Das BVT und die Causa Wirecard
Affäre. Pornoseiten, weitergegebene Daten und Fluchthilfe: Weil BVT-Beamte für Wirecard gearbeitet haben, werden sie nun verhört, suspendiert, verhaftet – und vor den deutschen Bundestag geladen.
ÖSTERREICH
Pornoseiten, Datenweitergabe, Fluchthilfe: Weil BVT-Beamte für Wirecard gearbeitet haben, werden sie nun verhört, suspendiert, verhaftet.
Wien. Dem Ex-FPÖ-Nationalratsabgeordneten Thomas Schellenbacher ist der „Arsch auf Grund“gegangen, als er mit einem ehemaligen Abteilungsleiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) für die Flucht von Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek am 19. Juni einen Flug von Bad Vöslau nach Minsk organisierte. So gab er das zumindest wörtlich zu Protokoll.
Schellenbacher sitzt aktuell in U-Haft – gegen ihn laufen Ermittlungen zu Korruptionsdelikten wie Betrug und Begünstigung. Letzteres steht in Zusammenhang mit Wirecard. Zwei BVT-Beamte wurden ebenfalls am Wochenende verhaftet. Ex-BVT-Leiter Martin W. soll sich nach Informationen der „Presse“bei der Befragung äußerst kooperativ verhalten haben, weshalb keine U-Haft beantragt wurde. Der zweite Beamte, O., W.s enger Freund, wurde am Sonntag unter massivem Widerstand verhaftet. Ihm werden der Verrat von Staatsgeheimnissen und Missbrauch von Amtsgewalt vorgeworfen. Am Montag wurde er vom Dienst suspendiert. Ob U-Haft verhängt wird, soll am Dienstag entschieden werden – es gilt als wahrscheinlich.
O. wurde schon vor einiger Zeit vom BVT zur Sicherheitsakademie (SIAK) dienstzugeteilt, weil gegen ihn wegen des Verdachts der Spionage in Russland und unerlaubter Datenabfragen ermittelt wird. Das ist brisant, weil Marsalek gute Kontakte zu Nachrichtendiensten und im Speziellen zu Russland nachgesagt werden. Dort wird auch sein aktueller Aufenthaltsort vermutet. Auch Martin W. soll gute Kontakte in die austrorussische Community haben.
W.s Clique im Fokus der Polizei
Das Bundeskriminalamt (BKA) hielt am Wochenende freiwillige Nachschau und führte Zeugenvernehmungen von Bediensteten im Innenministerium durch – ÖVPInnenminister Karl Nehammer sprach von „schonungsloser Aufklärung“. Alle Befragten gehören zum Netzwerk von Martin W., viele von ihnen waren wie er früher im BVT tätig und wurden infolge von Malversationen versetzt – teils infolge der BVT-Affäre.
W. und einige seiner Vertrauten dienten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft
(WKStA) 2018 als Hauptbelastungszeugen. Fast alle erhobenen Vorwürfe stellten sich aber als haltlos heraus. Dass manche Belastungszeugen nun im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal wieder auftauchen, rückt die BVT-Affäre in ein noch schlechteres Licht. Westliche Geheimdienste sind aufgrund der neuesten Entwicklungen nervös. Österreich hatte sich in den vergangenen Monaten um Vertrauensbildung bemüht. Dass das BKA nun bemüht ist, die Täter auszuforschen und die Verdächtigen schon länger nicht mehr direkt im BVT arbeiten, ist ein kleiner Trost. Netzwerke dürften sie dort nach wie vor haben. W. zählt zu den engen Vertrauten Marsaleks, arbeitete in einer Firma, die in dessen Villa in der Münchner Prinzregentenstraße ihren Sitz hatte. Auch andere (meist schon länger versetzte) BVT-Mitarbeiter sollen für Wirecard gearbeitet haben. Der Vorwurf: Sie sollen personenbezogene Daten, die in Ermittlungen gewonnen wurden, weitergegeben haben. Zudem sollen sie für Wirecard auch die Zahlungsfähigkeit von Porno-WebsiteAnbietern überprüft haben. Mastermind soll Martin W. gewesen sein. Viele dieser (vom Ministerium nicht genehmigten) Geschäfte sollen sich in Dubai abgespielt haben. Die deutschen Behörden glauben, dass dort ein Hauptteil der Bilanzfälschungen abgewickelt wurde.
Vorladung in Bundestag
Die Rolle der Geheimdienste ist auch für den deutschen U-Ausschuss von Bedeutung. Martin W. soll nach Informationen der „Presse“und des „Handelsblatts“nun am Donnerstag, nach Anträgen der Linken, FDP und Grünen, vorgeladen werden. Der linke Abgeordnete Fabio De Masi sagt zur „Presse“: „W. ist wie ein Mitbewohner von Marsalek in der Prinzregentenstraße. Wenn W. gegenüber der Staatsanwaltschaft auspacken sollte, sollte einer Aussage im U-Ausschuss nichts im Wege stehen.“Der Grüne Danyal Bayaz sagt: „Wir erhoffen uns von Martin W. mehr über die Rolle von Marsalek, seine Verbindungen zu Geheimdiensten und seine Flucht zu erfahren. Auch vor dem Hintergrund, ob dabei Schaden für die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik entstanden ist.“Florian Toncar (FDP) sagt zur „Presse“: „Marsalek pflegte enge Verbindungen zu österreichischen Politikern und Beamten – und hat einige sogar bestochen.“Es sei ihm ein Rätsel, warum die Bundesregierung nicht mehr tue, um Klarheit über das Wirken und vor allem die Flucht dieser Zentralgestalt des Wirecard-Skandals zu erlangen.