Großbritannien hat „mehr als genug Corona-Impfungen“
Impfstrategie. Britische Regierung lehnt zusätzliche Lieferungen von in Großbritannien produzierten AstraZeneca-Vakzinen an die EU ab.
London. Während in der EU die Sorge um die Versorgung mit Corona-Impfungen wächst, hat Großbritannien offenbar „mehr als genug“Vorräte des begehrten Wirkstoffs. Die Tageszeitung „The Times“zitierte am Donnerstag namentlich nicht genannte „Industriekreise“mit den Worten: „Wir haben ausreichend Impfungen. Es ist mehr, als die Regierung braucht.“Demnach hat Großbritannien 367 Mio. Dosen bestellt, das wäre genug, um jeden Bewohner des Landes 5,5-mal zu impfen.
Dennoch zeigt sich die Führung in London in der Kontroverse mit der EU um Lieferungen des in Oxford entwickelten Impfstoffs von AstraZeneca zu keinem Zugeständnis bereit. „Wir müssen sicherstellen, dass der vereinbarte Zeitplan, auf dem unser Impfprogramm beruht, wie geplant eingehalten wird“, sagte Kabinettsminister Michael Gove gestern der BBC. Großbritannien werde „keine Unterbrechungen“seines Impfprogramms hinnehmen. Der wissenschaftliche Berater der Regierung, Jeremy Farrar, warnte hingegen: „Impf-Nationalismus hilft niemandem.“
Bisher wurden von den britischen Gesundheitsbehörden mehr als 7,1 Mio. Impfungen verabreicht. Anfang dieser Woche waren bereits 80 Prozent aller 80-Jährigen geimpft. Bis Mitte Februar sollen die meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen geschützt sein. Schon Ende März will man die gesamte Bevölkerung über 50 Jahren durchgeimpft haben. Aktuell hat Großbritannien 13 Prozent der erwachsenen Bevölkerung geimpft, während der EU-Durchschnitt nur knapp über zwei Prozent liegt.
Einfach und kostenlos
Geimpft wird mittlerweile in 250 Krankenhäusern, 50 Impfzentren und mehr als 1200 lokalen Impfstationen, darunter mobile Einheiten und Apotheken. Die Streitkräfte unterstützen das Programm mit der Bereitstellung von 1600 Soldaten. In Kürze sollen auch in mehreren Großstädten Impfzentren, die rund um die Uhr geöffnet sind, den Betrieb aufnehmen.
Der Weg zur Impfung ist einfach und kostenlos: Jeder Bewohner des Landes muss sich lediglich bei einem lokalen Gesundheitszentrum registrieren. Danach erhält man per SMS eine Verständigung und kann sich zum vereinbarten Termin den Schutz gegen das Coronavirus holen. Zur allgemeinen Überraschung funktionierte das Programm wie am Schnürchen.
Ein Grund dafür ist monatelange Vorbereitung. Schon im vergangenen April nahm die britische Regierung erste Verhandlungen mit möglichen Herstellern auf und investierte Millionen in den Aufbau der notwendigen Kapazitäten. Ohne Sicherheit auf Erfolg wurden Verträge mit sieben Pharmafirmen geschlossen. Das Risiko macht sich nun bezahlt: Großbritannien hat sich unter anderem bisher 40 Millionen Dosen von Pfizer/Biontech, 100 Millionen Dosen von AstraZeneca, 30 Millionen Dosen von Janssen mit einer Option auf weitere 22 Millionen, 60 Millionen Dosen von Novavax und 60 Millionen Dosen von Glaxo Smith Kline/Sanofi gesichert.
Nicht alle diese Impfstoffe sind bereits für den Gebrauch zugelassen. In anderen Fällen war Großbritannien mit der Zulassung aber schneller als die EU: Während in der EU die Entscheidung über das Vakzin von AstraZeneca die Genehmigung heute, Freitag, erwartet wird, ist der in Oxford entwickelte Wirkstoff in Großbritannien bereits seit Dezember zugelassen. Der Impfstoff von Moderna wird seit Anfang des Jahres bei medizinischem Personal verwendet und soll ab März zur Massenanwendung kommen.
Der Leiter des Gesundheitswesens in England, Stephen Powis, bezeichnete die britische Strategie als „zwei Sprints und ein Marathon“. Der erste Sprint ist der Schutz der am meisten gefährdeten Gruppen bis Mitte Februar, der zweite Sprint soll bis Mitte April mit weiteren Prioritätsgruppen geschafft sein, bevor dann in einem Marathon bis zum Herbst die Bevölkerung durchgeimpft sein soll.
Der Erfolg des britischen Programms und – mehr noch – die Nöte der EU finden lautstarken Zuspruch bei den Anhängern des Brexit. „Die EU hat es vermasselt, und jetzt geben sie AstraZeneca die Schuld“, höhnte der frühere Chef der Konservativen, Iain Duncan Smith. Keine der EU-feindlichen Zeitungen versagte es sich gestern, die Schlagzeile des deutschen Wochenblatts „Die Zeit“zu zitieren, die die Schwierigkeiten in der EU „Die beste Werbung für den Brexit“genannt hatte. Nur das Massenblatt „The Sun“wusste noch eines draufzusetzen. Zu Lieferforderungen der EU hieß es klar und deutlich: „Vacc off“.
Wir müssen sicherstellen, dass unser Impfprogramm wie geplant eingehalten wird.
Michael Gove, Kabinettsminister