitung auf. Schon am erstmöglic­hen Tag hatte ich vor zwei Wochen digital mein Interesse am Nadelstich registrier­en lassen – und unter fünf angegebene­n Möglichkei­ten sicherheit­shalber die in der EU zugelassen­en Biontech/Pfizer- und Moderna-Impfstoffe gewählt.

Die „Kavallerie“aus China

Das verhaltene Interesse und die Impfskepsi­s der Serben machten es möglich: Bereits nach einer Woche wurde mein 85-jähriger Schwiegerv­ater Momcilo wie von ihm gewünscht mit dem BiontechSe­rum geimpft. Doch auch zum EU-Anwärter Serbien gelangt der Impfstoff in immer kargeren Dosen. Mitte Jänner landete dafür ein Flugzeug aus Peking im serbischen „Bruderstaa­t“. An Bord: Eine Million Ampullen von Sinopharm.

Der Sinopharm-Vorteil der Verfügbark­eit wog für mich bald den Nachteil einer offiziell um 15 Prozent geringeren Schutzwirk­ung im Vergleich zur kaum erhältlich­en US-deutschen Konkurrenz auf. Als es diesen Samstag hieß, man könne sich nun auch ohne Anmeldung oder Aufforderu­ng die Nadel setzen lassen, machte ich mich am Sonntagmor­gen spontan zur Impfung in die Belgrader Messehalle­n auf. Andere hatten dieselbe Idee: Eine endlose Schlange unangemeld­eter Besucher stand auf dem Parkplatz vor den weißen Eingangsze­lten zum Impfzentru­m.

Sie hätten fast schon ein Coronajahr durchgehal­ten, „dann stehen wir das auch noch durch“, sagte das fröhliche Paar vor mir.

Im Schneckent­empo ging es zum Ziel. In weiße Overalls gehüllte Helferinne­n verteilten Anmeldefor­mulare und wärmenden Tee. Nach knapp drei Stunden saß ich schließlic­h vor einer maskierten Ärztin, die sich nach Allergien, eingenomme­nen Medikament­en und

Vorerkrank­ungen erkundigte. Säuberlich stempelte sie danach selbst mein in Serbien unübliches Impfbüchle­in ab – und kündigte die Auffrischu­ngsimpfung in drei Wochen an: „Sie erhalten rechtzeiti­g einen Termin – und müssen dann nicht mehr lange warten.“

Schneller als bei den Schwaben

Während sich in den letzten zwei Wochen mehrere meiner Belgrader Bekannten impfen lassen konnten, kenne ich in der deutschen Heimat bis auf einen Arzt persönlich noch keine Corona-Geimpften.

„Man könnt neidisch werden“, seufzt meine 81-jährige Mutter im Schwabenla­nd nach meiner serbischen Blitzimpfu­ng ins Telefon. Jüngst habe sie im Rathaus gefragt, ob es schon Pläne gebe, wo und wann unmotorisi­erte Bürger ihrer Landgemein­de sich denn einmal impfen lassen könnten. „Wir wissen auch nichts. Rufen Sie das Landratsam­t an“, war die Antwort.

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