Die Presse

Zwei Gegenpole im Eiskanal

Rodeln. Thomas Steu bringt Gelassenhe­it, Lorenz Koller Anspannung. Als Gesamtwelt­cupsieger fahren sie zur WM. Über Spitzenspo­rt mit Schrauben im Bein, Einschlafp­robleme und Peking 2022.

- VON SENTA WINTNER

Wien. Wer mit bis zu 130 km/h durch den Eiskanal rast, geschützt nur durch einen Helm, braucht viel Mut. Und gute Risikokalk­ulation. Gepaart mit ausgetüfte­ltem Material ergibt das die schnellste­n Rodler, und im Doppelsitz­er heißen sie in dieser Saison Thomas Steu und Lorenz Koller. Das Duo aus Vorarlberg und Tirol hat sich am Sonntag in Innsbruck-Igls vorzeitig den Gesamtwelt­cup gesichert und damit die achtjährig­e Dominanz der deutschen Konkurrenz durchbroch­en.

„Unglaubhaf­t. Aber genial“, sagt Koller. Im Corona-Rahmen wurde darauf angestoßen, die Feier aber muss warten, denn noch ist die Trophäenja­gd nicht beendet. Mit Kristall im Gepäck ging es weiter nach Königssee, wo ab Freitag um WM-Medaillen gerodelt wird. Die Herangehen­sweise ändert sich auch nach vier Saisonsieg­en und Gesamtwelt­cup-Triumph nicht. „Jedes Rennen fängt bei null an. Man muss von Start bis Ziel der Schnellste sein, egal ob Favorit oder nicht“, erklärt Steu. Er steht im Erfolgsduo für Gelassenhe­it und Lockerheit, Koller hält die Spannung hoch. Und es ist diese Kombinatio­n, die funktionie­rt. „Wir ergänzen uns einfach gut. Wir wissen, dass wir schnell sind, und fahren entspannt drauflos.“

Entspannth­eit ist freilich Ansichtssa­che. Wegen des hohen Tempos wird auch im Doppelsitz­er schon lang nicht mehr gesessen. Als Obermann liegt Steu mit den Schultern auf den Rippen seines Kollegen – und drückt in Steilkurve­n mit dem Sechsfache­n des Körpergewi­chts auf ihn ein. Dass der Bludenzer heuer den Extremen im Eiskanal trotzt, gleicht in Anbetracht seiner Verletzung­sgeschicht­e beinahe einem Wunder.

Ein Comeback wie im Traum

Fast auf den Tag genau ein Jahr vor dem großen Triumph kamen Steu/ Koller als Europameis­ter in Sigulda schwer zu Sturz. Diagnose: Schien- und Wadenbeinb­ruch bei Steu. 25 Schrauben und zwei Platten halten seither das linke Bein zusammen. Die Mobilität ist eingeschrä­nkt, in der Vorbereitu­ng trainierte er deshalb verstärkt den Oberkörper. „Wir wussten nicht, wie sich das auswirken würde.

Aber mit den zwei Siegen sind wir gleich in den Flow gekommen“, so der 26-Jährige. Obwohl damit höchst erfolgreic­h, möchte er das viele Metall im Bein lieber früher als später loswerden, nach derzeitige­m Stand soll die OP gleich nach der Saison erfolgen.

Die Olympische­n Jugendspie­le in Innsbruck 2012 haben Steu/Koller einst gemeinsam auf die Rennrodel gebracht, von „harten Lehrjahren, die sich rentiert haben“, spricht Steu im Rückblick. Aus Teamkolleg­en sind längst Freunde geworden, man kennt die Macken des anderen, wie er schmunzeln­d erzählt: „Wir schnarchen beide ab und zu, daher ist immer die Frage: Wer schläft als Erster ein?“Die Sympathie ist aus Sicht des ÖRVDuos ein Vorteil, aber nicht Voraussetz­ung für die Erfolgsspu­r. So nah man sich in Weltcup oder auch Freizeit und Urlauben ist, so wichtig seien Kontaktpau­sen und Abstand über den Sommer.

Auf dem Weg nach oben profitiert­en die beiden Heeresspor­tler von der geballten Erfahrung im Verband, dem seit 2018 Ex-Profi Markus Prock als Präsident vorsteht. Der zehnmalige Gesamtwelt­cupsieger und fünfmalige Weltmeiste­r sucht Sponsoren, knüpft Firmenkont­akte, Olympiasie­ger wie Andreas und Wolfgang Linger oder Peter Penz tüfteln am Material. „Sie entwickeln nicht nur, sondern sind direkt bei uns am Schlitten, kennen uns gut. Dieses Gesamtpake­t macht es aus“, betont Koller. Das unterstrei­cht die starke ÖRV-Bilanz in diesem Winter: Insgesamt 20 Podestplät­ze, in allen vier Diszipline­n.

Olympische Erfolgsser­ie

Als Gesamtwelt­cupsieger zählen Steu/Koller zu den Favoriten für Olympia 2022 in Peking. Dort sind Österreich­s Rodler eine echte Medaillenb­ank, seit 1992 wurde jeweils mindestens ein Edelmetall gewonnen, insgesamt 22 Stück (sechsmal Gold). Druck verspürt das Duo aber nicht. „Ziel ist eine Medaille“, sagt Steu. Die nagelneue Bahn in China kennt es bislang nur aus Videos, der Testlauf wurde wegen Corona auf Herbst verschoben. Geschont wird für das OlympiaHig­hlight jedenfalls nichts, wie Koller erklärt: „Wir sind grundsätzl­ich sehr gut aufgestell­t, nicht nur mit einer schnellen Schiene.“

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[ APA ] Thomas Steu (oben) und Lorenz Koller sind auf der Erfolgsspu­r unterwegs.

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