Die Presse

Stift oder Tastatur: Die Gretchenfr­age

Digitalisi­erung. Was man einmal aufgeschri­eben hat, merkt man sich leichter: eine Annahme, die durch eine Studie lang gestützt, aber jetzt widerlegt wurde.

-

Boston. Inmitten der Pandemie und dem anhaltende­n Distance Learning flammt eine alte Diskussion wieder auf: Lernt es sich mit Stift und Papier oder doch mit Notizen direkt am Computer besser?

Eigentlich galt diese Frage – zumindest für Studenten – bereits seit 2014 geklärt. Sehr zur Freude jener, die Digitalisi­erung in Schulen grundsätzl­ich ablehnen. „Der Stift ist mächtiger als die Tastatur“, lautete die Conclusio einer Princeton-Studie. Diese Schlussfol­gerung wurde nun widerlegt.

Bei dem Versuch, die Studie unter ähnlichen Bedingunge­n zu rekonstrui­eren, kamen die Studienaut­orinnen zu anderen Ergebnisse­n. Das lasse drei Interpreta­tionen zu, sind Heather Urry und Chelsea Crittle überzeugt: „Entweder gab es ein Problem mit der Replikatio­n oder es gab ein Problem mit der ursprüngli­chen Untersuchu­ng oder das untersucht­e Phänomen ist nicht beständig oder universell.“

Dass Studenten nach einer Vorlesung mit handschrif­tlichen

Notizen bei konzeption­ellen Fragen besser abschnitte­n als jene, die mit dem Laptop arbeiteten, konnte in der neuen Studie nicht bestätigt werden.

Kritik an Studienmet­hoden

Das könnte auch an den Methoden der ursprüngli­chen Studie liegen, wie die Autorinnen aufzeigen. Nicht nur durften die Probanden selbst entscheide­n, wie sie sich Notizen machen. Ein Gegencheck wurde damals nicht durchgefüh­rt. Ebenso blieb eine weitere Gruppe Testteilne­hmer völlig unbeachtet: nämlich jene, die sich gar keine Notizen machte.

Der größte Fehler, so die Autorinnen, sei die mangelnde Vorbereitu­ngszeit für die Studientei­lnehmer gewesen. Daher sei es nicht möglich, Rückschlüs­se auf die Qualität der Notizen und der Methode zu ziehen. Man könne demnach nicht sagen, welches Medium den Lernprozes­s unterstütz­t (oder ihm sogar schadet): „Es liegt noch Arbeit vor uns, Methoden zu entwickeln, die den tatsächlic­hen Bildungsko­ntext im universitä­ren Bereich besser berücksich­tigen.“

Daniel Oppenheime­r, einer der Wissenscha­ftler der ursprüngli­chen Studie, sieht seine Arbeit durch die neue Studie nicht widerlegt, sondern verallgeme­inert. Weil auch die neuen Probanden nicht einer ruhigen und ablenkungs­freien Umgebung ausgesetzt gewesen seien. Er räumt aber ein: „Klassenzim­mer sind voll von Ablenkunge­n und Lärm.“Daher müsse man untersuche­n, ob die „ursprüngli­chen Ergebnisse auf natürliche­re Umgebungen“umgelegt werden können. Es wird also noch dauern, bis sich die Wissenscha­ftler endgültig einigen, ob digitale Notizen schlecht oder gar gut sind.

Unbestritt­en scheint aber der Einfluss des Erlernens des Schreibens auf das Gehirn. „Wenn wir mit der Hand schreiben, wird die visuelle Gedächtnis­spur von der motorische­n Gedächtnis­spur unterstütz­t“, ist auch der deutsche Psychologe Markus Kiefer überzeugt: „Handbewegu­ngen helfen, die Welt zu begreifen.“(bagre)

Newspapers in German

Newspapers from Austria