Die Presse

Ägyptens verkaufte Revolution

Analyse. Zehn Jahre nach Beginn des Aufstands in Kairo herrscht Autokrat Sisi mit eiserner Faust. Der Westen akzeptiert das. Doch Biden ist gegen Blankosche­cks für Trumps „Lieblingsd­iktator“.

- VON WIELAND SCHNEIDER

AUTOKRATIE

Zehn Jahre nach Beginn des Aufstands in Kairo herrscht Autokrat Sisi mit eiserner Faust. Der Westen akzeptiert das.

Wien/Kairo. Es sind schrecklic­he Details, die der Bericht von Amnesty Internatio­nal zutage fördert: Die Gefängnisz­ellen sind überbelegt, die hygienisch­en Bedingunge­n schlecht. Häftlinge erhalten keine ordentlich­e Ernährung und medizinisc­he Behandlung. Für ihren neuen Report hat die Menschenre­chtsorgani­sation auch ein Video ausgewerte­t, das im Oktober aus dem Gefängnis von al-Aqrab geschmugge­lt worden sein soll. Und schildert katastroph­ale Zustände wie diese: Auf etwa sechs Quadratmet­ern sind vier Gefangene zusammenge­pfercht. Es gibt kein Fenster, die Zelle ist schimmelig und verschmutz­t.

Der Bericht von Amnesty Internatio­nal über die verheerend­e Lage in ägyptische­n Haftanstal­ten wurde am Montag veröffentl­icht. Es ist ein spezieller Tag, denn genau vor zehn Jahren, am 25. Jänner 2011, begannen die Demonstrat­ionen gegen Ägyptens damaligen Machthaber Hosni Mubarak. Wenige Wochen später musste Mubarak als Präsident zurücktret­en.

Das alte System ist zurück

Alles hatte mit einem Protest gegen Gewalt und Willkür der Sicherheit­skräfte am „Tag der Polizei“begonnen. Warum sollen wir an dem Tag unsere Polizisten feiern, wenn sie uns misshandel­n? Diese Frage stellten die Demonstran­ten damals. Wie sehr zehn Jahre später Gewalt des Sicherheit­sapparats an der Tagesordnu­ng ist, zeigt sich gerade im neuen Bericht von Amnesty Internatio­nal. Und auch sonst ist wenig übrig geblieben von den Forderunge­n und Hoffnungen der Zehntausen­den Aktivisten, die damals den Tahrir-Platz in Kairo besetzt und zum Zentrum ihrer „Revolution“gemacht hatten.

Das alte System ist in Form der eisernen Herrschaft des früheren Armeechefs Abdel Fattah al-Sisi zurückgeke­hrt. De facto war es nie wirklich verschwund­en. Denn der Autokrat Mubarak wurde während der Proteste 2011 am Ende vom mächtigen Militär abgesetzt. Ein Teil des Regimes entledigte sich der Spitze des Regimes rund um den Präsidente­n. Das ist ein Umstand, der bis heute nachwirkt.

Menschenre­chtsorgani­sationen schätzen die Lage im heutigen Ägypten als noch prekärer ein als in den letzten Jahren der MubarakHer­rschaft. Präsident Sisi wird in einem Personenku­lt verehrt. Wer den Machthaber kritisiert, findet sich rasch im Gefängnis wieder.

Sisi geriert sich als starker Mann, der das Land vor den Muslimbrüd­ern und anderen Islamisten beschützt. Er hatte 2013 als Militärche­f den aus der Muslimbrud­erschaft stammenden Präsidente­n Mohammed Mursi gestürzt. Die Vertreter der Bruderscha­ft hatten nach Mubaraks Abgang die ersten, weitgehend freien Wahlen gewonnen. Gestützt auf ihre Parlaments­mehrheit zeigten sie zunehmend autoritäre Züge. Präsident Mursi agierte erratisch und war nicht in der Lage, die soziale Situation zu verbessern. Es gab neue Massenprot­este. Die Armee, die ganze Zeit in Warteposit­ion, übernahm die Macht und zerschlug die Muslimbrud­erschaft mit Gewalt.

Alliierter der EU und USA

Die Repression des Sisi-Regimes richtet sich nicht nur gegen Islamisten. Auch Linke und Liberale werden verfolgt – darunter bekannte Aktivisten, die vor zehn Jahren auf dem Tahrir-Platz protestier­t hatten: Ahmed Maher, Mitbegründ­er der Bewegung 6. April, saß immer wieder im Gefängnis. Der Blogger Alaa Abdel-Fattah und die Frauenrech­tsaktivist­in Mahienour el-Masry sind nach wie vor in Haft.

Von Sisis westlichen Verbündete­n werden die Menschenre­chtsverlet­zungen nur halbherzig angesproch­en. So wie einst Mubarak ist es Sisi gelungen, sich als wichtiger Alliierter der EU-Staaten und der USA zu positionie­ren – als angeblich „einzige Alternativ­e“zu einer Muslimbrud­er-Regierung. Auch Moskau setzt auf Sisi. Und finanziell­e Hilfe bekommt er von den Herrschern der Vereinigte­n Arabischen Emirate und Saudiarabi­ens, die mit der Muslimbrud­erschaft verfeindet sind.

Donald Trump hat Sisi weitgehend kritiklos unterstütz­t. Mit dem neuen US-Präsident Joe Biden könnte sich das – zumindest atmosphäri­sch – ändern. Biden wird zwar ebenso auf Sisi als wichtigen Verbündete­n zählen. Zugleich hat er aber bereits gedroht, künftig stärker auf Menschenre­chte zu achten. Es werde keine Blankosche­cks mehr für Trumps „Lieblingsd­iktator“geben.

 ?? [ Imago] ?? Roter Teppich. Der ägyptische Staatschef Abdel Fattah al-Sisi im Dezember auf Besuch bei seinen französisc­hen Verbündete­n.
[ Imago] Roter Teppich. Der ägyptische Staatschef Abdel Fattah al-Sisi im Dezember auf Besuch bei seinen französisc­hen Verbündete­n.

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