Der schmale Grat zwischen Willkür und Humanität
Verfahren, die absichtlich in die Länge gezogen werden. Kinder, die dann abgeschoben werden. Über das Dilemma eines Rechtsstaats in Asylfragen.
Man
kann die Geschichte so erzählen: Eine in Österreich integrierte Schülerin, die nur zwei Jahre ihres Lebens in Georgien war, wird mit der Mutter und der kleinen Schwester dorthin abgeschoben. Die Zwölfjährige soll also künftig in einem Land leben, das sie kaum kennt.
Man kann die Geschichte aber auch so erzählen: Der Rechtsstaat setzt ein Urteil gegen eine Familie um, die trotz einer bereits 2012 erfolgten Ausweisung wieder nach Österreich gekommen ist. In einem Fall, in dem der Mutter in sechs Verfahren und trotz immer wieder neuer von ihr aufgestellter Behauptungen höchstgerichtlich beschieden wurde, keinerlei Asylgrund zu haben.
Der Fall zeigt, in welchem Dilemma sich der Rechtsstaat in Asylrechtsfragen befindet. Einerseits muss er erneute Asylanträge ernst nehmen. Schließlich könnte es für die Betroffenen tatsächlich um Leben und Tod gehen. Andererseits ist es eine beliebte Taktik, Verfahren zu verschleppen, wenn man keinen wirklichen Asylgrund hat. Um danach mit Unterstützung mancher Medien von Politikern ein humanitäres Aufenthaltsrecht (das aber auf Antrag schon auch von Gerichten mitzuprüfen ist) einzufordern. Das Nachsehen hat dann derjenige, der die Gerichtsentscheidungen akzeptiert hat und in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist.
Im konkreten Fall sind die Kinder größtenteils in Österreich aufgewachsen. Ihnen kann man kaum vorwerfen, dass die Mutter nicht schon früher mit ihnen nach Georgien zurückgekehrt ist, obwohl sie seit Jahren unrechtmäßig in Österreich gewesen ist. Auf Gerichtsurteile allein, so wird von linker Seite dieser Tage eingewandt, dürfe man sich in dem Fall nicht verlassen. Wer aber, wenn nicht die Gerichte, sollen in einem Rechtsstaat entscheiden, ob jemand bleiben darf? Politiker nach einem Gnadenrecht? Wer sympathisch aussieht und medial unterstützt wird, darf dann bleiben, der andere hat Pech gehabt? Das wäre Willkür, nicht Rechtsstaat.
Es ist auch ein Missverständnis, dass derjenige bleiben darf, der gut integriert oder ein guter Schüler ist. Das Asylrecht ist unabhängig von persönlicher Sympathie für jene geschaffen worden, die in ihrer Heimat verfolgt werden – wegen ihrer politischen Einstellung, Ethnie oder Religion. Dass tatsächliche Asylberechtigte im öffentlichen Diskurs ein schlechtes Image bekommen haben, ist daher sehr bedauerlich. Schuld daran sind neben populistischen Wahlkämpfern freilich vor allem auch jene, die wider besseres Wissen Asylgründe vortäuschen. Wenn dann bei negativer Entscheidung derjenige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommt, kann – und darf – der Rechtsstaat davor nicht kapitulieren.
Die Lehre, die der Staat aus diesem Fall ziehen kann, ist allerdings auch keine wirklich neue: nämlich in aussichtslosen Fällen schneller abzuschieben und Verfahren zu straffen. Worauf die betroffenen Mädchen nun auch noch hoffen könnten, ist, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) irgendwann zu der Auffassung kommt, der Staat hätte sie wegen dieses Versäumnisses nicht mehr ausweisen dürfen. Allerdings wird es auch in diesem Verfahren eine Rolle spielen, dass die Familie selbst lang ihrer Pflicht zur Ausreise nicht nachgekommen ist.
Nicht ausgeschlossen ist auch, dass doch noch eine Lösung wie einst in der Causa Arigona Zogaj gefunden wird. Sie durfte schließlich mit einem Schülervisum aus dem Kosovo zurück nach Österreich kommen – legal.
Gefordert wird dieser Tage aber noch viel mehr. Etwa, dass jeder, der in Österreich geboren oder zur Schule gegangen ist, für immer im Land bleiben können soll. Diese Gesetzesänderung wäre aber eine Einladung, ohne Asylgrund ins Land zu kommen und Verfahren möglichst lang zu verschleppen.
Asylverfahren sind nicht einfach zu führen. Der Staat muss Zeit und Mittel aufbieten, das Recht sorgfältig anzuwenden. Er darf sich aber auch nicht von Menschen ohne Asylgrund so lang vorführen lassen, bis jeder bleiben darf. Dieses Spannungsverhältnis gilt es für den Rechtsstaat zu lösen. In jedem Fall, egal, ob dieser medial groß erörtert wird oder nicht.
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