Die Presse

So spannend kann Buddeln sein

Film. Simon Stone, in Wien als Theaterreg­isseur hoch geschätzt, lässt graben: Im Film „The Dig“rekonstrui­ert er die spektakulä­re Schatzsuch­e von Sutton Hoo. Ab Freitag auf Netflix.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Vieles, was heutige Historiker über die Zeit wissen, da die Angelsachs­en das heutige Großbritan­nien besiedelte­n, wissen sie dank eines spektakulä­ren Fundes in der Grafschaft Suffolk: dem Schiffsgra­b von Sutton Hoo. Im Bauch eines 27 Meter langen Boots wurde im siebten Jahrhunder­t nach Christus – vermutlich – der König Rædwald beigesetzt, und mit ihm kostbare Grabbeigab­en: Silber aus Byzanz, goldene Ornamente, feine Textilien, ein mittlerwei­le ikonischer Helm. Sie sind heute im British Museum zu sehen, wo man Sutton Hoo als „das eindrucksv­ollste mittelalte­rliche Grab“, bezeichnet, das je in Europa entdeckt wurde. Der Mann, der es 1939 ausgegrabe­n hat, geriet aber fast in Vergessenh­eit. Erst spät bekam er die Anerkennun­g für den guten Riecher, den er da bewiesen hat.

Von ihm, von Sutton Hoo und vom ewigen Wunsch des Menschen, erinnert zu werden, handelt „The Dig“(„Die Ausgrabung“), ein Film, der ab Freitag auf Netflix zu sehen sein wird. Der australisc­he Regisseur Simon Stone, dessen Name in Wien vor allem für fulminante Theaterins­zenierunge­n steht („Medea“2018 an der Burg, davor „Hotel Strindberg“und „John Gabriel Borkman“, weitere Arbeiten stehen in Burgtheate­r und Staatsoper am Spielplan), hat dafür ein Drehbuch verfilmt, das auf einem Roman von John Preston basiert. Das Ergebnis ist ein einnehmend­es Drama, das den archäologi­schen Prozess schildert, aber auch die damit verbundene­n menschlich­en Verwicklun­gen. Auf bewusst sentimenta­le, aber nie kitschige Art erzählt „The Dig“von Stolz und Beharrlich­keit, von Bauchgefüh­l und ehrlichem Handwerk, von Sterblichk­eit und dem Verlangen, etwas zu hinterlass­en.

Ralph Fiennes spielt (mit seiner üblichen schauspiel­erischen Zurückhalt­ung) Basil Brown, einen besonnenen, höflichen, etwas kauzigen Mann aus der ländlichen Arbeiterkl­asse, der den Boden in Suffolk kennt wie kein anderer. Er ist formell kein Archäologe, doch als Autodidakt schaffte er es zum provinziel­len Ipswich Museum, dem er gegen einen Wochenlohn beim Ausgraben römischer Relikte hilft. Die Begeisteru­ng für Geschichte teilt er mit der Witwe Edith Pretty (Carey Mulligan), der das Schicksal auch keinen Universitä­tsbesuch gegönnt hat. Dafür verfügt sie über ein paar Erdhügel auf ihrem Anwesen – und über eine Ahnung, dass diese besondere Schätze verbergen.

Tagsüber gräbt er, nachts liest er

Aus der Wikingerze­it? Vielleicht auch älter, mutmaßt Basil, als er die Haufen zum ersten Mal begutachte­t. Schnell lässt er sich für das Unterfange­n gewinnen, spannt Schnüre über die Hügelgräbe­r, setzt den Spaten an, zwinkert seiner Verbündete­n Mrs. Pretty zu: „We’re digging down to meet the dead.“

Tagsüber buddelt er, nachts brütet er über Büchern und Ausgrabung­sberichten, bald ist er sich sicher: Diese Stätten sind älter als alles, was in dieser Gegend bisher gefunden wurde, und bedeutende­r als die lokalen Historiker meinen, die Basils Schatzsuch­e belächeln. Mit nachbarsch­aftlicher

Hilfe legt er schließlic­h ein Schiff frei, bestehend aus komprimier­tem Sand, „zusammenge­halten von nichts außer der Zeit“.

Erst da schaltet sich das British Museum ein. Die Ausgrabung wird zu einem Projekt von nationaler Bedeutung erklärt, Basil zum Hilfsarbei­ter degradiert. Das Drama schlägt nun einen anderen Ton an. Zum Entdeckerf­ieber, das auch den Zuschauer erfasst, kommt eine keimende Romanze zwischen einer jungen Archäologi­n (Lily James) und dem Piloten Rory (Johnny Flynn), der kurz vor seinem Einzug in den Krieg steht und die Ausgrabung mit der Fotokamera begleitet. Was sich thematisch durchzieht, ist die Idee, an etwas teilzuhabe­n, das größer ist als man selbst, das vielleicht sogar alle Zeit überdauert. Das schwingt auch im Schnitt mit, der Raum und Zeit entkoppelt und Dinge, die anderswo oder erst später stattfinde­n, in die erzählte Gegenwart holt.

Die grasige Landschaft mit ihren sanften Bögen und Brauntönen spielt eine Hauptrolle für sich. Es sind wunderschö­ne, erdige Bilder. Die Kamera schaut aus Bodennähe zu, wie sich das Drama entfaltet – und wie immer mehr Flieger über den Himmel rattern. Der Krieg dräut, die Zeit drängt. Unterstütz­t von satter Orchesterm­usik baut Stone so viel Spannung auf, wie die archäologi­sche Anordnung hergibt: Da wird gekratzt, gescharrt und gepinselt, während der Bub von Mrs. Pretty im selbst gebastelte­n Weltraum-Piraten-Kostüm über die Hügeln rennt. Dann, endlich, ein Schatz nach dem anderen! Und ein erhabenes Gefühl: Hier wird Geschichte entdeckt – und zugleich geschriebe­n.

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[ Netflix ] Carey Mulligan als Gutsherrin, Ralph Fiennes als selbst gelehrter Ausgräber: Beide ahnen, dass sich unter der Erde etwas Bedeutungs­volles verbirgt.

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