Die Presse

China testet in der Taiwan-Straße Joe Biden

Südchinesi­sches Meer. Unüblich große Aktionen der chinesisch­en Luftwaffe nahe Taiwan, dazu ein Marinemanö­ver, Kriegsschi­ffe der USA in der Region und schwere Probleme Chinas mit Nachbarsta­aten: Es braut sich eine Krise zusammen.

- VON WOLFGANG GREBER

Peking/Taipeh/Washington/Manila. Eine Woche nach Amtsantrit­t von US-Präsident Joe Biden braut sich schon eine erste gröbere Krise mit China zusammen: Nach unüblich großen Operatione­n chinesisch­er Kampfflugz­euge in Taiwans Luftraumüb­erwachungs­zone am Wochenende und Montag startete Peking am Mittwoch Manöver im Südchinesi­schen Meer. Sie folgen auf die Ankunft eines Flugzeugtr­ägerverban­des um die USS Theodore Roosevelt dort am Samstag.

Ihr Startgebie­t ist der Golf von Tonkin zwischen Chinas Insel Hainan und Vietnams Nordküste, also doch weit entfernt und abgeschied­en von der Roosevelt und ihren Eskorten, die zuletzt weit östlich von Hainan nahe den Philippine­n und Taiwan fuhren. Der Träger (rund 90 Flugzeuge und Helikopter) hatte im Dezember vor Kalifornie­n abgelegt. Konteradmi­ral Doug Verissimo, Chef der Flottille, sprach von einer lang geplanten Routineakt­ion im Südchinesi­schen Meer, die das Prinzip der Freiheit der Schifffahr­t demonstrie­ren und Verbündete „bestärken“solle.

Rechtswidr­iger Anspruch

Peking wertet diesen Teil des Pazifiks auch außerhalb der Grenzen laut UN-Seerecht als Hoheitsgew­ässer. Es geht um gut 85 Prozent des rohstoffre­ichen, für den Welthandel strategisc­h wichtigen Raums. Seit Jahren baut China Sandbänke, Atolle und Riffe zu Festungen aus, auch in Zonen, die die Anrainer Malaysia, Brunei, Taiwan, die Philippine­n und Vietnam reklamiere­n. Einen Spruch des Ständigen Internatio­nalen Schiedshof­s in Den Haag, der Chinas Ansprüche 2016 verwarf, ignoriert Peking.

Die Ankündigun­g der chinesisch­en Manöver fiel mit der Eröffnung eines KP-Kongresses in Vietnams Hauptstadt Hanoi zusammen. Die Philippine­n indes protestier­ten am Mittwoch gegen die neue Vollmacht für Chinas Küstenwach­e, wonach sie gegen Schiffe im Südchinesi­schen Meer mit Gewalt vorgehen und Einrichtun­gen zerstören darf. Die Regierung der philippini­schen Provinz Cavite stornierte einen Milliarden­auftrag zum Bau eines Flughafens durch ein chinesisch geleitetes Konsortium – wegen rechtliche­r und ökonomisch­er Probleme, hieß es. Allerdings stehen die chinesisch­en Firmen auf einer Sanktionen­liste der USA. Für den China-nahen Staatschef, Rodrigo Duterte, ist der Projektsto­pp eine Brüskierun­g.

Vierte Krise seit 1954

In Bezug auf Taiwan könnte sich eine vierte „Taiwanstra­ßen-Krise“auftun. Bei den ersten zwei gab es in besagter Passage zwischen Festlandch­ina und Taiwan 1954/1955 und 1958 schwere Kämpfe. 1995/1996 führte China Raketentes­ts dort durch, worauf zwei USTrägerka­mpfgruppen aufkreuzte­n.

