Pandemie verstärkt Ungleichheit
Verteilungsdebatte. Die Coronapandemie erhöht die Ungleichheit. Darin sind sich Institutionen wie Weltbank und NGOs wie Oxfam einig. Darüber, was nun getan werden muss, jedoch nicht.
ECONOMIST
Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer: Institutionen sind uneinig, was dagegen getan werden muss.
Wien. In normalen Jahren ist es bereits eine gut eingeübte Tradition. Pünktlich zu Beginn des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos präsentiert die NGO Oxfam ihren Reichtums-Bericht. Darin stellt sie das Vermögen der reichsten Erdenbürger jenem der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung gegenüber, kommt zu dem Schluss, dass ein paar Milliardäre gleich viel besitzen wie Milliarden Menschen in den ärmeren Ländern und garniert das Ganze mit der Forderung nach globalen Vermögensteuern.
Damit soll ein Kontrapunkt gegen das Treffen der globalen Elite im Schweizer Nobelskiort gesetzt werden, der aber ebenfalls traditionell kritisiert wird. Denn der Bericht vermischt nicht nur hypothetisches Börsenvermögen in den Industriestaaten mit konkreten Verteilungsproblemen in Entwicklungsländern, sondern hat auch methodische Schwächen. So werden aufgrund der Einberechnung von Schulden beispielsweise USUni-Absolventen als ärmer als afrikanische Bauern gezählt. Zudem wird nicht erwähnt, dass die globale Armut durch wirtschaftliche Entwicklung konstant zurückgeht.
Oxfam reiht sich in Chor ein
Heuer sieht die Situation aber ohnehin gänzlich anders aus. So ist nicht nur das noble Davos verwaist – die Gespräche finden über das Internet statt –, sondern setzt Oxfam auch keinen Kontrapunkt, sondern reiht sich in den allgemeinen Chor ein. Der Titel des diesjährigen Berichts „Das Virus der Ungleichheit“wirkt beinahe wie eine Ergänzung der WEF-Diskussionen des ersten Tages, in denen es um „nachhaltiges und inklusives Wachstum für alle“und einen „neuen Gesellschaftsvertrag“geht, mit dem die durch die Pandemie verursachte Ungleichheit ausgebügelt werden kann.
Denn in Letzterem liegen Institutionen wie die Weltbank oder der IWF auf einer Linie mit NGOs wie Oxfam: Die Coronapandemie sorgt dafür, dass die Ungleichheit von Gesellschaften aber auch zwischen reichen und armen Ländern verfestigt wird.
Gelten andere Katastrophen oder Kriege mitunter als „Gleichmacher“, weil sie Besitz und Strukturen zerstören, haben Pandemien – zumindest in der jüngeren Geschichte – eine gegenteilige Wirkung. Sie verstärken die Ungleichheit, weil reichere Menschen von den Folgen weniger stark betroffen sind. Sie haben – global gesehen – eine deutlich bessere Gesundheitsversorgung und sicherere Jobs, wie etwa eine Studie des IWF jüngst zeigte. Die Forscher haben sich dabei fünf Pandemien im 21. Jahrhundert angesehen (Sars, H1N1, Mers, Ebola und Zika). Zentrale Aussage der Studie: „Eine Pandemie beeinflusst die Ungleichheit durch nachteilige Einflüsse auf die Arbeitsmarktchancen gewisser Bevölkerungsgruppen. Während Menschen mit mittleren oder hohen Bildungsabschlüssen nur geringfügig betroffen sind, zeigt sich, dass bei schlecht qualifizierten Arbeitnehmern die Beschäftigung mittelfristig um fünf Prozent sinkt.“
Weniger soziale Mobilität
Ähnlich die Erkenntnisse der Weltbank zu dem Thema. Dort hieß es zuletzt: „Während die kurzfristigen Implikationen von Covid-19 auf die Einkommensverteilung noch unklar sind, sind die langfristigen Risken für Gleichheit und soziale Mobilität wesentlich eindeutiger. Langfristig wird die Chancen-Ungleichheit weiter zunehmen und somit die Resilienz gegen künftige Krisen sinken.“Besonders hervorgehoben werden von den Weltbank-Ökonomen dabei die Schulschließungen: „Die Wahrscheinlichkeit weiterhin unterrichtet zu werden, war beispielsweise bei den reichsten 20 Prozent der Haushalte in Äthiopien oder Nigeria wesentlich größer als bei den ärmsten 20 Prozent.“Ein Problem, das auch auf reiche Länder wie Österreich zutrifft. Auch hier dürften die Defizite bei Kindern aus bildungsfernen und ärmeren Familien am größten sein.
In der Diagnose liest sich der Oxfam-Bericht durchaus ähnlich. Bei der Therapie gibt es dann aber doch Unterschiede. Während die etablierten Institutionen auf mehr Investitionen etwa ins Gesundheitssystem innerhalb der jeweiligen Länder setzen, fordert Oxfam erneut eine globale Vermögensteuer, um das Problem zu lösen.
Eine „unrealistische Forderung“, meint dazu Hanno Lorenz vom liberalen heimischen Thinktank Agenda Austria. Arme Länder müssten den „chinesischen Weg“gehen und sich in internationale Lieferketten einklinken. Nur so könnten sie das Geld verdienen, das benötigt wird, um die nationalen Systeme zu verbessern. Dass der Anteil der Menschen in extremer Armut (weniger als 1,90 Dollar pro Tag) 2020 erstmals seit Langem wieder gestiegen ist (von 8,2 auf 8,8 Prozent) hänge nicht mit dem Wirtschaftssystem zusammen, sondern damit, dass dieses System durch die Pandemie gestört wurde.