Nachruf auf Beethovens Sterbeboden, in dem das Böse lauert
Wenn die Museen am 8. Februar wieder aufsperren dürfen, wird das KHM dies ohne die Beethoven-Ausstellung tun. Sie wird derzeit abgebaut. Auf diesem Boden starb nicht nur Beethoven, sondern auch Otto Weininger.
Verschwunden ist er wieder, vor unseren geschlossenen Augen sozusagen. Der Boden, auf dem Beethoven starb, diese strotzend leere Projektionsfläche, die sich mitten in der großen Beethoven-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in all ihrer Wucht vor uns ausbreitete.
Wenn das Kunsthistorische wieder öffnet, falls die Museen das am 8. Februar dürfen, wird es das ohne diese Ausstellung tun, wird nichts mehr erinnern an dieses synästhetische Ereignis. Es entschwand, wie es entstanden war – still und heimlich, eine Ausstellung, beauftragt von einem designierten, nie angetretenen Direktor, an einem Unort, ohne Ziel und Wollen. Genau das gab diesem kuratorischen Unterfangen diese unvergleichliche, wie Beethoven schreiben würde, „Freyheit“.
Nun werden die 74 auf einem ansteigenden Podest ausgelegten stumpfen Bodenplatten von behandschuhten Händen sachte verpackt. Zurück ins Depot des Wien-Museums verbracht, wo die insgesamt 325 Parketttafeln aus Beethovens letzter Wohnung bisher gelagert waren. Nie waren sie in diesem Ausmaß, mit solcher Geste ausgestellt worden. Nie werden sie das wieder in einer solch intensiven Inszenierung, sei hier prophezeit: Eine in ihrer Schäbigkeit und Aufladung im Halbdunkel unheimlich schimmernde Bühne, aufgespannt zwischen den Künsten und Zeiten, zwischen Verletzlichkeit und Radikalität, Goyas „Caprichos“und Anselm Kiefers dämonisch romantischem Hitlergruß unter „gestirntem Himmel“.
Verbannt ins Zuhause, schlägt man den Ausstellungskatalog auf, liest den hübschen Text, den Barbara Zeman sich zu Beethovens Boden einfallen ließ, aus Sicht des Zimmermädchens des sterbenden Beethovens. Mit seiner Hand fährt es da über das Holz, das ihm „ganz rau, wie die schorfige Haut von einem Tier“vorkommt, „auf böse Art am Leben, lauernd“.
Das Böse, das sie hier zu spüren glaubt, ist es die Gefahr der Vereinnahmung, der das Genie Beethovens wie kein anderes ausgeliefert war? Ist es das Böse, dem sich Otto Weininger nur durch Selbstmord glaubte verwehren zu können, den er knapp 80 Jahre nach Beethovens Tod an selber Adresse, angeblich im selben Zimmer, also auf selbigem Boden beging?
Beethoven stand damals für den „deutschen Geist“, das männliche Genie an sich. Keinem Geringeren folgen wollte Weininger, dieser von überraschend vielen Großen seiner Zeit, Karl Kraus, Strindberg, Kubin, Wittgenstein, verehrte Antisemit und Frauenhasser. Seine Lage schien tatsächlich aussichtslos, sah er doch in der Bekämpfung des in jedem schlummernden Weiblichen (Bisexualität!), das für ihn für Wollust und Seelenlosigkeit stand, der Menschheit einzige Rettung. Der Hass aufs unüberwindbar Eigene führte den 23-Jährigen im Oktober 1903 schließlich zum finalen Gang in die Schwarzspanierstraße 15.
Einen Monat später wurde das Haus abgerissen. Ein Tischler zumindest wurde beauftragt, machte sich rasch an die Arbeit, baute Türen, Fenster, Parkettboden aus, die Teile fein säuberlich mit Kreide beschriftet. Es sollte fast 120 Jahre dauern, bis diese sich wieder fügten, für einige, wenige Monate.
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