Hobby-Rocker als Chefdiplomat mit leisen Tönen
USA. Außenminister Antony Blinken verkörpert Kontrast zu Mike Pompeo.
Wien/Washington. Die Fotogalerie mit den Konterfeis Mike Pompeos und sein Leitmotiv sind von den Korridoren des State Department verschwunden. Doch sein Vermächtnis ist nach dem Machtwechsel in Washington nicht so rasch aus der Welt zu schaffen. Nachfolger Antony Blinken trat das neue Amt mit einer Bürde an, die ihm die eigenmächtige Wirbelwind-Offensive Pompeos in einigen Krisenzonen in den allerletzten Tagen aufgehalst hatte. Wenngleich Blinken einen Kontrast zum eher plump wirkenden Pompeo verkörpert, will er nicht alle Pfeiler der Trump-Ära niederreißen.
Für den 58-jährigen Vertrauten Joe Bidens ist es eine Rückkehr in ein Ressort, das er vor vier Jahren als Vizeaußenminister John Kerrys verlassen hat. Zudem bringt er mit Wendy Sherman und Victoria Nuland zwei profilierte Diplomatinnen als Stellvertreterinnen mit, die mit zumindest einem Prinzip des männerbündlerischen Mottos „White, male, Yale“brechen. Zurück auf der Agenda ist überdies die tägliche Pressekonferenz.
Augenfällig ist der Stil- und Klimawandel in einem Ministerium, dessen Mitarbeiter zunehmend demoralisiert und zermürbt waren von der sprunghaften Politik der Trump-Ära. Blinken, der Diplomatensohn und Karrierediplomat, hat darum geschworen, das Vertrauen in das State Department und in die globale Führungskraft der USA zurückzubringen, die Beziehungen zu den Alliierten zu stärken und dem Multilateralismus zu einer Renaissance zu verhelfen.
Perfektes Französisch
Dies hat Blinken seinen Kollegen in ersten Telefonaten versichert, und beim französischen Außenminister Jean-Yves Le Drian dürfte er mit seinem perfekten Französisch gepunktet haben. Nach der Scheidung seiner Eltern war der Neunjährige mit der Mutter zu seinem neuen Stiefvater, einem HolocaustÜberlebenden, nach Paris gezogen.
Seit seiner Nominierung hat Blinken das Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit stets bekräftigt. „Keiner der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, kann von einem Land allein bewältigt werden – selbst nicht von einem so mächtigen wie den USA.“Bei jeder Gelegenheit, beim Hearing im Senat und zuletzt bei seiner Antrittsrede, signalisierte der neue US-Chefdiplomat, dass Verlässlichkeit und Berechenbarkeit nach den Jahren der Alleingänge und Turbulenzen wieder zu einer festen Größe avancieren.
Tony Blinken ist der ultimative Insider. Seit mehr als zwei Jahrzehnten bewegt er sich als Bidens außenpolitischer Berater im Senat, als Vize-Sicherheitsberater in der Regierung, als Experte in Thinktanks und als Konsulent geschmeidig in Washingtons Politzirkeln. Bei zentralen Entscheidungen der Obama-Ära hatte er seine Hände im Spiel, bei der Kommandoaktion gegen Osama bin Laden – „der mutigste Entschluss“– saß er mit im Situation Room. Doch er steht auch nicht an, das größte Scheitern zu benennen – die Syrien-Politik.
In manchen Punkten verheißt Blinken Kontinuität. So bestätigte er Zalmay Khalilzad nach Fortschritten in den Verhandlungen mit den Taliban als versierten Afghanistan-Sonderbotschafter. In Nahost hält er an den „AbrahamAbkommen“zwischen Israel und einigen arabischen Staaten fest. Auch die Rücknahme der symbolischen Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem steht nicht zur Debatte, sehr wohl jedoch die Rückkehr zu einer Zweistaatenlösung. Gegenüber dem Iran pocht er auf die Einhaltung des von Trump aufgekündigten Atompakts als Bedingung für Neuverhandlungen.
Harte Linie gegenüber China
Peking, Moskau und Pjöngjang („Schlimmer als zuvor“) müssen sich jedenfalls auf eine harte Linie Washingtons einstellen. Dies ließ Blinken anklingen, als er den „Genozid“Chinas an den Uiguren verurteilte, den asiatischen Verbündeten im Konflikt im Südchinesischen Meer den Rücken stärkte und für eine größere Rolle Taiwans auf der Weltbühne plädierte. Dass den USA von China die größte Gefahr drohe, steht für Blinken fest. In Richtung Russland schickte er eine Warnung im Fall Nawalny und des jüngsten Hackerangriffs. Zugleich verspricht er eine Kooperation bei internationalen Großthemen wie Klimawandel und Abrüstung.
Für sein Hobby wird der Jungvater kaum Zeit finden. Als ABlinken – eine Reverenz an Abe Lincoln – spielt er in einer Rockband. Die Songs „Patience“und „Lip Service“verraten womöglich Eigenschaften eines Diplomaten, der eher die leisen Töne liebt.