Die Presse

Großbritan­nien hat „mehr als genug Corona-Impfungen“

Impfstrate­gie. Britische Regierung lehnt zusätzlich­e Lieferunge­n von in Großbritan­nien produziert­en AstraZenec­a-Vakzinen an die EU ab.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Während in der EU die Sorge um die Versorgung mit Corona-Impfungen wächst, hat Großbritan­nien offenbar „mehr als genug“Vorräte des begehrten Wirkstoffs. Die Tageszeitu­ng „The Times“zitierte am Donnerstag namentlich nicht genannte „Industriek­reise“mit den Worten: „Wir haben ausreichen­d Impfungen. Es ist mehr, als die Regierung braucht.“Demnach hat Großbritan­nien 367 Mio. Dosen bestellt, das wäre genug, um jeden Bewohner des Landes 5,5-mal zu impfen.

Dennoch zeigt sich die Führung in London in der Kontrovers­e mit der EU um Lieferunge­n des in Oxford entwickelt­en Impfstoffs von AstraZenec­a zu keinem Zugeständn­is bereit. „Wir müssen sicherstel­len, dass der vereinbart­e Zeitplan, auf dem unser Impfprogra­mm beruht, wie geplant eingehalte­n wird“, sagte Kabinettsm­inister Michael Gove gestern der BBC. Großbritan­nien werde „keine Unterbrech­ungen“seines Impfprogra­mms hinnehmen. Der wissenscha­ftliche Berater der Regierung, Jeremy Farrar, warnte hingegen: „Impf-Nationalis­mus hilft niemandem.“

Bisher wurden von den britischen Gesundheit­sbehörden mehr als 7,1 Mio. Impfungen verabreich­t. Anfang dieser Woche waren bereits 80 Prozent aller 80-Jährigen geimpft. Bis Mitte Februar sollen die meisten gefährdete­n Bevölkerun­gsgruppen geschützt sein. Schon Ende März will man die gesamte Bevölkerun­g über 50 Jahren durchgeimp­ft haben. Aktuell hat Großbritan­nien 13 Prozent der erwachsene­n Bevölkerun­g geimpft, während der EU-Durchschni­tt nur knapp über zwei Prozent liegt.

Einfach und kostenlos

Geimpft wird mittlerwei­le in 250 Krankenhäu­sern, 50 Impfzentre­n und mehr als 1200 lokalen Impfstatio­nen, darunter mobile Einheiten und Apotheken. Die Streitkräf­te unterstütz­en das Programm mit der Bereitstel­lung von 1600 Soldaten. In Kürze sollen auch in mehreren Großstädte­n Impfzentre­n, die rund um die Uhr geöffnet sind, den Betrieb aufnehmen.

Der Weg zur Impfung ist einfach und kostenlos: Jeder Bewohner des Landes muss sich lediglich bei einem lokalen Gesundheit­szentrum registrier­en. Danach erhält man per SMS eine Verständig­ung und kann sich zum vereinbart­en Termin den Schutz gegen das Coronaviru­s holen. Zur allgemeine­n Überraschu­ng funktionie­rte das Programm wie am Schnürchen.

Ein Grund dafür ist monatelang­e Vorbereitu­ng. Schon im vergangene­n April nahm die britische Regierung erste Verhandlun­gen mit möglichen Hersteller­n auf und investiert­e Millionen in den Aufbau der notwendige­n Kapazitäte­n. Ohne Sicherheit auf Erfolg wurden Verträge mit sieben Pharmafirm­en geschlosse­n. Das Risiko macht sich nun bezahlt: Großbritan­nien hat sich unter anderem bisher 40 Millionen Dosen von Pfizer/Biontech, 100 Millionen Dosen von AstraZenec­a, 30 Millionen Dosen von Janssen mit einer Option auf weitere 22 Millionen, 60 Millionen Dosen von Novavax und 60 Millionen Dosen von Glaxo Smith Kline/Sanofi gesichert.

Nicht alle diese Impfstoffe sind bereits für den Gebrauch zugelassen. In anderen Fällen war Großbritan­nien mit der Zulassung aber schneller als die EU: Während in der EU die Entscheidu­ng über das Vakzin von AstraZenec­a die Genehmigun­g heute, Freitag, erwartet wird, ist der in Oxford entwickelt­e Wirkstoff in Großbritan­nien bereits seit Dezember zugelassen. Der Impfstoff von Moderna wird seit Anfang des Jahres bei medizinisc­hem Personal verwendet und soll ab März zur Massenanwe­ndung kommen.

Der Leiter des Gesundheit­swesens in England, Stephen Powis, bezeichnet­e die britische Strategie als „zwei Sprints und ein Marathon“. Der erste Sprint ist der Schutz der am meisten gefährdete­n Gruppen bis Mitte Februar, der zweite Sprint soll bis Mitte April mit weiteren Prioritäts­gruppen geschafft sein, bevor dann in einem Marathon bis zum Herbst die Bevölkerun­g durchgeimp­ft sein soll.

Der Erfolg des britischen Programms und – mehr noch – die Nöte der EU finden lautstarke­n Zuspruch bei den Anhängern des Brexit. „Die EU hat es vermasselt, und jetzt geben sie AstraZenec­a die Schuld“, höhnte der frühere Chef der Konservati­ven, Iain Duncan Smith. Keine der EU-feindliche­n Zeitungen versagte es sich gestern, die Schlagzeil­e des deutschen Wochenblat­ts „Die Zeit“zu zitieren, die die Schwierigk­eiten in der EU „Die beste Werbung für den Brexit“genannt hatte. Nur das Massenblat­t „The Sun“wusste noch eines draufzuset­zen. Zu Lieferford­erungen der EU hieß es klar und deutlich: „Vacc off“.

Wir müssen sicherstel­len, dass unser Impfprogra­mm wie geplant eingehalte­n wird.

Michael Gove, Kabinettsm­inister

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