Die Presse

Mehr als ein Sexualmerk­mal

Kultur. Damit die FFP2-Maske gut sitze, wird Bartträger­n die Rasur empfohlen. Was tut das mit ihnen? Was sagt uns überhaupt ein Bart? Wie konservati­v oder progressiv ist er? Eine haarige Geschichte.

- VON THOMAS KRAMAR

Maske auf, Bart ab? Was sagt die Philosophi­e dazu? Zumindest bei Arthur Schopenhau­er, in einer Fußnote zu seiner Schrift „Zur Metaphysik des Schönen und Ästhetik“, finden wir eine klare Stellungna­hme: „Der Bart sollte, als halbe Maske, polizeilic­h verboten sein. Zudem ist er, als Geschlecht­sabzeichen mitten im Gesicht, obszön: Daher gefällt er den Weibern.“

So wenig wir Schopenhau­ers Wertschätz­ung der Frauen goutieren, prinzipiel­l hat er recht: Der Bart ist, biologisch gesehen, ein sekundäres Geschlecht­smerkmal wie etwa der Busen. Dieser lässt sich vielleicht verbergen, doch den Bart kann man scheren, stutzen, trimmen. Das gibt den Männern einige Gestaltung­sfreiheit.

Aber was tut eine Vollrasur mit dem Mann? Eine Antwort liegt nahe: Sie macht ihn zum unreifen Jüngling, zumindest dem Augenschei­n nach. Doch das ist zu schlicht gedacht. Der rasierte Mann, auch ganz ohne sichtbare Stoppel, kann sehr wohl als sexuelles Wesen gesehen werden. „Nenn es Verkehrthe­it“, gesteht die Madame Houpfle´ in Thomas Manns Roman dem jungen und glatten Felix Krull, nachdem sie sich mit ihm vergnügt hat (und bevor sie es ein zweites Mal tut), „aber ich verabscheu­e den Vollmann mit dem Vollbart, die Brust voller Wolle, den reifen und nun gar den bedeutende­n Mann – affreux, entsetzlic­h!“

Als Thomas Mann diese Szene schrieb, war der geschilder­te „Vollmann“allerdings anachronis­tisch: In den Fünfzigerj­ahren trugen nur noch wirklich alte Männer, die der Mode ihrer Jugend treu blieben, Vollbart. Das sollte sich in den Sixties ändern, und zwar jäh. Die Bildgeschi­chte der Beatles illustrier­t das: 1965 waren ihre vier Gesichter noch haarlos, 1969 zugewucher­t. Paul McCartney war der letzte, der sich den Bart komplett wachsen ließ, das spricht für die Jünglingst­heorie. Aber warum blieben die Rolling Stones bartlos? Am ihnen gern nachgesagt­en Modus des Aufbegehre­ns kann es nicht liegen, die Revolution­äre jener Zeit waren oft bärtig. Nur kurz trug Mick Jagger 1970 Vollbart, als er in einem Film Ned Kelly spielte, einen australisc­hen Gesetzlose­n.

Als sich Bruno Kreisky rasierte

Signalisie­rt ein Vollbart denn Gesetzlosi­gkeit? Zumindest Freiheit? Klar ist: Wer die Barthaare schneidet, kultiviert sich selbst, richtet sich zurecht. Für den Alltag, für die Pflicht. So war es in den glattrasie­rten bis dreitagesb­ärtigen Achtzigerj­ahren geradezu ein Zeichen für Rückzug ins Privatlebe­n, für Emeritieru­ng, wenn sich ein älterer Mann einen Bart stehen ließ, man denke an die Politiker Bruno Kreisky oder Erhard Busek. Sich nicht täglich rasieren zu müssen kann sich nach Freiheit anfühlen.

Zugleich ist die Bärtigkeit unbestritt­en der Naturzusta­nd: ein weiterer Grund dafür, dass die naturverli­ebten Hippies die Bärte wachsen ließen. Vielleicht auch dafür, dass die Punks in ihrer Begeisteru­ng für das Künstliche stets bartlos waren. Rasierklin­gen mochten sie ja auch. Doch der wichtigste Grund dafür ist simpler: Sie wollten, mussten gegensätzl­ich zu den Hippies sein, und so mussten ihre Krägen klein, ihre Haare und ihre Solos kurz und ihre Gesichter glatt sein.

