„Man ließ sie im Stich“
Literatur. Alaa al-Aswani, Romancier von Weltruhm, hat einen Roman über die Revolution in Ägypten verfasst, an der er beteiligt war. Im New Yorker Exil sprach er mit der „Presse“.
VON ANNE-CATHERINE SIMON
Dass ein arabischsprachiger Roman ein weltweiter Bestseller wird, geschieht nicht alle Jahre. Es passierte Anfang des Jahrtausends mit „Der Jakubijan-ˆBau“über ein Haus in Kairo und seine Bewohner (in gewisser Weise eine ägyptische „Strudlhofstiege“). Seitdem ist der Name des Schriftstellers Alaa al-Aswani weit außerhalb seiner Heimat bekannt. Und weit außerhalb ist der 63-jährige Autor mittlerweile auch selbst. Er hat seit 2018 keinen ägyptischen Boden betreten, in Kairo läuft ein Prozess gegen ihn wegen Beleidigung der Staatsmacht. Zum zehnten Jahrestag der Ägyptischen Revolution erscheint jetzt auf Deutsch sein Roman „Die Republik der Träumer“. Wieder entwirft al-Aswani, wie im Grunde in jedem seiner Bücher, anhand unterschiedlichster parallel geführter Schicksale ein Bild der ägyptischen Gesellschaft – dazu nun eines der Revolution. Können die mit meisterhaftem Sarkasmus beschriebene Korruption und die religiöse Heuchelei tatsächlich so weit gehen?, fragt man sich beim Lesen. Und soll man „Die Republik der Träumer“als dokumentarischen, als Schlüsselroman lesen?
Die Presse: Der Geheimdienstchef, die Moderatorin und der Fernsehscheich, der zum Revolutionär werdende ältere Schauspieler und der reiche Firmenchef mit kommunistischer Vergangenheit, die jungen Protagonisten – wie sehr sind sie von realen Personen inspiriert? Alaa al-Aswani: Alle Figuren sind von realen Personen inspiriert, obwohl ich natürlich Dinge verändert habe. Die Idee kam mir schon während der Revolution, aber ich brauchte Zeit, Distanz zum Geschehen. Erst sechs Jahre später konnte ich anfangen. Mit Porträts wie dem des Geheimdienstchefs, der anfangs wie ein Muster an Tugend wirkt, locken Sie den Leser selbst virtuos in die Falle der Heuchelei . . .
Ja, ich kann mich noch genau erinnern, wie ich dieses Anfangskapitel fertig geschrieben und dann mit meiner Frau gegessen habe. Sie fragt mich beim Essen immer, wie es mit dem Schreiben gegangen ist. An dem Tag habe ich ihr gesagt: „Es ist wunderbar geworden, aber ich muss dich warnen, wir werden Ägypten verlassen müssen. Nach diesem Roman können wir nicht bleiben.“
In den vielen parallelen Handlungssträngen gibt es eine grausame Gesetzmäßigkeit: Die Demonstranten werden von allen, ausnahmslos allen Institutionen im Stich gelassen – ob Schuldirektoren, muslimische Autoritäten oder koptische Priester. Ging das tatsächlich so weit?
Absolut. Die Menschen wurden völlig im Stich gelassen, von christlichen, muslimischen, staatlichen Autoritäten, von allen. Das Regime hat alle gegeneinander ausgespielt und eine Front der Konterrevolution aufgebaut, in die praktisch jede Institution einbezogen war. Die Muslimbrüder zum Beispiel taten, was sie schon 1952 unter Nasser gegen die demokratischen Kräfte getan hatten. Der Deal war, dass das Militär ihnen für ihre Hilfe einen guten Teil des Kuchens abgibt. Und das hat Sie nicht völlig desillusioniert zurückgelassen?
Ich bin die optimistischste Person, die Sie sich vorstellen können! Man braucht sich
nur die Geschichte anzusehen. Die Russische Revolution begann im Grunde schon 1829 mit den Dekabristen, erfolgreich war sie erst 1917. Wir brauchen Zeit, weil das hier keine politische Veränderung ist, sondern eine kulturelle, bei der sich die gesamte Weltsicht der Menschen ändert. Diese Veränderung ist dann auch irreversibel. Das klingt, als erwarteten Sie einen Erfolg erst im Jahr 2100 . . .
So ist es nicht, die Ägypter haben ihre Kerker aufgebrochen, es ist vorbei, es ist endgültig! Sie denken heute anders über Macht, Religion, Gesellschaft. Zum Beispiel wird es für sie in Ordnung sein, sich in einen Menschen mit anderer Religion oder anderer Zugehörigkeit zu verlieben. Und das ist ein Problem für das Regime, für diese Veränderungen nämlich ist es blind. Irgendwann aber wird es sie sehen. Wie viel hat sich politisch gebessert unter Feldmarschall as-Sisi?
Seit 1952 waren alle Regierungen nur verschiedene Versionen ein und desselben Regimes. Die heutige Version, die von as-Sisi, ist die grausamste, die gewalttätigste, es ist die, die am meisten gegen die Menschenrechte verstößt.
Sie geben im Roman auch einen Eindruck von den Strategien der Manipulation und Erpressung durch ihr Umfeld, denen die Einzelnen ausgesetzt waren, Hausbesuche durch wohlwollende Ratgeber etc. – haben Sie das am eigenen Leib erlebt?
Ja, und das war und ist ein Riesenproblem. Aber ich habe auch erlebt, wie Menschen zu mir kamen und sagten: „Wir sind in der Revolution aufgrund dessen, was Sie geschrieben haben.“Ich habe als Autor viele Auszeichnungen bekommen – aber keine war so groß, keine hat mich so berührt wie diese.