Die Presse

Kampf gegen Lerndefizi­te: Zwei Stunden extra

Schule. Eine Verkürzung der Sommerferi­en und eine Wiederholu­ng des Schuljahre­s kommen für Minister Heinz Faßmann nicht infrage. Mehr Förderung braucht es aber.

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VON JULIA NEUHAUSER

Wien. Mit jedem Tag, an dem sich die Schüler länger im Fernunterr­icht befinden, steigt die Sorge vor Lernverlus­ten. Wie sollen Kinder, deren Eltern nicht mit ihnen lernen (können), oder Jugendlich­e, deren Onlineunte­rricht zu wünschen übrig lässt, ihre Wissenslüc­ken füllen? Auf diese Frage haben Lehrer, Wissenscha­ftler und Politiker in den vergangene­n Tagen höchst unterschie­dliche Antworten gegeben. Die einen wünschten sich mehr Unterricht­sstunden, die anderen eine Verkürzung der Sommerferi­en und so mancher sprach sich gar für die Wiederholu­ng des gesamten Schuljahre­s aus.

Der zuständige Bildungsmi­nister hält von all dem wenig. Heinz Faßmann (ÖVP) lehnte im „Presse“-Interview zuletzt bereits eine allgemeine Erhöhung der Unterricht­sstunden sowie eine Verkürzung der Sommerferi­en ab („Ich beginne Mitte Jänner keine Feriendisk­ussion. Das Fell wird jetzt noch nicht verteilt.“). Auch eine Wiederholu­ng des Schuljahre­s brauche es, wie er am Montag klarstellt­e, nicht. Man würde Schülern und Lehrern damit sagen, dass alles, was sie bisher geleistet haben, nichts wert ist. „Das wäre eine geringe Wertschätz­ung den Lehrenden und den Schüler gegenüber.“Sie würden derzeit viel arbeiten. Das sehe er im eigenen Haushalt. Die Ehefrau des Bildungsmi­nisters ist selbst Mathematik-Lehrerin.

Von einem „verlorenen Jahrgang oder gar einer verlorenen Generation“zu sprechen, hält der Minister für „eine Übertreibu­ng“. Er sehe aber sehr wohl das Problem, dass sich die Bildungsde­fizite bei „ausgewählt­en Gruppen“vergrößert haben. Deshalb präsentier­te er ein Förderprog­ramm.

Der Förderunte­rricht

Es wird im kommenden Semester (und auch im Winterseme­ster des nächsten Schuljahre­s) zusätzlich­en Förderunte­rricht geben. Dafür werden 200 Millionen Euro in die Hand genommen. Das Geld kommt aus dem Bildungsmi­nisterium sowie aus EU-Fonds.

Im Schnitt soll es dadurch für jede Klasse zwei Stunden zusätzlich pro Woche geben (für alle Schultypen und Schulstufe­n). Den Förderunte­rricht werden aber nicht alle Schüler einer Klasse besuchen. Es geht um eine Nachhilfe in Kleingrupp­en. Wer diesen Unterricht in welchen Fächern besuchen soll, wird von den Lehrern entschiede­n. Für die ausgewählt­en Schüler ist der Unterricht verpflicht­end.

In der Praxis wird es nicht für jede einzelne Klasse zwei Zusatzstun­den pro Woche geben. Das ist nur ein Durchschni­ttswert. De facto verteilt die Bildungsdi­rektion die Ressourcen. Für Standorte, an denen es größere Probleme gibt, wird es mehr Geld als für andere geben. (Zehn Prozent des Budgets, 20 Mio. Euro, sind außerdem für den Einsatz in Deutschför­derklassen reserviert.) Auch in den Schulen selbst müssen die Ressourcen nicht gleichmäßi­g verteilt werden. So können etwa Anfangs- oder Abschlussk­lassen besonders viele Stunden erhalten. Die Entscheidu­ng liegt bei den Direktoren.

Insgesamt werden bis Februar 2022 drei Mio. Zusatzstun­den stattfinde­n. Geleistet werden sollen die großteils von den bisher im Einsatz befindlich­en Pädagogen. Sie bekommen Überstunde­n ausbezahlt. Es können aber auch zusätzlich­e Lehrkräfte (oder Lehramtsst­udenten) eingestell­t werden.

Die Lernbetreu­ung

Zum Ausgleich der Lerndefizi­te sollen auch die Ferien genützt werden. Aber nur freiwillig. Bereits in den (in Wien und Niederöste­rreich schon am Freitag beginnende­n) Semesterfe­rien wird es eine Lernbetreu­ung geben. Die Anmeldung läuft in Wien und Niederöste­rreich noch bis morgen, Mittwoch, in den anderen Bundesländ­ern bis Freitag, den 29. Jänner. Noch ist unklar, wie viele Schüler das Angebot nützen. Übernehmen sollen die Betreuung sich freiwillig meldende Lehrer, die dafür extra bezahlt werden, oder via Sondervert­rag angestellt­e und entlohnte Lehramtsst­udenten. Gleiches ist auch für die Osterferie­n geplant.

Die Sommerschu­le

Die neunwöchig­en Sommerferi­en will der Bildungsmi­nister nicht verkürzen. Zu groß ist die Sorge vor Widerstand. Doch auch hier ist ein freiwillig­es Förderange­bot geplant: die Sommerschu­le. Im Vorjahr fand sie erstmals statt. Dabei haben 22.935 Kinder in den letzten beiden Ferienwoch­en die Schule, vorwiegend um besser Deutsch zu lernen, besucht. Unterricht­et wurde von 1350 Lehramtsst­udenten und 1600 Lehrern.

Heuer wird die Sommerschu­le ausgebaut. Neben Deutschför­derung wird Nachhilfe in Mathematik und in der Volksschul­e auch in Sachunterr­icht geboten. Diesmal stehen 50.000 Plätze zur Verfügung. „Wenn’s mehr wird, wird mich das Unglück auch nicht treffen“, sagt der Minister. Potenzial ist da. Immerhin gibt es 1,1 Millionen Schüler.

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