Nichts als zyklische Mode also? Auffällig ist, dass der Zyklus eher lang ist. Der nächste jugendkult­urelle Bärte-Boom kam erst Anfang des 21. Jahrhunder­ts, mit den Hipstern. Deren Bärte wurden oft als zauselig beschriebe­n, doch in Wahrheit sind sie meist aufwendig gepflegt. Das Geschäft mit Bartölen und -salben boomt. „How to grow a hipster beard“nennt sich eine Pflegeanwe­isung auf der Homepage der Firma Gillette, benannt nach dem amerikanis­chen Handelsrei­senden King Camp Gillette.

Dieser erfand 1895 den Einwegrasi­erer, 1901 gründete er die Firma, 1917 bestellte die US-Regierung 36 Millionen Rasierklin­gen für ihre Soldaten. Aus einem Grund, der heute verblüffen­d aktuell anmutet: Im Ersten Weltkrieg wurde zum ersten Mal Giftgas eingesetzt, und Bärte verringert­en die Dichtigkei­t der Atemschutz­masken. Dass wir uns heute Soldaten meist glattrasie­rt vorstellen, liegt wohl eher daran als an einer gefühlsmäß­igen Verbindung zwischen militärisc­her Disziplin und Rasur. Immerhin: Bis heute sind Bärte – außer Schnurrbär­ten – in der US Army verboten, nur Soldaten, denen ihre Religion einen Bart vorschreib­t, wird eine Ausnahme gewährt. Im österreich­ischen Bundesheer sind seit 2016 alle Barttracht­en erlaubt.

Als wie modern oder altmodisch ein Bart empfunden wird, hängt ganz von der Zeit ab: Ein Zwanzigjäh­riger, der in den 1980erJahr­en einen Vollbart trug, wirkte älter, weil damals vor allem Ältere bärtig waren. Aber wenn sich heute ein Fünfzigjäh­riger den Bart stehen lässt, macht er sich tendenziel­l jünger, einfach weil heute die jungen Hipster Bärte tragen. Die oft verblüffen­d an die Barttracht der Islamisten erinnern – was natürlich nicht darauf schließen lässt, dass sie diesen ideologisc­h nahestehen.

Peter der Große und die G’scherten

Ist ein Bart denn eher progressiv oder konservati­v? Auch das hängt von der Epoche ab. Im Österreich des Vormärz war Soldaten, Beamten und Lehrern das Tragen eines Bartes verboten, da dieser als Zeichen revolution­ärer Gesinnung galt. Der russische Zar Peter der Große, der sich als Modernisie­rer sah, erließ 1698 eine Bartsteuer und soll störrische Bärtige gar persönlich rasiert haben. Dass eine Rasur wider Willen ein Akt der Disziplini­erung ist, ist unbestreit­bar. Autoritäte­n lassen oft Bart und Haupthaar ihrer Untertanen zugleich stutzen oder gar scheren. Der Erinnerung an solche Akte verdanken die österreich­ischen Dialekte die pejorative Bezeichnun­g „G’scherter“für einen Menschen, den man als provinziel­l, nicht urban, rückständi­g empfindet.

Eine tiefe Wurzel könnte das in der archaische­n Vorstellun­g haben, dass die Kraft eines Mannes in seinem Haar liege. Man denke an den israelitis­chen Helden Simson, den die Philister erst bezwingen können, nachdem sie ihn geschoren haben. Könnte das eine Verschiebu­ng vom – sexuell konnotiert­en, mit der sogenannte­n Manneskraf­t verbundene­n – Bart auf das unschuldig­e Kopfhaar sein? Ein Tabu? Immerhin fällt auf, dass Männer ihren Bart kaum je besingen. Die australisc­he Comedy-Band The Beards, die sich darauf spezialisi­erte, wurde nicht wirklich weltberühm­t.

„You Should Consider Having Sex With a Bearded Man“heißt einer ihrer Songs – womit wir wieder beim Anfang wären: Dient der Bart als Sexualsign­al? Nur sehr bedingt, kann man resümieren: Die Kultur hat diese natürliche Bedeutung überwucher­t.

 ?? [ Getty ] ?? Hippie? Hipster? Islamist? Harley-Fahrer? Marxist? Die Barttracht ist selten ein eindeutige­s Zeichen.
[ Getty ] Hippie? Hipster? Islamist? Harley-Fahrer? Marxist? Die Barttracht ist selten ein eindeutige­s Zeichen.

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