Wer sich den Coronatest ersparen kann
Regeln. Wenn jemand das Virus schon hatte, soll er von Pflichten befreit werden. Aber wann ist das sinnvoll? Der Verordnungstext lässt Juristen und Ärzte grübeln.
Wien. Klar ist: Die Verordnung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will festlegen, wann Corona-Genesene sich Pflichten ersparen können. Doch der unklare Verordnungstext wirft Fragen auf. Unter welchen Umständen muss man also künftig nicht zum Coronatest gehen?
1 Für wen ist es relevant, ob man sich den Test ersparen kann?
Berufsgruppen mit viel Außenkontakt müssen sich laut der Verordnung regelmäßig testen lassen, um ihren Job ausüben zu können. Das betrifft etwa Lehrer, Pfleger, Berufssportler oder generell Leute, die mit vielen Kunden zu tun haben. Doch wer das Virus schon hatte, wird von den Tests eine Zeit lang befreit, weil er dann mit ziemlicher Sicherheit gegen Corona immun ist.
Die Frage, wann das der Fall ist, dürfte aber für alle relevant werden. Denn in Hinkunft kann auch die Teilnahme an Veranstaltungen (z. B. Kino, Theater, Stadion) davon abhängig gemacht werden, dass man einen Coronatest vorweist – oder eben eine Bescheinigung über genügend Antikörper.
2 Warum wirft die Verordnung Unklarheiten auf und was könnte von ihr gemeint sein?
Konkret heißt es darin: „Einem Nachweis über ein negatives Testergebnis auf SarsCoV-2 sind eine ärztliche Bestätigung über eine in den letzten sechs Monaten vor der vorgesehenen Testung erfolgte und zu diesem Zeitpunkt aktuell abgelaufene Infektion oder ein Nachweis über neutralisierende Antikörper für einen Zeitraum von sechs Monaten gleichzuhalten.“Ist mit dem letzten Punkt gemeint, dass man in den vergangenen sechs Monaten Antikörper haben musste? Oder dass man aktuell so viele hat, dass sie noch sechs Monate lang halten?
„Vom Wortlaut her könnte man das in beide Richtungen lesen“, sagt Medizinrechtsexperte Karl Stöger von der Universität Wien. Vom Sinn her müsse man die Bestimmung aber so lesen, dass nur nicht infektiöse Personen sich den Test ersparen können. Das aber sei eine medizinische Frage. Das Gesundheitsministerium präzisiert auf Nachfrage dahingehend, dass der positive Antikörpertest nicht älter als sechs Monate sein darf. Auf diese Bedeutung werde „in den kommenden Tagen“auf der Website des Ministeriums eingegangen – und zwar in der Rubrik „Häufig gestellte Fragen“. Eine Änderung der Verordnung ist nicht geplant.
3 Wie ist diese Ausnahme aus medizinischer Sicht zu verstehen und zu bewerten?
Auch unter Medizinern sorgt die Stelle in der Verordnung über den Nachweis von Antikörpern bereits für Kopfschütteln. „Diese Passage ist schwierig bzw. sehr missverständlich formuliert“, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Linzer Kepler-Universitätsklinikum. „Sinnvoller wäre eine Formulierung, aus der deutlich hervorgeht, dass der Nachweis neutralisierender Antikörper nicht älter sein darf als sechs Monate. Dass also beispielsweise im Jänner 2021 ein Nachweis aus dem August 2020 noch akzeptabel ist, einer aus dem April 2020 aber nicht mehr.“
Eine „in die Zukunft gerichtete Interpretation“dieser Ausnahme ergebe auch gar keinen Sinn. „Jetzt einen Antikörper
Nachweis vorweisen zu müssen, der einen so hohen Wert anzeigt, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in den nächsten sechs Monate ausreichend Schutz bietet, ist unrealistisch, weil wir nicht wissen, wie schnell die Antikörper bei den Betroffenen abgebaut werden.“
4 Was sind Antikörper und welche Funktion haben sie im Zuge der Immunantwort?
Antikörper sind Proteine (Eiweiße) aus der Klasse der Globuline, daher werden sie auch Immunglobuline genannt. Sie werden von weißen Blutkörperchen als Reaktion auf Eindringlinge wie etwa Viren hergestellt und machen den wichtigsten Teil der Immunantwort des Körpers aus. Antikörper attackieren und zerstören die Erreger und markieren sie gleichzeitig, damit Fresszellen (Phagozyten) sie abtransportieren und entsorgen. Grundsätzlich werden drei Arten von Immunglobulinen unterschieden – Immunglobulin M sowie A und Immunglobulin G, zu denen auch die für eine Immunität relevanten neutralisierenden Antikörper gehören. Diese werden erst sieben bis zehn Tage nach Beginn der Symptome gebildet, im Labor nachweisbar sind sie ab zwei bis drei Wochen. Werden sie in einer ausreichenden Menge gebildet, dauert es nach aktuellem Kenntnisstand für gewöhnlich mindestens sechs Monate, bis sie wieder so weit abgebaut wurden, dass nicht mehr von einer Immunität ausgegangen werden kann.
Die WHO hat vor Kurzem einen Referenzwert definiert, der angibt, welche Menge als ausreichend gilt. Österreichs Apotheken und Labore verfügen über diesen Wert, der in einem komplizierten Verfahren ermittelt und unter anderem in Einheiten pro Milliliter angegeben wird. Die Immunglobuline M und A hingegen werden bereits drei bis vier Tage bzw. drei bis sechs Tage nach Symptombeginn gebildet und sind nach wenigen Wochen nicht mehr nachweisbar. Sie dienen vor allem dazu, eine frische bzw. noch nicht lang zurückliegende Infektion festzustellen, für die Immunantwort spielen sie keine besonders wichtige Rolle.