Füllen Putin und Xi die Impflücke?
Europa. Während Ungarn im Alleingang Lieferungen russischer und chinesischer Impfstoffe ausverhandelt hat, setzen die übrigen EU–Länder (noch) auf das gemeinsame EU-Lieferprogramm.
Wien/Amsterdam/Belgrad. Auf der offiziellen Webseite der ungarischen Regierung gibt es eine eigene Sparte allein für die Coronavirus-Maßnahmen. Sie ist Wort für Wort auf Englisch übersetzt, und über einer Panoramaaufnahme von Budapest laufen Überschriften wie „Premier Orban:´ Die Ungarn brauchen die Impfung, keine Erklärung“und „Premier Orban:´ Ungarns Impfkapazität liegt weit über der Dosenanzahl, die aus der EU geliefert wird“. Darunter stehen Artikel, die zeigen sollen: Viktor Orbans´ Regierung greift durch bei der CoronaImpfung.
Als erstes – und bisher einziges – EU-Land setzt Ungarn nicht nur auf das von der EU ausverhandelte Impfstoff-Kontingent bei den West-Pharmakonzernen Pfizer und Moderna. Zusätzlich hat Budapest den russischen Sputnik-V-Impfstoff zugelassen. Die Vereinbarung mit Moskau sieht vor, dass das Präparat in drei Tranchen geliefert wird: Im ersten Monat sollen 300.000 Menschen, 500.000 im zweiten und 200.000 im dritten Monat versorgt werden. Wann die erste Lieferung in Ungarn ankommt, ist jedoch noch nicht genauer definiert.
Und Premier Orban´ setzt auch auf das Präparat der chinesischen Sinopharm. Ein entsprechender Deal über eine Million Dosen wurde Mitte Jänner abgeschlossen. Derzeit halten sich der Regierung zufolge ungarische Prüfer in Peking auf.
Merkel bietet Kooperation an
Geprüft werden von der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) aktuell die Vakzine von AstraZeneca und Janssen, einer Tochter von Johnson & Johnson. Russland will für den vom staatlichen GamalejaInstitut entwickelten Sputnik
Impfstoff ebenfalls eine EU-Zulassung. Ein Antrag auf Registrierung ist bereits bei der EMA eingebracht, mit einer Prüfung rechnet man im Februar. Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, stellte Moskau bereits eine gemeinsame Produktion des Sputnik-Vakzins in Aussicht, so es von der EMA zugelassen werde. Weitere Ankündigungen zur Zulassung – etwa von Präparaten aus China – gibt es bisher keine. Eine Anfrage der „Presse“zu einer etwaigen Zulassung von russischen und chinesischen Vakzinen blieb am Montag vonseiten der EMA zunächst unbeantwortet.
Dass Ungarn überhaupt ohne EU-weite Genehmigung eine Zulassung beschließen kann, liegt an einer Regelung der EMA: In dringenden Fällen dürfen auch nationale Behörden über Zulassungen entscheiden. Im Fall von Sputnik V ist das in Ungarn bereits geschehen. Auch Großbritannien ging vor dem endgültigen Ausscheiden aus der EU, im Dezember 2020 so vor, um Corona-Vakzine für den nationalen Gebrauch zuzulassen. Eine Zulassung für den Impfstoff von Sinopharm, der auf inaktivierten Coronaviren basiert, gibt es in Ungarn übrigens noch nicht.
Bis auf Ungarn verzichten die EU-Mitgliedstaaten derzeit noch auf Alleingänge bei der Impfstoffbeschaffung – und setzten auf die von der EU zugelassenen westlichen Präparate und ausverhandelten Kontingente. Doch der Unmut über stockende Pfizer-Lieferungen hat etwa in der Slowakei zu Forderungen geführt, dem ungarischen Beispiel zu folgen.
218.000 Serben geimpft
In der Türkei und in Serbien werden Impfstoffe made in China bereits eingesetzt. In Serbien ist das Vakzin aus dem fernen Bruderstaat sogar schon vor der nationalen Zulassung eingetroffen: Am 15. Jänner landete in Belgrad das Flugzeug aus Peking mit einer Million Sinopharm-Impfdosen an Bord.
Seit der Zulassung des Mittels am 19. Jänner ist die Zahl der geimpften Serben sprunghaft auf 218.000 Menschen gestiegen. Über ein Drittel der bisher rund 580.000 registrierten Impfwilligen in dem sieben Millionen Einwohner zählenden Balkanstaat ist damit geimpft. Negative Reaktionen auf Sinopharm wurden zumindest offiziell bisher noch keine vermeldet.
Auch das russische Präparat wird in Serbien bereits verimpft. Doch eine angekündigte Lieferung von 250.000 Sputnik-Dosen steht immer noch aus: Bisher ist das russische Vakzin auch in Serbiens Impfzentren ähnlich rar wie die US-Konkurrenz Pfizer.
Neben Serbien setzt auch Bosnien und Herzegowina auf direkte Verhandlungen mit Herstellern in Russland und China. Die Belieferung mit bereits bezahlten Impfdosen durch das Covax-Programm der EU blieb bisher aus.