Phantastischer Realist: Arik Brauer (1929–2021)
Nachruf. Arik Brauer hat mit seinen Liedern die Sprache einer ganzen Generation bereichert wie mit seinen Bildern deren Träume. Sonntagabend ist dieser große jüdische Wiener und Universalkünstler im Alter von 92 Jahren gestorben.
Mit seinen dunkelbunten, sagenhaften Bildern hat er die Welt genauso bereichert wie mit seinen Liedern, seinem Engagement und seinem Witz: Arik Brauer, der große jüdische Wiener, der Letzte aus der Schule des Phantastischen Realismus, ist am Sonntagabend 92-jährig im Kreis seiner Familie gestorben.
Ich war so glücklich mit meiner Frau, mit meiner Familie, mit meiner Kunst und meinem Wienerwald. Aber es gibt eine Zeit, da lebt man, und es gibt zwei Ewigkeiten, da existiert man nicht.“Das waren, wie uns seine Familie überliefert, Arik Brauers letzte Worte. Was für ein Abschied. Was für ein alter Weiser, möchte man sagen, da fällt einem jäh ein, wie jung Arik Brauer noch im hohen Alter wirkte, wie frisch, wie lebhaft. Bei der Revue im Wiener Rabenhoftheater etwa, die ihm seine Tochter Ruth BrauerKvam zu seinem 90. Geburtstag widmete, mit vielen seiner Lieder, mit denen er die Sprache einer Generation bereichert hat wie mit seinen Bildern ihre Träume.
„Vierzig Jahr’ und frische Socken, da sind alle freundlich word’n“, sang er 1971, da konnte er schon auf ein reiches Leben zurückblicken, im Guten und Schlechten. 1929 als Erich Brauer in eine russisch-jüdische Handwerkerfamilie geboren wurde, war er Kind in Ottakring, in einer Zimmer-KücheWohnung und auf der Gasse. Ob es eine schwere Kindheit gewesen sei, fragte ihn „Die Presse“einmal: „Nein, die war wunderbar“, antwortete er. Die wunderlichen Figuren der Vorstadt geisterten durch seine Bilder und Lieder, der Spiritus auf der Kellerstiege, der böse Lehrer Surmi Sui, der verlachte „Rostige“, die Spinnerin, die ihre Meerschweinderl im Kinderwagen durch den Koflerpark (am Ludo-Hartmann-Platz, dort lebte die Familie Brauer) führte und sogar die Gestapo überstand.
Im Versteck den NS-Terror überlebt
Arik Brauers Vater überlebte die Nazi-Barbarei nicht, er starb im Konzentrationslager, Arik kam in einem Versteck durch. „Ich bin von Nichtjuden gerettet worden, die ein Risiko auf sich genommen haben“, erzählte er der „Presse“in einem Interview anlässlich der Verleihung des Fritz-Csoklich-Demokratiepreises 2018: „Das vergisst man nicht. Ich bin Österreicher.“In dieser seiner Großmut äußerte er auch Verständnis für seine Nachbarn, die 1945 nicht als Befreiung empfanden, reichte anlässlich des Gedenkens 2018 sogar Heinz-Christian Strache die Hand. Manche kritisierten das, Arik Brauer konnte nicht anders, er konnte nicht tief hassen.
1945, nach Kriegsende, nach der Befreiung, mit 16, studierte Arik Brauer an der Akademie der bildenden Künste, unter seinen
Lehrern waren Gütersloh und Boeckl. Dann ging er auf Reisen, mit welcher Abenteuerlust, das hört man aus seinem Lied „Reise nach Afrika“, mit dem Refrain „Fahr weg mit’m Radl, drah mi net um“, und den sanft ironischen letzten Zeilen: „Da wird dir auf der Heimreis’ der Riederberg so hoch, es zittern dir die Wadeln in Weidling am Bach.“
Auch wie die große Liebe in sein Leben kam, ist in einem Lied verewigt, in der innig-nächtlichen „Serenade“. 1957 heiratete er Naomi Dahabani, reiste mit ihr weiter durch die Welt, schlug sich als Lautenspieler, Volkssänger und Tänzer durch, lebte in der Pariser Boh`eme, kehrte 1964 nach Wien zurück, als die von ihm mitbegründete Schule des Phantastischen Realismus bereits populär war. Sein Bekenntnis gegen eckige Strenge und enges Grau, für die runde Fantasie, für den Geist, der weht, wo er will, prägte nicht nur seine Malerei, sie ging mit dem architekturkritischen Lied „Sie hab’n a Haus ’baut“auch in den Volksmund ein. In den frühen Neunzigern sollte er dann tatsächlich ein farben- und formenreiches Haus in de Wiener Gumpendorfer Straße gestalten.
1971 erschien endlich Arik Brauers erstes Album: Zahllose hochsprachige Gymnasiasten lernten davon, wie schön, wie poetisch der Wiener Dialekt sein kann. Dem Brauer in seinem letzten Jahr noch das Buch „Wienerisch für Fortgeschrittene“widmete, in dem sich etwa ein lichtvoller Abschnitt über den Ausdruck „alaweu“˚ findet, den die Wiener gern von „allerweil“ableiten, der aber, wie so manches im Wienerischen, aus dem Hebräischen kommt und „Möge es so sein“bedeutet. Brauers Lieder jedenfalls haben mit den Jahrzehnten nicht verloren, „Sein Köpferl im Sand“ist immer wieder von Jungen neu als „beinhartes Protestlied“gegen die Gleichgültigkeit entdeckt worden. Ob Brauer damit der wahre Begründer des Austropop war, darüber kann man streiten, auf jeden Fall griff er Themen auf, die erst ein gutes Jahrzehnt später die aufkommende grüne Bewegung prägen sollten, im Lied „Auto unser, das du bist“etwa.
So verwurzelt Brauer in Wien war, so fest stand er in der jüdischen Tradition. In Israel, wo er ein Drittel des Jahres verbrachte, wo vier seiner Enkelkinder leben. Und auch, obwohl er Agnostiker war, in der Bibel. Seine bebilderte Ausgabe des Alten Testaments hat Ironie – und dennoch in ihren dichtesten Momenten die Glut des brennenden Busches, aus dem Moses Gott sprechen hörte.
Jüdischer Himmel voller Seraphim
In anderen Bildern spürt man die tiefe Leichtigkeit, die Brauer auch zu einem begnadeten Erzähler von Witzen machte, schon im Lied „Dschiribim-Dschiribam“, ausführlicher im Buch „A Jud und keck a no“, dessen Vorwort geradezu talmudische Weisheit atmet. So antwortet er auf die Frage, ob die Juden den Monotheismus erfunden haben: „Gefunden und erfunden, aber nicht ausgehalten. Denn auch der jüdische Himmel ist ja voll von Engeln, Seraphim und unsterblichen Wesen.“
Einige dieser Wesen hat er gemalt und besungen. Auf die Frage, ob er an ein Leben nach dem Tod glaube, sagte er einmal: „Ja, aber nicht an mein Leben. Andere werden leben.“Am Sonntag ist Arik Brauer gestorben. Die Welt, in der er geschaffen hat, und die Welt, die er geschaffen hat, leben weiter.