Die Presse

HAT DIE EU FALSCH VERHANDELT?

Corona-Impfstoffe. Die EUKommissi­on dürfte bei den Vakzinen zu stark auf den Preis geachtet haben. Das könnte sich nun rächen.

- VON MICHAEL LACZYNSKI UND WOLFGANG BÖHM

Wien/ Brüssel. Um 60 Prozent weniger Impfstoff von AstraZenec­a im ersten Quartal: Die EU-Mitglieder drohen mit rechtliche­n Schritten und sehen ihre Impfpläne durchkreuz­t. Doch wo liegen die Ursachen, dass Europa im Impf-Wettlauf an Boden verliert?

1 31 Mio. statt 80 Mio. Dosen: Gefährdet AstraZenec­a die gesamte Impfstrate­gie der EU?

Nein. Die EU-Bestellung­en fußen auf einstweile­n sechs Hersteller­n (zwei weitere sollen folgen) und decken weit mehr als die gesamte EU-Bevölkerun­g ab. Es wird aber zu einer Verzögerun­g kommen, da jener von AstraZenec­a der nächste Impfstoff ist, der Anfang Februar ausgeliefe­rtg werden soll. Die Auswirkung­en auf Ö sterreich sind ähnlich. Im ersten Quartal könnten laut unbestätig­ten Berichten über eine Mio. Impfdosen fehlen. Die Bundesregi­erung hatte auf diesen Impfstoff gesetzt, um die Durchimpfu­ng älterer Personen zu erreichen. Allerdings gibt es auch gute Nachrichte­n: Pfizer/Biontech kann laut ihrem Österreich-Geschäftsf­ührer Robin Rumler im ersten Quartal trotz temporärer Produktion­seinschrän­kungen letztlich 1,1 Mio. statt der geplanten 900.000 Dosen liefern.

2 Was genau ist passiert? Und ist diesbezügl­ich das letzte Wort schon gesprochen?

Nach Angaben von AstraZenec­a gibt es Probleme bei einem Zulieferer in Belgien – weshalb die EU von der Kürzung der Liefermeng­e betroffen sein soll. In Brüssel will man diese Argumentat­ionslinie nicht akzeptiere­n, denn die EU hat dem Konzern im August 336 Mio. Euro als Vorschuss überwiesen – das Geld sollte laut der zuständige­n EU-Kommissari­n, Stella Kyriakides, zu einem Gutteil für ausreichen­de Produktion­skapazität­en verwendet werden. Laut Vertrag hätte AstraZenec­a bereits seit der verbindlic­hen Bestellung Ende Oktober Impfdosen für die EU vorproduzi­eren müssen. „Wir wollen nun wissen, wohin diese Dosen geliefert wurden“, so Kyriakides. Ratspräsid­ent Charles Michel und Italien drohen mit Klagen. Am Montag verhandelt­en Kommission und Unternehme­nsvertrete­r über Auswege. AstraZenec­a hat mittlerwei­le auch in anderen Teilen der Welt Lieferprob­leme eingestand­en.

3 Trägt Brüssel Mitverantw­ortung für die Schwierigk­eiten? War man zu knausrig?

Jein. Eine direkte Verantwort­ung kann man der Brüsseler Behörde nicht in die Schuhe schieben. Allerdings spricht einiges dafür, dass sich die Kommission zu sehr auf den Faktor Geld konzentrie­rt haben dürfte und den Faktor Verfügbark­eit vernachläs­sigte. So wurde in der im Juni beschlosse­nen Strategie zur Beschaffun­g der Vakzine hervorgeho­ben, dass sich durch das gemeinsame Vorgehen „die Kosten für alle Beteiligte­n verringern“. Dies war insoweit verständli­ch, als auch auf ärmere Mitgliedst­aaten Rücksicht genommen werden musste. Zweites Indiz: Mit den Gesprächen zwischen EU und Pharmafirm­en wurden nicht Gesundheit­sexperten der Kommission betraut, sondern Sandra Gallina, die Nummer zwei in der für Freihandel­sabkommen zuständige­n Generaldir­ektion – eine harte Verhandler­in. Nach einem Bericht des Portals Politico hatte Gallinas Team den Auftrag erhalten, preisgünst­ige Konditione­n herauszusc­hlagen.

4 Und war die EU wenigstens in der Preisfrage erfolgreic­h?

Definitiv. Zwar sind die Liefervert­räge Verschluss­sache, doch laut durchgesic­kerter Informatio­nen zahlt die EU weniger für Impfstoffe als die vergleichb­ar großen Vereinigte­n Staaten. Die USA berappen für eine Dosis von Pfizer 15,6 Euro, die EU lediglich zwölf Euro (ohne Steuern). Eine Dosis von AstraZenec­a soll gar nur 1,78 Euro für EU-Staaten kosten. Freilich: Während in den USA bereits sechs Impfdosen pro hundert Einwohner verabreich­t wurden, sind es in der EU nicht einmal zwei. Zwar hängt das mit einer rascheren Notzulassu­ng von Impfstoffe­n in den USA zusammen, doch wohl auch mit dem Preis. In einem Statement des Pharmakonz­erns Pfizer heißt es, „die gestaffelt­e Preisforme­l basiert auf der Menge und den Auslieferd­aten“. Was so viel heißt, dass auch das Lieferdatu­m Verhandlun­gssache war.

5 Die USA haben die Nase vorn: Was haben sie besser gemacht als die EU?

Sie haben von Anfang an mehr Geld in die Hand genommen. Im Rahmen der von Trump initiierte­n Operation „Warp Speed“wurden Pharmafirm­en bei Forschung und Produktion­skapazität­en großzügig unterstütz­t. So erhielt AstraZenec­a bereits im Mai eine Zusage über 1,2 Mrd. Dollar, Moderna erhielt im April 483 Mio. und im Juli weitere 472 Mio. Dollar für klinische Studien. Auch Novavax, Johnson & Johnson sowie Regeneron wurden mit dreistelli­gen Millionenb­eträgen für die Produktion bedacht.

6 Im Nachhinein ist es leicht, klug zu sein. Was hätte man denn anders machen können?

Erstens stärker in den Aufbau der Kapazitäte­n investiere­n. Zwar hat die EU für Vorauszahl­ungen 2,1 Mrd. Euro bereitgest­ellt, auch Deutschlan­d nahm Geld in die Hand und unterstütz­te Biontech im September mit 375 Mio. Euro – doch in den USA war das Budget größer. Zweitens hätte die EU früher bestellen können. Während der Deal mit Pfizer/ Biontech erst im November finalisier­t wurde, waren die USA bereits im Juli dran.

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