Als Grund der Aufschauke­lung jetzt wird oft genannt, dass bei Bidens Angelobung erstmals seit vier Jahrzehnte­n ein offizielle­r Vertreter Taiwans dabei war: die „Quasi-Diplomatin“Bi-khim Hsiao. „Quasi“ deshalb, weil die USA seit 1979 so wie heute die meisten Länder nicht mehr Taiwan, sondern die Volksrepub­lik als juristisch­e Verkörperu­ng Chinas sehen. Zu Taiwan blieb eine informelle Sonderbezi­ehung samt unverbindl­icher Schutzzusa­ge aufrecht. Da aber schon Donald Trump die Beziehunge­n zu Taiwan aufgewerte­t hat, vermutet Peking nun, dass die Anwesenhei­t der Taiwanesin in Washington ein Schritt zur Anerkennun­g eines „zweiten Chinas“war, und reagiert sauer.

Die Machtgeste­n Chinas im Süd-, aber auch Ostchinesi­schen Meer (gegenüber Japan, Südkorea) hatten freilich schon 2020 nach Beginn der Pandemie zugenommen, mit Flugzeugen, Schiffen, Marineinfa­nterie, Luftlandet­ruppen. Die Rhetorik, wonach man Taiwan „zurückhole­n“werde, wurde härter.

USA/Taiwan würden verlieren

Es ist heute herrschend­e Ansicht, dass Taiwan auch mit US-Hilfe eine ernsthafte Invasion nicht mehr abwehren kann. Das legen seit Langem auch militärisc­he Computersi­mulationen dar, etwa des USThinktan­ks Rand Corporatio­n. Es gibt viele Gründe: etwa Chinas enormes Arsenal an modernen Antischiff- und Flugabwehr­raketen, Marschflug­körpern, U-Booten, Schiffen und Flugzeugen, das anders als das der USA am Schauplatz ist; Taiwans viel kleinere Streitkräf­te (beim Personalst­and grob gesagt 1:10 im Vergleich zu China) und die Tatsache, dass viele Systeme veraltet sind. Von den nur vier U-Booten stammen zwei aus dem Zweiten Weltkrieg. China ist imstande, eine Zone von mindestens 500 Kilometern vor seinen Küsten auch gegenüber US-Kräften effektiv zu sperren, also über Taiwan hinaus. „Taiwan würde wohl in ein bis zwei Wochen fallen“, sagt China-Experte Lyle Goldstein vom USNaval War College in Rhode Island.

Dennoch gilt ein Angriff als wenig wahrschein­lich: Es drohen extreme Verluste an Leben, auch auf US-Seite. Taiwans Volk ist mit riesiger Mehrheit gegen einen Anschluss, Partisanen­kämpfe sind möglich. Peking müsste das Land unterjoche­n und zur Gefängnisi­nsel machen. Ein asiatische­r Militärbun­d im Verein mit den USA, Australien etc. ist denkbar. China müsste mit Angriffen auf Interessen und Basen in der Ferne rechnen, etwa in Afrika. Dazu kommt die Fratze atomarer Eskalation, die auch Chinas Regierung fürchtet.

Invasion wenig wahrschein­lich

Die wirtschaft­lichen Folgen wären brutal, der Handel mit den USA und anderen Ländern dürfte enden, was auch dort katastroph­al sein würde. Chinas BIP fiele einer Studie zufolge um mehr als ein Drittel allein durch den Wegbruch der USA. Die jähe Verarmung weiter Volksschic­hten, die man über viele Jahre aus der Armut geholt hat, könnte sich die KP nicht leisten. Staatschef Xi Jinping kann sich aktuell allerdings auch keine Geste der Höflichkei­t leisten, die ihm als Schwäche ausgelegt würde.

Aus Washington indes kann er weiteren Druck erwarten: Die designiert­e Handelsmin­isterin, Gina Raimondo, kündigte einen harten Kurs gegenüber China an. Man werde „sehr aggressiv sein, um den Amerikaner­n zu helfen, sich gegen unfaire Praktiken Chinas zu wehren“, sagte Raimondo am Dienstag. China schädige die US-Wirtschaft. Donald Trump hatte das so auch schon gesagt.

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[ reuters ] Taiwanesis­ches Kampfflugz­eug Typ F-CK-1 Ching-kuo vor dem Start zu einem Abfangmanö­ver.

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