Chinas groß angekündigte Impfkampagne startet schleppend
Pandemie. Bis Jahresende wird Peking seine Bevölkerung nicht durchimpfen können. Doch nur die Vakzine können die Abschottung beenden.
Peking. Einige Senioren haben ihre Holzsessel vor ihre Wohnanlagen gestellt, um in der Nachmittagssonne ihre Zigaretten zu genießen. Sie schauen dem Treiben vor dem Liulitun-Gesundheitszentrum in Pekings Chaoyang-Bezirk zu, wo zwei uniformierte Männer mit roten Armbinden vor Absperrbändern stehen. Jeden Morgen reihen sich hier Hunderte Anwohner ein, um eine Dosis des Corona-Vakzins injiziert zu bekommen. Der sechsstöckige Funktionsbau ist dabei nur eines von 220 Impfzentren in Peking.
Ursprünglich lag die Volksrepublik in der Spitzengruppe beim Impfstoffrennen. Bereits im Frühsommer hatte man begonnen, auch außerhalb klinischer Tests die aussichtsreichsten Impfstoffe an bestimmte Bevölkerungsgruppen zu verabreichen, darunter medizinisches Personal. Doch rund vier Wochen nach der offiziellen Zulassung des ersten chinesischen Vakzins ist der Erfolg durchwachsen. Auch in China laufen die Produktion und Verteilung schleppender als erwartet. Zwar wurden bis Dienstag knapp 23 Millionen Impfdosen landesweit verabreicht. Doch das erklärte Ziel, bis zum chinesischen Neujahrsfest Mitte Februar 50 Millionen Menschen durchzuimpfen, wird man wohl verfehlen.
Keine Impfung für über 59-Jährige
Bisher fehlt ein längerfristiger Impfplan, was auf Unsicherheiten hindeutet. Noch immer werden, im Gegensatz zu Europa, keine über 59-Jährigen geimpft – weil Ergebnisse der klinischen Tests für entsprechende Altersgruppen ausstehen. Und Angaben über die Wirksamkeit führender Imfpstoffe sind widersprüchlich: Beim Vakzin des Pekinger Unternehmens Sinovac sprechen türkische Behörden von einer Effizienz von 91,2 Prozent, Gesundheitsämter in Indonesien von 65 Prozent und Daten aus Brasilien legen nahe, dass der Impfstoff bei Patienten mit milden Verläufen nur zu 50 Prozent wirkt. Wahrscheinlich wird Staatschef Xi Jinping erst rund um den Volkskongress im März einen genauen Zeitplan ausgeben. „Selbst wenn man von einer angezogenen Distribution in den kommenden Monaten ausgeht, wird es praktisch unmöglich sein, 2021 eine vollständige Durchimpfung der Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen zu erreichen“, heißt es im Newsletter der Beratungsfirma Trivium China: „China wird länger mit dem Gespenst von Covid-19 leben, als viele erwarten.“Bereits Gesundheitsexperte Yanzhong Huang vom Council on Foreign Relations sagte, dass der Regierung ausgerechnet ihr epidemiologischer Erfolg nun zum Verhängnis werden könnte. Ziel ist, das Virus vollständig auszuradieren. Bisher waren dank drakonischer Lockdowns und einer disziplinierten Bevölkerung die Erfolge erstaunlich. Dennoch sind Behörden nun dazu verdammt, „die drakonischen und kostspieligen Maßnahmen gegen das Virus“bis zum entfernten Ziel der Herdenimmunität aufrechtzuerhalten, schreibt Huang.
Darunter fällt eine massive Abschottung vom Ausland. Die Paranoia hat zuletzt sogar dazu geführt, dass Einreisende aus Risikogebieten in Peking vier Wochen lang unter gesundheitlicher Beobachtung stehen müssen. In den Metropolen hört man an jeder Ecke Anekdoten von Studenten, die ihre Pläne für Auslandssemester aufgegeben haben. Unter Pekings Expats ist das dominierende Gesprächsthema die Ungewissheit, wann man Familienmitglieder besuchen kann. Denn trotz strenger Quarantäne und negativer Virustests sind die Grenzen für Nichtstaatsbürger auf unabsehbare Zeit dicht.
Versteckte Impfskeptiker
„China muss die globale Impfstoffentwicklung anführen“, schreibt die Zeitung „Global Times“: „Wir müssen die höchste Impfrate erreichen und bei der Herdenimmunität in den vorderen Reihen landen.“Nur dann könne man weiter ein offenes Land sein, das die globale wirtschaftliche Erholung anführt.
Auf dem Weg dahin muss der Staat die Impfskepsis der Chinesen überwinden. In Umfragen wollen sich zwar 80 Prozent Vakzin injizieren lassen. In Wahrheit ist aber die Skepsis groß: „Viele wollen sich nicht impfen lassen, das Risiko, sich derzeit in China anzustecken, ist gering“, sagt eine Ärztin aus Shanghai. In sozialen Medien diskutieren User offen: „Soll die Staatsführung den ersten Schritt machen“, so ein Nutzer. Ein anderer: „Mein Chef wollte mich zwingen, dass ich mich impfen lasse. Als ich ablehnte, fing er an zu schreien.“