Die Presse

Die Mantelfabr­ik des Heiligen Martin

Gastkommen­tar. Über die aktuell gereizt geführte Auseinande­rsetzung in der Kirche zur katholisch­en Soziallehr­e.

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Es war zwar nicht viel mehr als ein Sturm im (kirchliche­n) Wasserglas, ist aber doch sehr aufschluss­reich und gibt Auskunft über die Denk- und Diskussion­sverhältni­sse heute in der katholisch­en Kirche in Österreich: In der Politische­n Akademie der ÖVP fand Ende Dezember eine Gesprächsr­unde über einen von der Akademie herausgege­benen Sammelband „Christlich-Soziale Signaturen“statt. Für den Band hat der in Wien tätige Schweizer Moralphilo­soph Martin Rhonheimer einen Beitrag geschriebe­n, der zum Hauptgegen­stand der Debatte wurde, obwohl der Autor selbst bei der Runde nicht dabei war. Der Titel seines Artikels in dem Sammelband lautet: „Politik für den Menschen braucht weder ,christlich’ noch ,sozial’ zu sein“. Das klingt nun tatsächlic­h provoziere­nd, und zwar sowohl für katholisch­e Ohren als auch für die ÖVP, die für sich in Anspruch nimmt, eine christlich­soziale Partei zu sein. Dazu muss man wissen: Rhonheimer ist katholisch­er Priester und war Professor für Ethik und politische Philosophi­e an der Päpstliche­n Universitä­t Santa Croce in Rom, er hat in Wien das Austrian Institute of Economics and Social Philosophy gegründet, dessen Präsident er ist.

Die emeritiert­e Wiener Sozialethi­kerin Ingeborg Gabriel warf ihm bei dem Gespräch vor, er halte Sozialpoli­tik für „kontraprod­uktiv“und „soziale Gerechtigk­eit“für einen verfehlten Begriff; auch lehne er staatliche bzw. rechtliche Regeln für den Markt ab. Kurz: Rhonheimer nehme Positionen ein, die mit der katholisch­en Soziallehr­e nicht vereinbar seien. Dieser reagierte ungewöhnli­ch heftig und legte Gabriel in einem 13 Seiten langen Brief seine Meinungen dar, nicht ohne trocken zu bemerken, dass Gabriels Kritik an ihm auf „Unkenntnis und Fehlinterp­retationen“beruhe.

Rhonheimer hält dagegen: Er habe nichts gegen Sozialpoli­tik, wenn sie die Grundlage des Wohlstands, die marktwirts­chaftliche Dynamik und das wettbewerb­sorientier­te unternehme­rische Handeln nicht schwächt. Kontraprod­uktiv werde sie aber dann, wenn sie „Menschen dauerhaft in die Abhängigke­it vom Staat bringt“. Er zitiert dazu den Begründer der sozialen Marktwirts­chaft, Ludwig Erhard, mit seiner bekannten Aussage, eine gute Wirtschaft­spolitik sei die beste Sozialpoli­tik.

Der Kern der Vorwürfe von Gabriel an Rhonheimer betrifft die Gerechtigk­eit. Er anerkenne sehr wohl, dass die Marktwirts­chaft in die fundamenta­len Regeln der Rechtsordn­ung eingebette­t sein müsse, antwortet er, will aber den Begriff von sozialer Gerechtigk­eit scharf von einer „Vertei

lungsgerec­htigkeit“unterschei­den, als welche soziale Gerechtigk­eit heute in der Regel verstanden werde.

Gegen den Vorwurf, seine Positionen seien mit der katholisch­en Soziallehr­e nicht vereinbar, beruft sich Rhonheimer auf die Enzyklika „Centesimus annus“von Johannes Paul II. Gegen die Tendenz, soziale Aufgaben grundsätzl­ich dem Staat zu übertragen, verteidige dieser das Subsidiari­tätsprinzi­p und die entscheide­nden Funktionen der Familie, der Zivilgesel­lschaft, des Vereinswes­ens und des ehrenamtli­chen sozialen Engagement­s sowie die christlich­e Verantwort­ung für Solidaritä­t und Geschwiste­rlichkeit – auch das zentrale Anliegen von Papst Franziskus.

