Österreich bereitet sich auf Plan B vor
Impfstoffe. Die EMA entscheidet über die Zulassung des AstraZeneca-Vakzins. Berlin greift vor und lässt das Produkt nur für unter 65-Jährige zu. Im Streit mit der EU-Kommission über geringere Liefermengen gibt es keine Einigung.
Wien. „Bei der Impfstoffknappheit gehen wir noch durch mindestens zehn harte Wochen.“Es sind wenig aufbauende Worte, die Deutschlands Gesundheitsminister, Jens Spahn, am frühen Donnerstagmorgen twittert. Und die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) hat der für Freitag anvisierten Entscheidung über die Zulassung des AstraZeneca-Impfstoffs durch die europäische Arzneimittelagentur (EMA) am Donnerstag überraschend vorgegriffen: Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt den Covid-19-Impfstoff des schwedisch-britischen Pharmariesen nur für unter 65-Jährige. „Zur Beurteilung der Impfeffektivität älterer Personen liegen aktuell keine ausreichenden Daten vor“, erklärte die Stiko. Die EMA freilich behält sich vor, davon unabhängig zu entscheiden. Unwahrscheinlich aber, dass sie mit demselben Datenmaterial zu einem anderen Ergebnis als das RKI kommt.
Zuletzt hatten Produktionsprobleme bei AstraZeneca zu einem handfesten Streit mit der EU-Kommission geführt (siehe auch Seiten 2,3). Im ersten Quartal 2021 wird der Konzern statt erwarteter 80 Millionen Impfdosen nur 31 Millionen tatsächlich in die EU-Länder liefern können. Wie es danach weitergeht, ist bis dato unklar. Insgesamt hat die EU bis zu 400 Millionen Impfdosen bei AstraZeneca vorbestellt und 336 Millionen Euro für Entwicklung und Produktion bereitgestellt. Die Kommission fordert nun die Offenlegung der Lieferverträge, Ratspräsident Charles Michel will einen Rechtsstreit nicht ausschließen. Ein solcher aber würde sich Jahre hinziehen. Was heißt all das für den österreichischen Impfplan? Und welche Möglichkeiten gibt es noch, der Impfstoffknappheit zu begegnen?
Neuer Impfplan
Oben genannte Schwierigkeiten machen die heimischen Impfpläne zu Makulatur. Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat angekündigt, nach der Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde am Freitag bald einen neuen Impfplan vorlegen zu wollen. Und auch die Bundesländer arbeiten schon an der Adaptierung ihrer Pläne. Einig sind sich dabei alle Beteiligten in einem Punkt: Die Impfung der Bewohner und Beschäftigten in Pflegeheimen sowie des ärztlichen Personals auf Covid-Stationen als oberste Priorität wird beibehalten. Die erste Teilimpfung wurde da ja schon weitgehend verabreicht, für Teil zwei ist auch noch genügend Impfstoff vorhanden – wenn es auch in vielen Fällen zu Verzögerungen kommen könnte.
Aber was kommt danach? Die nächsten in der Prioritätenreihung wären die über 80-Jährigen außerhalb der Pflegeheime, medizinisches Personal und Hochrisikopatienten. Geplant waren diese Impfungen laut Impfplan im Jänner und Februar, was sich aufgrund der verringerten Lieferungen nicht halten lässt. Immerhin: Sollte Pfizer/Biontech tatsächlich bis Ende des Quartals die vereinbarten 1,2 Millionen Dosen nachliefern können (auch hier gab es Lieferengpässe), wäre diese Gruppe bis Ende März versorgt. 600.000 Personen könnten die beiden Teilimpfungen erhalten, 460.000 befinden sich in der Altersgruppe 80 Jahre und darüber. Gröbere Verschiebungen könnte es aber für die Altersgruppe von 65 bis 80 Jahren geben, die im März und April geimpft werden sollte: Da der Impfstoff von AstraZeneca für sie vermutlich nicht zugelassen wird, müssen sie auf neue Lieferungen anderer Impfstoffe im zweiten Quartal warten. Dafür könnten Risikogruppen unter 60 Jahren oder auch Beschäftigte in der „kritischen Infrastruktur“(Lebensmittelhandel, Banken etc.) früher mit AstraZeneca geimpft werden. Wenn tatsächlich – wie kolportiert – 600.000 Dosen im ersten Quartal geliefert werden, bedeutete das Impfschutz für 300.000 Personen.
Adaptiert werden müssen vermutlich auch die Logistikpläne. AstraZeneca kann bekanntlich in Arztpraxen geimpft werden, bei Pfizer/Biontech und Moderna ist das nicht so einfach. Die Stadt Wien hat schon angekündigt, verstärkt auf Impfstraßen setzen zu wollen.
Kampf gegen Knappheit
Kurzfristig kann die EU wenig bis nichts gegen die Impfstoffknappheit tun, mittelfristig kann sie größere Dosen bereits zugelassener Produkte, etwa von Pfizer/Biontech, bestellen, wenn dort die Kapazitäten ausreichen. Der Konzern hat sich verpflichtet, in diesem Jahr bis zu 600 Millionen Dosen an die EU zu liefern. Das französische Pharmaunternehmen Sanofi will bei der Produktion assistieren. Die ersten Lieferungen aus dieser Zusammenarbeit werden aber erst für Sommer erwartet.
Weitere Impfstoffe sind in der Pipeline, etwa jener von Johnson & Johnson, der den Vorteil hat, dass nur eine Impfdosis zur Immunisierung ausreicht. Das Produkt wird von der EMA bereits begleitend zu Tests geprüft („Rolling Review“). Einen konkreten Zeitplan für die Zulassungsentscheidung gibt es noch nicht, diese sollte aber noch im ersten Quartal erfolgen. Die EU hat sich 200 Millionen Dosen (mit Option auf weitere 200 Mio.) dieses Impfstoffs gesichert. Die Zulassung für das Produkt des deutschen Unternehmens CureVac, von dem die EU 225 Millionen Dosen (mit Option auf weitere 180 Millionen) vorbestellt hat, wird ohnehin erst für das zweite Quartal erwartet. Auch der Hersteller des russischen Impfstoffs Sputnik V hat mit der EMA bereits Kontakt aufgenommen. Einen Antrag auf Zulassung gibt es aber noch nicht.