Nur ned hudln! Oder auf gut Coronadeutsch: Chillt’s, Leutln!
Warum die Pandemie ein Denglisch-Superspreader und Planungssicherheit in einer coronaverseuchten Welt eher ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Die Regierungsspitze flicht elegant englisches Wortgut in ihre täglichen Pandemievorlesungen.
Soll niemand sagen, die Politik kümmere sich in diesen harten Lockdownzeiten nicht um die fremdsprachliche (Weiter-)Bildung der Bürgerinnen und Bürger: Frei nach dem Motto „Deutsch ist schön, Englisch ist schön, wie schön muss erst die Kombination aus beidem sein“flicht die Regierungsspitze elegant englisches Wortgut in ihre täglichen Pandemievorlesungen. Nur Sprachpuristen meckern, bei diesem Denglisch handle es sich um sprachlichen Totalgeschmacksverlust, somit um eine zwar harmlose, aber trotzdem unerwünschte Nebenwirkung von Covid-19.
Klar, Englisch ist die internationale Lingua franca, weltweit nutzen mehr als eine Milliarde Menschen Englisch als Mutter- oder Zweitsprache – diese gemeinsame Sprache verbessert (zumindest von der
Idee her) die Verständigungsmöglichkeiten in einer globalisierten Welt. Lockdown? Ist das rund um den Erdball gebräuchliche Vokabel für die mehr oder minder radikale Stilllegung eines Landes, um Ansteckungsketten zu durchbrechen: Sofort weiß man in aller Welt, was daheim und anderswo Sache ist.
Andererseits ist das Englisch der Generation 80 plus oft schon sanft eingerostet – oder gar nicht vorhanden, weil Fremdsprachen in der Zwischenkriegs- und vor allem in der Nazizeit bekanntlich nicht zu den Pflichtgegenständen zählten. Aber vielleicht sorgt ja die Community Nurse, vormals schlicht Dorfhelferin, Familienschwester oder Gemeindepfleger (m/w/*), dafür, dass die von Covid-19 besonders bedrohten älteren Leutchen mit den englischen Phrasen zurechtkommen. Freilich wäre die deutsche Sprache reichhaltig genug, um passende Begriffe etwa für Contact Tracing (Kontaktnachverfolgung), Home Office (Heimarbeit), Super Spreader (extrem ansteckende Person), Home Schooling (Heimunterricht), Check Box (Schnupfenbox), Distance Learning (Lernen auf Distanz), Hammer and Dance (Einschränkung und Öffung), Flatten the curve (Abflachen der Kurve), Peak (Höhepunkt), Game Changer (Paradigmenwechsel) Social Distancing (Abstand halten) etc. etc. zu finden. Wobei die Briten zu Heimarbeit eigentlich Work from Home oder Remote Working sagen; Home Office heißt dort nämlich das Innenministerium.
Laut „Duden“würden im Deutschen an die 500.000 Wörter zur Verfügung stehen, die Standardsprache circa 75.000 Wörter umfassen. Aus diesem Pool fischen Muttersprachler (m/w/*) durchschnittlich 12.000 bis 16.000 Wörter. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger braucht derzeit deutlich weniger. Sie findet ihr Auslangen mit „Planbarkeit“und „Planungssicherheit“, die von der Regierung einzufordern sie nicht müde wird. Auch TV-Moderatoren, Gastronomen, Eltern, Lehrer, Kunstschaffende, Theaterund Museumsdirektoren (m/w/*) wollen „Planungssicherheit“. Und, ja, stimmt schon, der Lockdown ist zach. Gern würde man wissen, wann man wieder Freunde umarmen, Kinder in die Schule schicken, reisen, ins Theater, Museum, Kino oder Restaurant gehen kann. Doch ein Blick über Österreichs Grenzen zeigt: Planungssicherheit gibt es kaum wo in dieser coronaverseuchten Welt. Selbst SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner, bekanntlich keine allzu enge Freundin der Regierungsspitze, erteilt Kristallkugelprognosen über die Entwicklung der Pandemie eine dezidierte Absage. In ihrem Vorleben war PRW u. a. Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit. Seit Mitte Dezember hat Katharina Reich diesen von Türkis-Blau wegrationalisierten und von Türkis-Grün wieder etablierten Posten inne, allerdings unter der viel fescheren Berufsbezeichnung Chief Medical Officer (oder, gendergerecht, doch eher Officerin?). In einem erinnerungswürdigen „ZiB 2“-Interview verteidigte CMO Reich das anfängliche Impf-Schneckentempo und dass der seit 2008 ventilierte E-Impfpass noch immer nicht auf Schiene ist. Weil: Nur ned hudln! Oder, wie ein Denglisch-Native Speaker sagen könnte: Chillt’s, Leutln!
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Zur Autorin:
Dr. Andrea Schurian ist freie Journalistin. Die ehemalige ORFModeratorin („KunstStücke“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerporträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturressort der Tageszeitung „Der Standard“. Seit Jänner 2018 ist sie Chefredakteurin der jüdischen Zeitschrift „NU“.
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