Die Presse

Füllen Putin und Xi die Impflücke?

Europa. Während Ungarn im Alleingang Lieferunge­n russischer und chinesisch­er Impfstoffe ausverhand­elt hat, setzen die übrigen EU–Länder (noch) auf das gemeinsame EU-Lieferprog­ramm.

- VON ELISABETH POSTL, THOMAS ROSER (BELGRAD) UND IRENE ZÖCH

Wien/Amsterdam/Belgrad. Auf der offizielle­n Webseite der ungarische­n Regierung gibt es eine eigene Sparte allein für die Coronaviru­s-Maßnahmen. Sie ist Wort für Wort auf Englisch übersetzt, und über einer Panoramaau­fnahme von Budapest laufen Überschrif­ten wie „Premier Orban:´ Die Ungarn brauchen die Impfung, keine Erklärung“und „Premier Orban:´ Ungarns Impfkapazi­tät liegt weit über der Dosenanzah­l, die aus der EU geliefert wird“. Darunter stehen Artikel, die zeigen sollen: Viktor Orbans´ Regierung greift durch bei der CoronaImpf­ung.

Als erstes – und bisher einziges – EU-Land setzt Ungarn nicht nur auf das von der EU ausverhand­elte Impfstoff-Kontingent bei den West-Pharmakonz­ernen Pfizer und Moderna. Zusätzlich hat Budapest den russischen Sputnik-V-Impfstoff zugelassen. Die Vereinbaru­ng mit Moskau sieht vor, dass das Präparat in drei Tranchen geliefert wird: Im ersten Monat sollen 300.000 Menschen, 500.000 im zweiten und 200.000 im dritten Monat versorgt werden. Wann die erste Lieferung in Ungarn ankommt, ist jedoch noch nicht genauer definiert.

Und Premier Orban´ setzt auch auf das Präparat der chinesisch­en Sinopharm. Ein entspreche­nder Deal über eine Million Dosen wurde Mitte Jänner abgeschlos­sen. Derzeit halten sich der Regierung zufolge ungarische Prüfer in Peking auf.

Merkel bietet Kooperatio­n an

Geprüft werden von der europäisch­en Arzneimitt­elbehörde (EMA) aktuell die Vakzine von AstraZenec­a und Janssen, einer Tochter von Johnson & Johnson. Russland will für den vom staatliche­n GamalejaIn­stitut entwickelt­en Sputnik

Impfstoff ebenfalls eine EU-Zulassung. Ein Antrag auf Registrier­ung ist bereits bei der EMA eingebrach­t, mit einer Prüfung rechnet man im Februar. Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, stellte Moskau bereits eine gemeinsame Produktion des Sputnik-Vakzins in Aussicht, so es von der EMA zugelassen werde. Weitere Ankündigun­gen zur Zulassung – etwa von Präparaten aus China – gibt es bisher keine. Eine Anfrage der „Presse“zu einer etwaigen Zulassung von russischen und chinesisch­en Vakzinen blieb am Montag vonseiten der EMA zunächst unbeantwor­tet.

Dass Ungarn überhaupt ohne EU-weite Genehmigun­g eine Zulassung beschließe­n kann, liegt an einer Regelung der EMA: In dringenden Fällen dürfen auch nationale Behörden über Zulassunge­n entscheide­n. Im Fall von Sputnik V ist das in Ungarn bereits geschehen. Auch Großbritan­nien ging vor dem endgültige­n Ausscheide­n aus der EU, im Dezember 2020 so vor, um Corona-Vakzine für den nationalen Gebrauch zuzulassen. Eine Zulassung für den Impfstoff von Sinopharm, der auf inaktivier­ten Coronavire­n basiert, gibt es in Ungarn übrigens noch nicht.

Bis auf Ungarn verzichten die EU-Mitgliedst­aaten derzeit noch auf Alleingäng­e bei der Impfstoffb­eschaffung – und setzten auf die von der EU zugelassen­en westlichen Präparate und ausverhand­elten Kontingent­e. Doch der Unmut über stockende Pfizer-Lieferunge­n hat etwa in der Slowakei zu Forderunge­n geführt, dem ungarische­n Beispiel zu folgen.

218.000 Serben geimpft

In der Türkei und in Serbien werden Impfstoffe made in China bereits eingesetzt. In Serbien ist das Vakzin aus dem fernen Bruderstaa­t sogar schon vor der nationalen Zulassung eingetroff­en: Am 15. Jänner landete in Belgrad das Flugzeug aus Peking mit einer Million Sinopharm-Impfdosen an Bord.

Seit der Zulassung des Mittels am 19. Jänner ist die Zahl der geimpften Serben sprunghaft auf 218.000 Menschen gestiegen. Über ein Drittel der bisher rund 580.000 registrier­ten Impfwillig­en in dem sieben Millionen Einwohner zählenden Balkanstaa­t ist damit geimpft. Negative Reaktionen auf Sinopharm wurden zumindest offiziell bisher noch keine vermeldet.

Auch das russische Präparat wird in Serbien bereits verimpft. Doch eine angekündig­te Lieferung von 250.000 Sputnik-Dosen steht immer noch aus: Bisher ist das russische Vakzin auch in Serbiens Impfzentre­n ähnlich rar wie die US-Konkurrenz Pfizer.

Neben Serbien setzt auch Bosnien und Herzegowin­a auf direkte Verhandlun­gen mit Hersteller­n in Russland und China. Die Belieferun­g mit bereits bezahlten Impfdosen durch das Covax-Programm der EU blieb bisher aus.

 ?? [ Reuters] ?? Eine Million Impfdosen des chinesisch­en Hersteller­s Sinopharm wurden vor wenigen Tagen am Flughafen in Belgrad in Empfang genommen.
[ Reuters] Eine Million Impfdosen des chinesisch­en Hersteller­s Sinopharm wurden vor wenigen Tagen am Flughafen in Belgrad in Empfang genommen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria