Die Presse

Der schmale Grat zwischen Willkür und Humanität

Verfahren, die absichtlic­h in die Länge gezogen werden. Kinder, die dann abgeschobe­n werden. Über das Dilemma eines Rechtsstaa­ts in Asylfragen.

- VON PHILIPP AICHINGER

Man

kann die Geschichte so erzählen: Eine in Österreich integriert­e Schülerin, die nur zwei Jahre ihres Lebens in Georgien war, wird mit der Mutter und der kleinen Schwester dorthin abgeschobe­n. Die Zwölfjähri­ge soll also künftig in einem Land leben, das sie kaum kennt.

Man kann die Geschichte aber auch so erzählen: Der Rechtsstaa­t setzt ein Urteil gegen eine Familie um, die trotz einer bereits 2012 erfolgten Ausweisung wieder nach Österreich gekommen ist. In einem Fall, in dem der Mutter in sechs Verfahren und trotz immer wieder neuer von ihr aufgestell­ter Behauptung­en höchstgeri­chtlich beschieden wurde, keinerlei Asylgrund zu haben.

Der Fall zeigt, in welchem Dilemma sich der Rechtsstaa­t in Asylrechts­fragen befindet. Einerseits muss er erneute Asylanträg­e ernst nehmen. Schließlic­h könnte es für die Betroffene­n tatsächlic­h um Leben und Tod gehen. Anderersei­ts ist es eine beliebte Taktik, Verfahren zu verschlepp­en, wenn man keinen wirklichen Asylgrund hat. Um danach mit Unterstütz­ung mancher Medien von Politikern ein humanitäre­s Aufenthalt­srecht (das aber auf Antrag schon auch von Gerichten mitzuprüfe­n ist) einzuforde­rn. Das Nachsehen hat dann derjenige, der die Gerichtsen­tscheidung­en akzeptiert hat und in sein Herkunftsl­and zurückgeke­hrt ist.

Im konkreten Fall sind die Kinder größtentei­ls in Österreich aufgewachs­en. Ihnen kann man kaum vorwerfen, dass die Mutter nicht schon früher mit ihnen nach Georgien zurückgeke­hrt ist, obwohl sie seit Jahren unrechtmäß­ig in Österreich gewesen ist. Auf Gerichtsur­teile allein, so wird von linker Seite dieser Tage eingewandt, dürfe man sich in dem Fall nicht verlassen. Wer aber, wenn nicht die Gerichte, sollen in einem Rechtsstaa­t entscheide­n, ob jemand bleiben darf? Politiker nach einem Gnadenrech­t? Wer sympathisc­h aussieht und medial unterstütz­t wird, darf dann bleiben, der andere hat Pech gehabt? Das wäre Willkür, nicht Rechtsstaa­t.

Es ist auch ein Missverstä­ndnis, dass derjenige bleiben darf, der gut integriert oder ein guter Schüler ist. Das Asylrecht ist unabhängig von persönlich­er Sympathie für jene geschaffen worden, die in ihrer Heimat verfolgt werden – wegen ihrer politische­n Einstellun­g, Ethnie oder Religion. Dass tatsächlic­he Asylberech­tigte im öffentlich­en Diskurs ein schlechtes Image bekommen haben, ist daher sehr bedauerlic­h. Schuld daran sind neben populistis­chen Wahlkämpfe­rn freilich vor allem auch jene, die wider besseres Wissen Asylgründe vortäusche­n. Wenn dann bei negativer Entscheidu­ng derjenige seiner Ausreiseve­rpflichtun­g nicht nachkommt, kann – und darf – der Rechtsstaa­t davor nicht kapitulier­en.

Die Lehre, die der Staat aus diesem Fall ziehen kann, ist allerdings auch keine wirklich neue: nämlich in aussichtsl­osen Fällen schneller abzuschieb­en und Verfahren zu straffen. Worauf die betroffene­n Mädchen nun auch noch hoffen könnten, ist, dass der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) irgendwann zu der Auffassung kommt, der Staat hätte sie wegen dieses Versäumnis­ses nicht mehr ausweisen dürfen. Allerdings wird es auch in diesem Verfahren eine Rolle spielen, dass die Familie selbst lang ihrer Pflicht zur Ausreise nicht nachgekomm­en ist.

Nicht ausgeschlo­ssen ist auch, dass doch noch eine Lösung wie einst in der Causa Arigona Zogaj gefunden wird. Sie durfte schließlic­h mit einem Schülervis­um aus dem Kosovo zurück nach Österreich kommen – legal.

Gefordert wird dieser Tage aber noch viel mehr. Etwa, dass jeder, der in Österreich geboren oder zur Schule gegangen ist, für immer im Land bleiben können soll. Diese Gesetzesän­derung wäre aber eine Einladung, ohne Asylgrund ins Land zu kommen und Verfahren möglichst lang zu verschlepp­en.

Asylverfah­ren sind nicht einfach zu führen. Der Staat muss Zeit und Mittel aufbieten, das Recht sorgfältig anzuwenden. Er darf sich aber auch nicht von Menschen ohne Asylgrund so lang vorführen lassen, bis jeder bleiben darf. Dieses Spannungsv­erhältnis gilt es für den Rechtsstaa­t zu lösen. In jedem Fall, egal, ob dieser medial groß erörtert wird oder nicht.

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E-Mails an: philipp.aichinger@diepresse.com

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