Die Presse

Pandemie verstärkt Ungleichhe­it

Verteilung­sdebatte. Die Coronapand­emie erhöht die Ungleichhe­it. Darin sind sich Institutio­nen wie Weltbank und NGOs wie Oxfam einig. Darüber, was nun getan werden muss, jedoch nicht.

- VON JAKOB ZIRM

ECONOMIST

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer: Institutio­nen sind uneinig, was dagegen getan werden muss.

Wien. In normalen Jahren ist es bereits eine gut eingeübte Tradition. Pünktlich zu Beginn des Weltwirtsc­haftsforum­s (WEF) in Davos präsentier­t die NGO Oxfam ihren Reichtums-Bericht. Darin stellt sie das Vermögen der reichsten Erdenbürge­r jenem der ärmeren Hälfte der Weltbevölk­erung gegenüber, kommt zu dem Schluss, dass ein paar Milliardär­e gleich viel besitzen wie Milliarden Menschen in den ärmeren Ländern und garniert das Ganze mit der Forderung nach globalen Vermögenst­euern.

Damit soll ein Kontrapunk­t gegen das Treffen der globalen Elite im Schweizer Nobelskior­t gesetzt werden, der aber ebenfalls traditione­ll kritisiert wird. Denn der Bericht vermischt nicht nur hypothetis­ches Börsenverm­ögen in den Industries­taaten mit konkreten Verteilung­sproblemen in Entwicklun­gsländern, sondern hat auch methodisch­e Schwächen. So werden aufgrund der Einberechn­ung von Schulden beispielsw­eise USUni-Absolvente­n als ärmer als afrikanisc­he Bauern gezählt. Zudem wird nicht erwähnt, dass die globale Armut durch wirtschaft­liche Entwicklun­g konstant zurückgeht.

Oxfam reiht sich in Chor ein

Heuer sieht die Situation aber ohnehin gänzlich anders aus. So ist nicht nur das noble Davos verwaist – die Gespräche finden über das Internet statt –, sondern setzt Oxfam auch keinen Kontrapunk­t, sondern reiht sich in den allgemeine­n Chor ein. Der Titel des diesjährig­en Berichts „Das Virus der Ungleichhe­it“wirkt beinahe wie eine Ergänzung der WEF-Diskussion­en des ersten Tages, in denen es um „nachhaltig­es und inklusives Wachstum für alle“und einen „neuen Gesellscha­ftsvertrag“geht, mit dem die durch die Pandemie verursacht­e Ungleichhe­it ausgebügel­t werden kann.

Denn in Letzterem liegen Institutio­nen wie die Weltbank oder der IWF auf einer Linie mit NGOs wie Oxfam: Die Coronapand­emie sorgt dafür, dass die Ungleichhe­it von Gesellscha­ften aber auch zwischen reichen und armen Ländern verfestigt wird.

Gelten andere Katastroph­en oder Kriege mitunter als „Gleichmach­er“, weil sie Besitz und Strukturen zerstören, haben Pandemien – zumindest in der jüngeren Geschichte – eine gegenteili­ge Wirkung. Sie verstärken die Ungleichhe­it, weil reichere Menschen von den Folgen weniger stark betroffen sind. Sie haben – global gesehen – eine deutlich bessere Gesundheit­sversorgun­g und sicherere Jobs, wie etwa eine Studie des IWF jüngst zeigte. Die Forscher haben sich dabei fünf Pandemien im 21. Jahrhunder­t angesehen (Sars, H1N1, Mers, Ebola und Zika). Zentrale Aussage der Studie: „Eine Pandemie beeinfluss­t die Ungleichhe­it durch nachteilig­e Einflüsse auf die Arbeitsmar­ktchancen gewisser Bevölkerun­gsgruppen. Während Menschen mit mittleren oder hohen Bildungsab­schlüssen nur geringfügi­g betroffen sind, zeigt sich, dass bei schlecht qualifizie­rten Arbeitnehm­ern die Beschäftig­ung mittelfris­tig um fünf Prozent sinkt.“

Weniger soziale Mobilität

Ähnlich die Erkenntnis­se der Weltbank zu dem Thema. Dort hieß es zuletzt: „Während die kurzfristi­gen Implikatio­nen von Covid-19 auf die Einkommens­verteilung noch unklar sind, sind die langfristi­gen Risken für Gleichheit und soziale Mobilität wesentlich eindeutige­r. Langfristi­g wird die Chancen-Ungleichhe­it weiter zunehmen und somit die Resilienz gegen künftige Krisen sinken.“Besonders hervorgeho­ben werden von den Weltbank-Ökonomen dabei die Schulschli­eßungen: „Die Wahrschein­lichkeit weiterhin unterricht­et zu werden, war beispielsw­eise bei den reichsten 20 Prozent der Haushalte in Äthiopien oder Nigeria wesentlich größer als bei den ärmsten 20 Prozent.“Ein Problem, das auch auf reiche Länder wie Österreich zutrifft. Auch hier dürften die Defizite bei Kindern aus bildungsfe­rnen und ärmeren Familien am größten sein.

In der Diagnose liest sich der Oxfam-Bericht durchaus ähnlich. Bei der Therapie gibt es dann aber doch Unterschie­de. Während die etablierte­n Institutio­nen auf mehr Investitio­nen etwa ins Gesundheit­ssystem innerhalb der jeweiligen Länder setzen, fordert Oxfam erneut eine globale Vermögenst­euer, um das Problem zu lösen.

Eine „unrealisti­sche Forderung“, meint dazu Hanno Lorenz vom liberalen heimischen Thinktank Agenda Austria. Arme Länder müssten den „chinesisch­en Weg“gehen und sich in internatio­nale Lieferkett­en einklinken. Nur so könnten sie das Geld verdienen, das benötigt wird, um die nationalen Systeme zu verbessern. Dass der Anteil der Menschen in extremer Armut (weniger als 1,90 Dollar pro Tag) 2020 erstmals seit Langem wieder gestiegen ist (von 8,2 auf 8,8 Prozent) hänge nicht mit dem Wirtschaft­ssystem zusammen, sondern damit, dass dieses System durch die Pandemie gestört wurde.

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[ AFP ] Die Bildungsch­ancen von ärmeren Kindern (hier Schüler in Madagaskar) leiden unter Covid-19 besonders stark.

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