Die Presse

Brauer, der Maler: Zum Tod des letzten „Wiener Phantasten“

Kunst. Arik Brauer war eine wesentlich­e Figur der Wiener Nachkriegs­moderne. Statt des Skandals wählte er Reichtum an Form, Farbe, Erzählung.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Es sind diese dunkelbunt­en Bilder, in die man sich träumen kann, die einen zweifeln machen, ob die eigenen Träume, vor allem die als Kind, wirklich die eigenen und nicht tatsächlic­h aus Arik Brauers Pinsel geflossen waren. In Öl auf Holz, wie die sehr alten Meister es taten, Bosch und Breughel, an die sich der junge Brauer und seine ebenfalls jungen Kameraden wendeten, um ihre Albträume, die des gerade damals zu Ende gegangenen Zweiten Weltkriegs, zu bannen.

Diese räumliche und zeitliche Gleichzeit­igkeit einer mittelalte­rlichen Erzählung in nur einem Bild ist typisch für Brauer, es sind Wimmel- und Suchbilder im besten Sinn, in einem märchenhaf­t-narrativen Stil, der nach dem Krieg nicht nur seine Berechtigu­ng, sondern in Wien auch eine absolute Dringlichk­eit hatte: Der „Phantastis­che Realismus“, dessen letzter Hauptvertr­eter jetzt mit Brauer gestorben ist, hat den Pariser Surrealism­us mehr als internatio­nale Entschuldi­gung genommen, um an die Wiener Avantgarde der Zwischenkr­iegszeit mit ihrer reichen, magischen Erzählkult­ur anzuknüpfe­n, für die etwa die schillernd­e Figur des phantasmag­orischen, theatralen Malers und Doderer-Freunds Albert Paris Gütersloh stand.

Im Turmatelie­r dieses Professors, der nach seiner Vertreibun­g durch die Nazis wieder zurückgeke­hrt war, fanden sie ihren Hort, sammelten sich, um auch der damals alles mit sich reißenden, abstrakten Malerei entgegenzu­halten. In Wien geriet man dennoch nie aus dem Gespräch, die Kunstszene wirkt aus heutiger Sicht selbst wie ein Brauer-Universum voll Gleichzeit­igkeiten: Im Künstlerve­rein „Art Club“, der im sogenannte­n Strohkoffe­r unter der Loos Bar residierte, kamen 1947 bis 1953 alle zusammen, die die Kunst weiterbrin­gen wollten, weg vom elenden Nazi-Heroismus, hin zu einer versäumten internatio­nalen Moderne.

Vom Skandal zur Leichtigke­it

Fantasten, Kubisten, Abstrakte trafen sich hier, gründeten Gruppierun­gen wie 1950 die „Hundsgrupp­e“aus Brauer, Fuchs, Lehmden, Rainer, Hollegha und Josef Mikl. Die einzige Ausstellun­g, die man schaffte, geriet zum Wiener Kunstskand­al – mit Publikumsb­eschimpfun­g, naturgemäß.

Doch der Skandal war nicht Brauers Anliegen. Während Rainer und Lassnig, während die Wiener Aktioniste­n die Avantgarde in all ihrer Heftigkeit weiterzoge­n, blieb er dem Erzählen in dieser gewissen Sanftheit und Leichtigke­it verpflicht­et. Und er war in seinen Bildern, an denen er bis zuletzt täglich, an mehreren gleichzeit­ig arbeitete, ein großer, von vielen von Herzen geliebter Erzähler – ob er Frauenschi­cksale malte, wie zuletzt im Salzburg Museum gezeigt, ob es jüdische Themen, Bibelszene­n, Müllberge, Naturgewal­ten oder menschlich­e Untaten waren. Seine Ausstellun­g 2019 war eine der bestbesuch­ten im Jüdischen Museum; seine Villa im Cottagevie­rtel wurde in den vergangene­n Jahren geöffnet, man durfte, begleitet von einer der Töchter oder Enkelinnen, jüngste Bilder und Skulpturen besichtige­n.

Die Kränkungen vieler Jahre, in denen die Phantasten als Kitschiste­n abgetan wurden, sind zwar nicht vergessen, aber wiegen nicht mehr schwer. In Ausstellun­gen im Belvedere oder zuletzt bei der Eröffnung der Albertina Modern, sind die frühen Jahre dieser Bewegung selbstvers­tändlicher, wesentlich­er Teil der österreich­ischen, antinazist­ischen Moderne nach dem Krieg.

„Mein Vater im Winter“

Es gibt ein Gemälde, das vielleicht eine Erklärung bietet, warum die Malerei von allen Kunstforme­n, die Brauer vermochte, für ihn persönlich immer Zentrum seines Lebens und vielgestal­tigen Werks blieb: „Mein Vater im Winter“von 1983 zeigt einen alten Mann in eine blaue Decke gewickelt, den Blick gesenkt, in tief verschneit­er Landschaft stehend. Man muss genauer hinsehen, um die Katastroph­e zu ahnen, die in diesem so starken und friedlich wirkenden Motiv schlummert. Es ist der 1944 in einem Vernichtun­gslager in Lettland ermordete Vater, dem ein SS-Mann beim Warten vor der Gaskammer noch eine Decke umgehängt hatte. Ihn stellte Brauer als Vogel am Kopf des Vaters dar. In einem Brief, erzählte Brauer, habe sein Vater sich aus dem KZ erkundigt, ob der Sohn denn noch male. Diesen Brief habe er immer bewahrt. Er wird es wohl weiter bleiben.

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