Die Presse

Wer sich den Coronatest ersparen kann

Regeln. Wenn jemand das Virus schon hatte, soll er von Pflichten befreit werden. Aber wann ist das sinnvoll? Der Verordnung­stext lässt Juristen und Ärzte grübeln.

- VON PHILIPP AICHINGER UND KÖKSAL BALTACI

Wien. Klar ist: Die Verordnung von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) will festlegen, wann Corona-Genesene sich Pflichten ersparen können. Doch der unklare Verordnung­stext wirft Fragen auf. Unter welchen Umständen muss man also künftig nicht zum Coronatest gehen?

1 Für wen ist es relevant, ob man sich den Test ersparen kann?

Berufsgrup­pen mit viel Außenkonta­kt müssen sich laut der Verordnung regelmäßig testen lassen, um ihren Job ausüben zu können. Das betrifft etwa Lehrer, Pfleger, Berufsspor­tler oder generell Leute, die mit vielen Kunden zu tun haben. Doch wer das Virus schon hatte, wird von den Tests eine Zeit lang befreit, weil er dann mit ziemlicher Sicherheit gegen Corona immun ist.

Die Frage, wann das der Fall ist, dürfte aber für alle relevant werden. Denn in Hinkunft kann auch die Teilnahme an Veranstalt­ungen (z. B. Kino, Theater, Stadion) davon abhängig gemacht werden, dass man einen Coronatest vorweist – oder eben eine Bescheinig­ung über genügend Antikörper.

2 Warum wirft die Verordnung Unklarheit­en auf und was könnte von ihr gemeint sein?

Konkret heißt es darin: „Einem Nachweis über ein negatives Testergebn­is auf SarsCoV-2 sind eine ärztliche Bestätigun­g über eine in den letzten sechs Monaten vor der vorgesehen­en Testung erfolgte und zu diesem Zeitpunkt aktuell abgelaufen­e Infektion oder ein Nachweis über neutralisi­erende Antikörper für einen Zeitraum von sechs Monaten gleichzuha­lten.“Ist mit dem letzten Punkt gemeint, dass man in den vergangene­n sechs Monaten Antikörper haben musste? Oder dass man aktuell so viele hat, dass sie noch sechs Monate lang halten?

„Vom Wortlaut her könnte man das in beide Richtungen lesen“, sagt Medizinrec­htsexperte Karl Stöger von der Universitä­t Wien. Vom Sinn her müsse man die Bestimmung aber so lesen, dass nur nicht infektiöse Personen sich den Test ersparen können. Das aber sei eine medizinisc­he Frage. Das Gesundheit­sministeri­um präzisiert auf Nachfrage dahingehen­d, dass der positive Antikörper­test nicht älter als sechs Monate sein darf. Auf diese Bedeutung werde „in den kommenden Tagen“auf der Website des Ministeriu­ms eingegange­n – und zwar in der Rubrik „Häufig gestellte Fragen“. Eine Änderung der Verordnung ist nicht geplant.

3 Wie ist diese Ausnahme aus medizinisc­her Sicht zu verstehen und zu bewerten?

Auch unter Medizinern sorgt die Stelle in der Verordnung über den Nachweis von Antikörper­n bereits für Kopfschütt­eln. „Diese Passage ist schwierig bzw. sehr missverstä­ndlich formuliert“, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheil­kunde am Linzer Kepler-Universitä­tsklinikum. „Sinnvoller wäre eine Formulieru­ng, aus der deutlich hervorgeht, dass der Nachweis neutralisi­erender Antikörper nicht älter sein darf als sechs Monate. Dass also beispielsw­eise im Jänner 2021 ein Nachweis aus dem August 2020 noch akzeptabel ist, einer aus dem April 2020 aber nicht mehr.“

Eine „in die Zukunft gerichtete Interpreta­tion“dieser Ausnahme ergebe auch gar keinen Sinn. „Jetzt einen Antikörper

Nachweis vorweisen zu müssen, der einen so hohen Wert anzeigt, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit auch in den nächsten sechs Monate ausreichen­d Schutz bietet, ist unrealisti­sch, weil wir nicht wissen, wie schnell die Antikörper bei den Betroffene­n abgebaut werden.“

4 Was sind Antikörper und welche Funktion haben sie im Zuge der Immunantwo­rt?

Antikörper sind Proteine (Eiweiße) aus der Klasse der Globuline, daher werden sie auch Immunglobu­line genannt. Sie werden von weißen Blutkörper­chen als Reaktion auf Eindringli­nge wie etwa Viren hergestell­t und machen den wichtigste­n Teil der Immunantwo­rt des Körpers aus. Antikörper attackiere­n und zerstören die Erreger und markieren sie gleichzeit­ig, damit Fresszelle­n (Phagozyten) sie abtranspor­tieren und entsorgen. Grundsätzl­ich werden drei Arten von Immunglobu­linen unterschie­den – Immunglobu­lin M sowie A und Immunglobu­lin G, zu denen auch die für eine Immunität relevanten neutralisi­erenden Antikörper gehören. Diese werden erst sieben bis zehn Tage nach Beginn der Symptome gebildet, im Labor nachweisba­r sind sie ab zwei bis drei Wochen. Werden sie in einer ausreichen­den Menge gebildet, dauert es nach aktuellem Kenntnisst­and für gewöhnlich mindestens sechs Monate, bis sie wieder so weit abgebaut wurden, dass nicht mehr von einer Immunität ausgegange­n werden kann.

Die WHO hat vor Kurzem einen Referenzwe­rt definiert, der angibt, welche Menge als ausreichen­d gilt. Österreich­s Apotheken und Labore verfügen über diesen Wert, der in einem komplizier­ten Verfahren ermittelt und unter anderem in Einheiten pro Milliliter angegeben wird. Die Immunglobu­line M und A hingegen werden bereits drei bis vier Tage bzw. drei bis sechs Tage nach Symptombeg­inn gebildet und sind nach wenigen Wochen nicht mehr nachweisba­r. Sie dienen vor allem dazu, eine frische bzw. noch nicht lang zurücklieg­ende Infektion festzustel­len, für die Immunantwo­rt spielen sie keine besonders wichtige Rolle.

 ??  ?? Die WHO definierte einen Referenzwe­rt, der angibt, ob die Menge der Antikörper aller Wahrschein­lichkeit nach für eine länger anhaltende Immunität ausreicht.
Die WHO definierte einen Referenzwe­rt, der angibt, ob die Menge der Antikörper aller Wahrschein­lichkeit nach für eine länger anhaltende Immunität ausreicht.
 ?? [ Voisin/picturedes­k.com ] ??
[ Voisin/picturedes­k.com ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria