Der Fürst und die neue Ära der goldenen Nasen
Serbien. Ein 23 Meter hohes Denkmal für Fürst Nemanja inmitten eines neuen Nobelviertels in Belgrad erhitzt die Gemüter. Denn mit dem Projekt setzt Staatschef Vuˇci´c auch sich selbst ein – angeblich ziemlich lukratives – Denkmal.
Belgrad. Ein kühler Wind streicht durch das dürre Geäst der frisch gepflanzten Bäume auf der Baustelle am Belgrader Savski-Platz. Geschäftig rollen Arbeiter in Neonjacken grüne Grasmatten aus. Die Wolkendecke reißt auf: Hell taucht die Wintersonne den Denkmalkoloss in einen fahlen Schein.
„Nach acht Jahrhunderten des Wartens“habe Serbien endlich ein Denkmal für Stefan Nemanja errichtet, jubiliert Belgrads „Stadtmanager“Goran Vesic´ vor der für Mittwoch geplanten Einweihung des Monuments für „den Gründer der größten serbischen Dynastie“. „Es sieht unwirklich aus. Ich bin überglücklich,“freut sich Präsident Aleksandar Vuciˇc´ über „den schönsten Platz in Belgrad“: „Serbien ist wie Phönix aus der Asche auferstanden.“
„Schund und Kitsch“
Aus 23 Meter Höhe blickt der Sockelheld auf den einstigen Bahnhofsvorplatz der Zweistromstadt. Mit der Vereinigung von mehreren Fürstentümern ebnete Großzupanˇ Stefan Nemanja im 12. Jahrhundert den Weg zu Serbiens Loslösung von Byzanz – und die kurze Eigenstaatlichkeit im Mittelalter. Seine historischen Verdienste gelten als unumstritten. An der Größe und dem Design des von einem russischen Bildhauer geschaffenen Bronzefürsten scheiden sich die Geister jedoch genauso wie an der Symbolik und den verschwiegenen Kosten.
Als „Schund und Kitsch“, kritisiert die Oppositionspartei SSP das höchste Denkmal auf dem Balkan. Der Politologie-Professor Filip Ejdus wittert den Versuch, „den Mythos von Serbiens Goldenem Zeitalter“wiederzubeleben: „Es soll das Bild von Präsident Aleksandar Vuciˇc´ als Erneuerer der serbischen Größe nach Jahren der Erniedrigung verstärken.“Kräne und Hochhausrohbauten überragen den 1884 eröffneten und 2018 geschlossenen Hauptbahnhof. 50 Kilometer Gleise, Lokschuppen und Eisenbahnerwohnungen mussten für die Wohntürme des Nobelviertels „Belgrad am Wasser“weichen. Unter früheren Regierungen sei der Bahnhof ein öffentliches Pissoir gewesen, wettert der Staatschef. Nun strahlt die renovierte und zum Museum umfunktionierte Bahnhofshalle im neuen Glanz.
Nachdenklich blickt Dobrica Veselinovic´ auf die neue Skyline seiner Heimatstadt. Deren Blitzmetamorphose habe 2012 begonnen, als Vuciˇc´ als Bürgermeisterkandidat einen ersten Plan für „Belgrad am Wasser“präsentiert habe, erzählt der Aktivist der Gruppe „Wir lassen Belgrad nicht ertrinken“: „Wir hielten das damals für ein Wahlversprechen, das nie verwirklicht werden würde.“
Offshore-Konstruktion?
Vuciˇc´ verlor zwar 2012 die Bürgermeisterwahl. Aber seine SNS rutschte kurz danach auf die Regierungsbank. Von einer Reise in die Arabischen Emiraten kehrte der damalige Vize-Premier mit einer 2014 präsentierten Maquette zurück: Mit „Eagle Hills“aus Abu Dhabi zauberte er einen Investor aus dem Morgenland aus dem Hut. Was danach folgte, umschreibt Veselinovic´ als „systematisches Abpumpen öffentlicher Ressourcen in private Taschen“: „Nur die Profite werden privatisiert. Kosten und Risken trägt der Staat.“
Der Staat brachte 100 Hektar Grund und die Kosten für die Erschließung ins Unternehmen „Belgrade Waterfront“ein, an dem er zu einem Drittel beteiligt ist. Wie viel investiert und verdient wurde, ist beim intransparenten Projekt nicht ersichtlich: Erst nach zehn Jahren soll die erste Gewinnabrechnung zwischen den Partnern erfolgen. Mindestens einmal pro Monat inspizierten Vuciˇc´ und der Ex-Bürgermeister und heutige Finanzminister Sinisa Mali die Baustellen, „als wären sie die eigentlichen Investoren“, so Veselinovic:´ „Wir vermuten mittlerweile, dass Eagle Hills nur ein Schirm, eine Art Offshore-Konstruktion für das ganze Business ist.“
Öffentliche Wettbewerbe und Ausschreibungen für die neue
Wasserstadt gab es keine. Dafür räumte der Staat als Miteigentümer resolut alle Hindernisse aus dem Wege. Per Notverordnungen und Sondergesetze wurden Bauvorschriften aufgehoben, Anwohner zwangsumgesiedelt, Kritiker mit Klagen und Prozessen überzogen. 2016 riss ein maskierter Bautrupp ohne Genehmigung eine ganze Straßenzeile ab. Die von Anwohnern alarmierte Polizei schritt nicht ein. Auch Großdemonstrationen konnten die Bauarbeiten nicht stoppen.
Protest mit Metallphallus
Die Kosten des Denkmals hat Belgrad zum Staatsgeheimnis erklärt. Doch laut den Zollunterlagen wird allein der Preis für die Statue auf über neun Millionen Euro taxiert. Mit dem „megalomanen Phallus“sollten die Missstände der Stadt „maskiert“werden, sagt der Kunsthistoriker Branislav Dimitrijevic:´ „Je weniger demokratisch eine Gesellschaft ist, desto mehr und größere Denkmäler hat sie.“
1500 Lämpchen erhellten den goldenen Metallphallus, den der Straßenkünstler Andrej Josifovski Pijanista Mitte Dezember vor dem Rathaus installierte, um den Bau des Nobelviertels und des Denkmals zu geißeln. Wie zu Zeiten der Nemanjic-´Dynastie, als die Herrscher mit goldenen Löffeln tafelten, lebten „einige“erneut in goldenen Zeiten, so der Künstler. Doch die Kehrseite der Goldmedaille sei grau. Jedes Jahr verließen 50.000 Menschen das Land. Die Korruption sei in allen Poren der Gesellschaft verwurzelt: „Für die übergroße Mehrheit bleibt als einziger Wert ihrer goldenen Hoffnungslosigkeit nur der goldene Phallus.“
Eine braune Brühe aus einem Abflussrohr verfärbt an der neuen Flusspromenade die Save. Belgrad habe immer noch keine Kläranlagen, seufzt der Aktivist Veselinovic:´ „Ein Nobelviertel ist das Letzte, was diese Stadt benötigt.“