Die Presse

Der Fürst und die neue Ära der goldenen Nasen

Serbien. Ein 23 Meter hohes Denkmal für Fürst Nemanja inmitten eines neuen Nobelviert­els in Belgrad erhitzt die Gemüter. Denn mit dem Projekt setzt Staatschef Vuˇci´c auch sich selbst ein – angeblich ziemlich lukratives – Denkmal.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad. Ein kühler Wind streicht durch das dürre Geäst der frisch gepflanzte­n Bäume auf der Baustelle am Belgrader Savski-Platz. Geschäftig rollen Arbeiter in Neonjacken grüne Grasmatten aus. Die Wolkendeck­e reißt auf: Hell taucht die Wintersonn­e den Denkmalkol­oss in einen fahlen Schein.

„Nach acht Jahrhunder­ten des Wartens“habe Serbien endlich ein Denkmal für Stefan Nemanja errichtet, jubiliert Belgrads „Stadtmanag­er“Goran Vesic´ vor der für Mittwoch geplanten Einweihung des Monuments für „den Gründer der größten serbischen Dynastie“. „Es sieht unwirklich aus. Ich bin überglückl­ich,“freut sich Präsident Aleksandar Vuciˇc´ über „den schönsten Platz in Belgrad“: „Serbien ist wie Phönix aus der Asche auferstand­en.“

„Schund und Kitsch“

Aus 23 Meter Höhe blickt der Sockelheld auf den einstigen Bahnhofsvo­rplatz der Zweistroms­tadt. Mit der Vereinigun­g von mehreren Fürstentüm­ern ebnete Großzupanˇ Stefan Nemanja im 12. Jahrhunder­t den Weg zu Serbiens Loslösung von Byzanz – und die kurze Eigenstaat­lichkeit im Mittelalte­r. Seine historisch­en Verdienste gelten als unumstritt­en. An der Größe und dem Design des von einem russischen Bildhauer geschaffen­en Bronzefürs­ten scheiden sich die Geister jedoch genauso wie an der Symbolik und den verschwieg­enen Kosten.

Als „Schund und Kitsch“, kritisiert die Opposition­spartei SSP das höchste Denkmal auf dem Balkan. Der Politologi­e-Professor Filip Ejdus wittert den Versuch, „den Mythos von Serbiens Goldenem Zeitalter“wiederzube­leben: „Es soll das Bild von Präsident Aleksandar Vuciˇc´ als Erneuerer der serbischen Größe nach Jahren der Erniedrigu­ng verstärken.“Kräne und Hochhausro­hbauten überragen den 1884 eröffneten und 2018 geschlosse­nen Hauptbahnh­of. 50 Kilometer Gleise, Lokschuppe­n und Eisenbahne­rwohnungen mussten für die Wohntürme des Nobelviert­els „Belgrad am Wasser“weichen. Unter früheren Regierunge­n sei der Bahnhof ein öffentlich­es Pissoir gewesen, wettert der Staatschef. Nun strahlt die renovierte und zum Museum umfunktion­ierte Bahnhofsha­lle im neuen Glanz.

Nachdenkli­ch blickt Dobrica Veselinovi­c´ auf die neue Skyline seiner Heimatstad­t. Deren Blitzmetam­orphose habe 2012 begonnen, als Vuciˇc´ als Bürgermeis­terkandida­t einen ersten Plan für „Belgrad am Wasser“präsentier­t habe, erzählt der Aktivist der Gruppe „Wir lassen Belgrad nicht ertrinken“: „Wir hielten das damals für ein Wahlverspr­echen, das nie verwirklic­ht werden würde.“

Offshore-Konstrukti­on?

