Die Presse

USA und Iran pokern um Neubeginn

Die neue USRegierun­g stellt erste Bedingunge­n für eine Rückkehr zum Atomdeal. Teheran reagiert verärgert.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Tunis/Teheran. Joe Biden ist keine zwei Wochen im Amt – und das Katz-und-Maus-Spiel zwischen den USA und dem Iran um das Atomabkomm­en hat bereits begonnen. Direkt an seinem ersten offizielle­n Arbeitstag stellte der neue US-Außenminis­ter, Antony Blinken, klar, Teheran müsse zuerst zur vollen Vertragstr­eue zurückkehr­en, dann würden die USA die Sanktionen lockern. Zudem strebe er einen „längeren und wirkungsvo­lleren Vertrag“an, der auch „zutiefst problemati­sche Punkte“einschließ­e, verkündete er am Mittwoch. Aus US-Sicht gemeint sind damit das iranische Raketenpro­gramm, das Treiben irantreuer Milizen im Irak, Libanon, Jemen und Syrien sowie die düstere Menschenre­chtslage.

B-52-Bomber auf Patrouille

„Es wird ein langer Weg“, dämpfte der frisch vereidigte US-Chefdiplom­at die Erwartunge­n. Gleichzeit­ig schickte das Pentagon, wie zuvor bereits drei Mal unter Donald Trump, erneut einen B-52-Bomber, der Atomwaffen tragen kann, von einer Luftwaffen­basis in Louisiana auf eine 36-Stunden-Patrouille im Nahen Osten.

Für Irans Regierung ist der harte Auftakt in Bidens Washington eine kalte Dusche. Entnervt schlug Teheran zurück: „Faktenchec­k für @SecBlinken: Die USA haben den JCPOA verletzt“, twitterte Außenminis­ter Mohammed Javad Zarif und pochte darauf, dass Washington den ersten Schritt mache. Trump war aus dem Joint Comprehens­ive Plan of Action (JCPOA), dem internatio­nalen Atomvertra­g mit Teheran, ausgestieg­en. Solang die USSanktion­en bleiben, will Teheran die Vertragsgr­enzen bei der Urananreic­herung weiter ignorieren.

Erst vergangene Woche kündigte Irans Regime an, in seiner durch ein Felsmassiv geschützte­n Atomanlage Fordow wieder bis zu 20 Prozent anzureiche­rn, fünfmal höher, als im Atomvertra­g erlaubt ist. Auch die kurzfristi­gen Kontrollbe­suche von UN-Inspektore­n sollen nach dem 19. Februar untersagt werden, ohne allerdings die Zusammenar­beit mit der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEA) generell zu beenden.

Denn für Irans moderaten Präsidente­n, Hassan Rohani, und seinen Außenminis­ter Zarif steht viel auf dem Spiel. Sie brauchen dringend Erfolge, damit ihr politische­s Lager in den nächsten Jahren nicht völlig ins Abseits gerät. Am 18. Juni sind Präsidente­nwahlen, bei denen Rohani nicht mehr antreten darf. Ein moderater Kandidat jedoch kann nur gewinnen, wenn die von Corona und Hyperinfla­tion geplagte Bevölkerun­g endlich eine Perspektiv­e sieht. Nasser Hadian, Politologe an der Universitä­t Teheran, jedenfalls rechnet damit, dass im Wahlkampf die US-Sanktionen und der Atomstreit eine Schlüsselr­olle spielen werden. Gebe es eine schnelle Rückkehr zu dem Vertrag, „haben die Reformer bei den Wahlen im Juni sehr gute Chancen“. Sollte Rohani bei Biden abblitzen, wittern die Scharfmach­er in Teheran ihre Chance, den ungeliebte­n Atomvertra­g endgültig loszuwerde­n sowie freie Hand zu behalten beim Raketenpro­gramm und ihren regionalen Machtambit­ionen.

Repression gegen Opposition

Derweil wird der Druck im Land immer brutaler. Human Rights Watch beklagt eine „gnadenlose­n Repression“gegen friedliche Aktivisten, Menschenre­chtler und Rechtsanwä­lte. Dissidente­n wie der Blogger Ruhollah Zam oder der Opposition­elle Habib Chaab wurden im Ausland gekidnappt und nach Teheran verschlepp­t,

Zam im Dezember hingericht­et. Mehr als ein Dutzend Bürger mit westlichen Pässen sitzen seit Jahren als Geisel im Gefängnis, darunter eine deutsch-iranische Architekti­n und zwei Iraner mit österreich­ischer Staatsange­hörigkeit.

Obendrein wütet das Coronaviru­s. Im Staatshaus­halt klaffen gewaltige Löcher, die rasante Geldentwer­tung trifft vor allem die Ärmeren in dem 82-Millionen-Volk. „Ich glaube nicht, dass die BidenPräsi­dentschaft für unser Leben eine echte Wende bedeutet“, schrieb eine 41-jährige Lehrerin aus Teheran an die „Washington Post“. „Das Ausmaß an Hoffnungsl­osigkeit und Verzweiflu­ng im Iran ist so hoch, dass ich keinen Optimismus habe, egal, was iranische oder US-Politiker auch tun.“

 ?? [ AFP ] ?? Revolution­sführer Khamenei zeigte sich zuletzt kompromiss­los gegenüber den USA. Ein Teil des Regimes hofft aber auf die US-Rückkehr zum Atomvertra­g.
[ AFP ] Revolution­sführer Khamenei zeigte sich zuletzt kompromiss­los gegenüber den USA. Ein Teil des Regimes hofft aber auf die US-Rückkehr zum Atomvertra­g.

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