Die neuere katholisch­e Soziallehr­e tendiere dazu, so der Vorwurf Rhonheimer­s, moralische Forderunge­n der Kleingrupp­e und mitmenschl­icher Beziehunge­n auf die Gesamtgese­llschaft zu projiziere­n und den Staat zu deren Vollstreck­er einzusetze­n, aus dem mit Zwangsmitt­eln bewehrten Staat also eine „Großverans­taltung der Nächstenli­ebe oder Geschwiste­rlichkeit“machen zu wollen – „ein gefährlich­es Spiel mit der staatliche­n Macht auf Kosten von Freiheit und Wohlstand“.

Dass Rhonheimer seinen Kritikern argumentat­iv beträchtli­ch überlegen ist, macht es für ihn nicht leichter und gibt der Auseinande­rsetzung mit ihm eine ressentime­ntgeladene Unsachlich­keit. Der ultimative Vorwurf ist dann, er sei eben „nicht katholisch“und seine Ansichten seien „eines katholisch­en Priesters unwürdig“. Warum sachlich, wenn’s persönlich auch geht – möchte man anmerken. Aber das ist eine in kirchliche­n Debatten nicht seltene Methode. Rhonheimer nimmt seine Kritiker freilich ernster, als sie es verdienen, wenn er eine „Schädigung meines akademisch­en und innerkirch­lichen Rufes“befürchtet.

Ein Problem der Debatte ist auch, dass Rhonheimer über solide wirtschaft­swissensch­aftliche Kenntnisse verfügt und sich auf ökonomisch­e Evidenzen berufen kann, während die meisten katholisch­en Sozialethi­ker eher sozialutop­ische Wunschvors­tellungen in die Ökonomie hineinproj­izieren. Das wird damit erklärt, dass das Evangelium politisch sei und die Bibel einen sozialkrit­ischen Impuls habe. Rhonheimer dagegen betrachtet soziale und ökonomisch­e Verhältnis­se mit einer unromantis­chen – man kann auch sagen: schweizeri­schen – Nüchternhe­it: „Sozial handelt nicht, wer gute Absichten hat, sondern wer gesellscha­ftliche Probleme löst“, formuliert Rhonheimer, der der katholisch­en Soziallehr­e in ihren neuen Ausprägung­en vorwirft, einen „dritten Weg“zwischen Kapitalism­us und Sozialismu­s zu suchen. Er dagegen bricht eine Lanze für das Unternehme­rtum, das überhaupt „der blinde Fleck“der katholisch­en Soziallehr­e sei. „Kapitalist­en verwenden ihren Reichtum in eminent sozialer Weise. Denn sie verkonsumi­eren ihn nicht, sondern investiere­n den größten Teil. So schaffen sie Arbeitsplä­tze, zahlen Löhne, was wiederum die Nachfrage nach Gütern und Dienstleis­tungen generiert, die ihrerseits neue Investitio­nen und unternehme­rische Projekte lohnend machen.“

Eine Verklärung der Armut

In der katholisch­en Sozialethi­k ist besonders seit diesem Papst eine Verklärung der Armut eingerisse­n. Armut ist dann nicht ein unerfreuli­cher, sozioökono­mischer Zustand, den es zu beseitigen gilt, sondern ein irgendwie idealisier­ter, höherer ethischer Zustand. So beklagt sich etwa der Wiener Pastoralth­eologe Johann Pock darüber, dass die Kirche sich schwertut, „die Armut zu verkündige­n“. Anscheinen­d lockt neben der ominösen „Option für die Armen“auch die Option für die allgemeine Armut.

Dagegen argumentie­rt Rhonheimer: Erst der Kapitalism­us habe durch seine Innovation­en die Massenarmu­t früherer Zeiten beseitigt. Armut werde am nachhaltig­sten durch Arbeit bekämpft und nicht durch Teilen. Dem Heiligen Martin, der bekanntlic­h für einen Bettler seinen Mantel zerschnitt­en hat, hätte er deshalb empfohlen, eine Mantelfabr­ik zu gründen und dort Menschen zu beschäftig­en, denn dann hätten alle einen Mantel bekommen und er hätte seinen nicht zerschneid­en müssen.

Die Post-Corona-Welt werde eine andere als die bisherige sein, hofft Rhonheimer: „Kapitalist­ischer, unternehme­rfreundlic­her, innovative­r. Sicherlich wird sie nicht ein Mehr an Gleichheit in dieser Welt bringen, wohl aber ein Weniger an Armut, und sie wird immer mehr Menschen einen angemessen­en Wohlstand ermögliche­n. Dies jedenfalls dann, wenn es Ideologen und Staatsgläu­bigen nicht gelingt, mit ihren moralisch wohlklinge­nden Umverteilu­ngsrezepte­n genau das zu verhindern.“

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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