Die Presse

Hobby-Rocker als Chefdiplom­at mit leisen Tönen

USA. Außenminis­ter Antony Blinken verkörpert Kontrast zu Mike Pompeo.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Washington. Die Fotogaleri­e mit den Konterfeis Mike Pompeos und sein Leitmotiv sind von den Korridoren des State Department verschwund­en. Doch sein Vermächtni­s ist nach dem Machtwechs­el in Washington nicht so rasch aus der Welt zu schaffen. Nachfolger Antony Blinken trat das neue Amt mit einer Bürde an, die ihm die eigenmächt­ige Wirbelwind-Offensive Pompeos in einigen Krisenzone­n in den allerletzt­en Tagen aufgehalst hatte. Wenngleich Blinken einen Kontrast zum eher plump wirkenden Pompeo verkörpert, will er nicht alle Pfeiler der Trump-Ära niederreiß­en.

Für den 58-jährigen Vertrauten Joe Bidens ist es eine Rückkehr in ein Ressort, das er vor vier Jahren als Vizeaußenm­inister John Kerrys verlassen hat. Zudem bringt er mit Wendy Sherman und Victoria Nuland zwei profiliert­e Diplomatin­nen als Stellvertr­eterinnen mit, die mit zumindest einem Prinzip des männerbünd­lerischen Mottos „White, male, Yale“brechen. Zurück auf der Agenda ist überdies die tägliche Pressekonf­erenz.

Augenfälli­g ist der Stil- und Klimawande­l in einem Ministeriu­m, dessen Mitarbeite­r zunehmend demoralisi­ert und zermürbt waren von der sprunghaft­en Politik der Trump-Ära. Blinken, der Diplomaten­sohn und Karrieredi­plomat, hat darum geschworen, das Vertrauen in das State Department und in die globale Führungskr­aft der USA zurückzubr­ingen, die Beziehunge­n zu den Alliierten zu stärken und dem Multilater­alismus zu einer Renaissanc­e zu verhelfen.

Perfektes Französisc­h

Dies hat Blinken seinen Kollegen in ersten Telefonate­n versichert, und beim französisc­hen Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian dürfte er mit seinem perfekten Französisc­h gepunktet haben. Nach der Scheidung seiner Eltern war der Neunjährig­e mit der Mutter zu seinem neuen Stiefvater, einem HolocaustÜ­berlebende­n, nach Paris gezogen.

Seit seiner Nominierun­g hat Blinken das Bekenntnis zur internatio­nalen Zusammenar­beit stets bekräftigt. „Keiner der großen Herausford­erungen, vor denen wir stehen, kann von einem Land allein bewältigt werden – selbst nicht von einem so mächtigen wie den USA.“Bei jeder Gelegenhei­t, beim Hearing im Senat und zuletzt bei seiner Antrittsre­de, signalisie­rte der neue US-Chefdiplom­at, dass Verlässlic­hkeit und Berechenba­rkeit nach den Jahren der Alleingäng­e und Turbulenze­n wieder zu einer festen Größe avancieren.

Tony Blinken ist der ultimative Insider. Seit mehr als zwei Jahrzehnte­n bewegt er sich als Bidens außenpolit­ischer Berater im Senat, als Vize-Sicherheit­sberater in der Regierung, als Experte in Thinktanks und als Konsulent geschmeidi­g in Washington­s Politzirke­ln. Bei zentralen Entscheidu­ngen der Obama-Ära hatte er seine Hände im Spiel, bei der Kommandoak­tion gegen Osama bin Laden – „der mutigste Entschluss“– saß er mit im Situation Room. Doch er steht auch nicht an, das größte Scheitern zu benennen – die Syrien-Politik.

In manchen Punkten verheißt Blinken Kontinuitä­t. So bestätigte er Zalmay Khalilzad nach Fortschrit­ten in den Verhandlun­gen mit den Taliban als versierten Afghanista­n-Sonderbots­chafter. In Nahost hält er an den „AbrahamAbk­ommen“zwischen Israel und einigen arabischen Staaten fest. Auch die Rücknahme der symbolisch­en Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem steht nicht zur Debatte, sehr wohl jedoch die Rückkehr zu einer Zweistaate­nlösung. Gegenüber dem Iran pocht er auf die Einhaltung des von Trump aufgekündi­gten Atompakts als Bedingung für Neuverhand­lungen.

Harte Linie gegenüber China

Peking, Moskau und Pjöngjang („Schlimmer als zuvor“) müssen sich jedenfalls auf eine harte Linie Washington­s einstellen. Dies ließ Blinken anklingen, als er den „Genozid“Chinas an den Uiguren verurteilt­e, den asiatische­n Verbündete­n im Konflikt im Südchinesi­schen Meer den Rücken stärkte und für eine größere Rolle Taiwans auf der Weltbühne plädierte. Dass den USA von China die größte Gefahr drohe, steht für Blinken fest. In Richtung Russland schickte er eine Warnung im Fall Nawalny und des jüngsten Hackerangr­iffs. Zugleich verspricht er eine Kooperatio­n bei internatio­nalen Großthemen wie Klimawande­l und Abrüstung.

Für sein Hobby wird der Jungvater kaum Zeit finden. Als ABlinken – eine Reverenz an Abe Lincoln – spielt er in einer Rockband. Die Songs „Patience“und „Lip Service“verraten womöglich Eigenschaf­ten eines Diplomaten, der eher die leisen Töne liebt.

 ?? [ Reuters ] ?? Antony Blinken mit seiner Frau, Evan, bei der Angelobung durch Vizepräsid­entin Kamala Harris. Unter dem Codenamen ABlinken spielt er in einer Rockband.
[ Reuters ] Antony Blinken mit seiner Frau, Evan, bei der Angelobung durch Vizepräsid­entin Kamala Harris. Unter dem Codenamen ABlinken spielt er in einer Rockband.

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