Vuciˇc´ verlor zwar 2012 die Bürgermeis­terwahl. Aber seine SNS rutschte kurz danach auf die Regierungs­bank. Von einer Reise in die Arabischen Emiraten kehrte der damalige Vize-Premier mit einer 2014 präsentier­ten Maquette zurück: Mit „Eagle Hills“aus Abu Dhabi zauberte er einen Investor aus dem Morgenland aus dem Hut. Was danach folgte, umschreibt Veselinovi­c´ als „systematis­ches Abpumpen öffentlich­er Ressourcen in private Taschen“: „Nur die Profite werden privatisie­rt. Kosten und Risken trägt der Staat.“

Der Staat brachte 100 Hektar Grund und die Kosten für die Erschließu­ng ins Unternehme­n „Belgrade Waterfront“ein, an dem er zu einem Drittel beteiligt ist. Wie viel investiert und verdient wurde, ist beim intranspar­enten Projekt nicht ersichtlic­h: Erst nach zehn Jahren soll die erste Gewinnabre­chnung zwischen den Partnern erfolgen. Mindestens einmal pro Monat inspiziert­en Vuciˇc´ und der Ex-Bürgermeis­ter und heutige Finanzmini­ster Sinisa Mali die Baustellen, „als wären sie die eigentlich­en Investoren“, so Veselinovi­c:´ „Wir vermuten mittlerwei­le, dass Eagle Hills nur ein Schirm, eine Art Offshore-Konstrukti­on für das ganze Business ist.“

Öffentlich­e Wettbewerb­e und Ausschreib­ungen für die neue

Wasserstad­t gab es keine. Dafür räumte der Staat als Miteigentü­mer resolut alle Hinderniss­e aus dem Wege. Per Notverordn­ungen und Sondergese­tze wurden Bauvorschr­iften aufgehoben, Anwohner zwangsumge­siedelt, Kritiker mit Klagen und Prozessen überzogen. 2016 riss ein maskierter Bautrupp ohne Genehmigun­g eine ganze Straßenzei­le ab. Die von Anwohnern alarmierte Polizei schritt nicht ein. Auch Großdemons­trationen konnten die Bauarbeite­n nicht stoppen.

Protest mit Metallphal­lus

Die Kosten des Denkmals hat Belgrad zum Staatsgehe­imnis erklärt. Doch laut den Zollunterl­agen wird allein der Preis für die Statue auf über neun Millionen Euro taxiert. Mit dem „megalomane­n Phallus“sollten die Missstände der Stadt „maskiert“werden, sagt der Kunsthisto­riker Branislav Dimitrijev­ic:´ „Je weniger demokratis­ch eine Gesellscha­ft ist, desto mehr und größere Denkmäler hat sie.“

1500 Lämpchen erhellten den goldenen Metallphal­lus, den der Straßenkün­stler Andrej Josifovski Pijanista Mitte Dezember vor dem Rathaus installier­te, um den Bau des Nobelviert­els und des Denkmals zu geißeln. Wie zu Zeiten der Nemanjic-´Dynastie, als die Herrscher mit goldenen Löffeln tafelten, lebten „einige“erneut in goldenen Zeiten, so der Künstler. Doch die Kehrseite der Goldmedail­le sei grau. Jedes Jahr verließen 50.000 Menschen das Land. Die Korruption sei in allen Poren der Gesellscha­ft verwurzelt: „Für die übergroße Mehrheit bleibt als einziger Wert ihrer goldenen Hoffnungsl­osigkeit nur der goldene Phallus.“

Eine braune Brühe aus einem Abflussroh­r verfärbt an der neuen Flussprome­nade die Save. Belgrad habe immer noch keine Kläranlage­n, seufzt der Aktivist Veselinovi­c:´ „Ein Nobelviert­el ist das Letzte, was diese Stadt benötigt.“

 ?? [ AFP/Isakovic ] ?? Vor dem renovierte­n Bahnhof in Belgrad thront Serbiens Groߡzupan Stefan Nemanja (1113–1200) auf einem Denkmalsoc­kel.
[ AFP/Isakovic ] Vor dem renovierte­n Bahnhof in Belgrad thront Serbiens Groߡzupan Stefan Nemanja (1113–1200) auf einem Denkmalsoc­kel.

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