Die Presse

Behörden setzen Nawalnys Umfeld unter Druck

Russland. Nach einem Gerichtsen­tscheid bleibt der Opposition­elle Nawalny in Untersuchu­ngshaft. Derweil verstärkt sich der Druck auf Nawalnys Anhänger. Der Bewegung sollen die Köpfe genommen, Demonstran­ten entmutigt werden.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau. Alexej Nawalny war zu der Gerichtsve­rhandlung aus einer Zelle im Moskauer Untersuchu­ngsgefängn­is Matrosenru­he per Video zugeschalt­et. In der berüchtigt­en Haftanstal­t muss er bis auf Weiteres bleiben. Ein Moskauer Gericht gab gestern dem Einspruch von Nawalnys Anwälten gegen dessen 30-tägige Haftstrafe nicht statt. Nawalny war nach seiner Ankunft in Moskau am 17. Jänner festgenomm­en und anderntags von einem Gericht zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Die Entscheidu­ng war unter anderem deshalb umstritten, weil das Gericht direkt in der Polizeista­tion getagt hatte und Nawalny sich mit seinem Anwalt vorab nicht hatte beraten können. Als „demonstrat­ive Gesetzlosi­gkeit“bezeichnet­e der Opposition­spolitiker gestern den Prozess, die Richter nannte er „Sklaven“. „Derzeit ist die Macht auf eurer Seite. Aber das wird nicht ewig so weitergehe­n.“

Vor der Verhandlun­g hatte in Opposition­skreisen das Gerücht kursiert, Nawalny könnte freigelass­en werden. Dafür sollte ihm angeblich die Zusicherun­g abgerungen werden, das Land zu verlassen. Dazu ist es nicht gekommen. Die Silowiki, die einflussre­ichen Sicherheit­sorgane, bevorzugen einen Nawalny hinter Gittern. Zudem ist nur schwer vorstellba­r, dass sich der kompromiss­lose Politiker auf so einen Deal einlassen würde. Nawalny rief seine Anhänger jedenfalls dazu auf, sich nicht einschücht­ern zu lassen. Für Sonntagmit­tag sind in Dutzenden russischen Städten abermals Protestakt­ionen geplant. In Moskau ruft man zu einem Treffen vor dem Gebäude des Inlandsgeh­eimdienste­s FSB. Ein Protest vor der sogenannte­n Lubjanka – das ist eine kalkuliert­e Provokatio­n. Mit Spannung wird erwartet, wie viele Anhänger dieses Mal kommen. In der Vorwoche gingen in Moskau mehrere Zehntausen­d auf die Straße.

Verstöße gegen Coronarege­ln

Die Behörden sind allerdings nicht untätig. Sie intensivie­ren den Druck auf die Opposition. Die Polizei durchsucht­e am Mittwoch mehr als ein Dutzend Wohnungen von Nawalnys Mitstreite­rn und nahm mehrere Personen fest, darunter Nawalnys Bruder Oleg, Nawalnys Ärztin Anastasia Wasiljewa und die Politikeri­n Ljubow Sobol. Ihnen wird vorgeworfe­n, gegen Corona-Hygieneauf­lagen verstoßen zu haben, was mit maximal zwei Jahren Freiheitss­trafe geahndet werden kann. Bei dem jüngsten Protest waren den Moskauer Stadtbehör­den zufolge mehrere Covidkrank­e anwesend.

Auch an die Internetfi­rmen Facebook, Google, Mail.ru, Twitter und TikTok ergingen wie schon in der Vorwoche Warnungen, keine Demo-Aufrufe mehr zu veröffentl­ichen. Gegen den Chef von Nawalnys Stab, Leonid Wolkow, eröffnete das Ermittlung­skomitee ein Strafverfa­hren wegen der „Verleitung“Minderjähr­iger zu den Protesten.

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