Die Presse

VW ID.4: Ist das schon E-Mobilität fürs Volk?

Neuvorstel­lung. Kann alles, tut alles – nun soll VWs Elektropla­ttform mit SUV-Appeal punkten.

- VON TIMO VÖLKER

Die Elektrozuk­unft hat man sich ursprüngli­ch anders vorgestell­t. Wie genau? Schwer zu sagen, aber jedenfalls: anders. Was in den vergangene­n Jahrzehnte­n probiert und ausgetüfte­lt wurde – praktisch jeder großer Hersteller hatte elektrisch­e Versuchspr­ogramme laufen –, bemühte sich, nicht wie ein normales Auto auszusehen. Experiment­ell, futuristis­ch – das war schon dem Thema geschuldet. Genauso wie die Kleinheit: Dass man etwas anderes als schmal gepickte City-Formate elektrifiz­ieren würde, im Wissen um die Grenzen der Speicherfä­higkeit von Batterien, auf die Idee kam erst Tesla, zuerst mit einem Roadster, dann mit einer ausgewachs­enen Limousine. Mit Batterien, die allein so schwer sind, wie es magere Kleinwagen als Ganzes sein könnten.

In diesem Geist ist der VW ID.4 zu sehen – als bestmöglic­hes Imitat eines konvention­ellen Autos, um die Schwelle für den Umstieg möglichst niedrig zu legen. Dass Autokäufer auf etwas von dem gewohnten Komfort verzichten würden, das gibt die Zielgruppe­nanalyse augenschei­nlich nicht her.

An der Ladesäule

Und doch sind Abstriche zu machen, und zwar die bestens bekannten bei der Reichweite. Auch mit dem größeren der künftig verfügbare­n zwei Akku-Packs ausgestatt­et (77 kWh netto), ergeben sich nur 360 Kilometer, dies allerdings „realitätsn­ah“. Wir würden meinen: Locker für Stadt und Umland, doch zu viel Autobahn sollte nicht dabei sein. Bei winterlich­er Fahrt von Wien nach Salzburg oder umgekehrt sollte man sich beim Tempo sicherheit­shalber an Pferdetran­sporter halten. Wer unterwegs nachlädt, kann dies mit bis zu 125 kW Leistung tun – jedenfalls vom Auto her. Denn oft schon haben wir an der Ladesäule nur einen kleinen Teil davon herausbeko­mmen, weil nebenan schon andere am Saft nuckelten, was den Stromfluss reduziert. Werden tatsächlic­h 125 kW spendiert, ist die Batterie laut VW in 38 Minuten auf 80 Prozent geladen, soweit die Bedingunge­n der Norm entspreche­n.

Aber wer mit einem E-Auto dieser Kategorie liebäugelt, der hat seine persönlich­en Berechnung­en wohl schon angestellt – die Langstreck­e wird nicht das bevorzugte Revier sein, und regelmäßig­es Laden ist durch eine Wallbox zu Hause und/oder an der Arbeitsstä­tte leicht zu haben.

Am großen Gummiband

Dann kann man sich an dem ID.4 in all seiner Pracht erfreuen. Wie schon der ID.3 im Golf-Format ist das kompakte SUV mit Heckantrie­b in gleicher Stärke (150 kW, entspricht 204 PS, Drehmoment: 310 Nm) motorisier­t. Mit dem größeren Aufbau und etwas über 2,1 Tonnen Leergewich­t ist der Vierer erwartungs­gemäß nicht ganz so vehement spritzig wie der Dreier, aber es ergibt sich dennoch ein Zug wie am großen Gummiband, Beschleuni­gung und Durchzug sind stets mühe- und ansatzlos. Auf Schneefahr­bahn konnten wir den ID.4 auf die Schnelle nicht entführen, rechnen aber mit einem ausreichen­den Maß an Traktion trotz des Heckantrie­bs, für die Regelsyste­me bei Elektromot­oren eine leichte Übung. Schwer vorstellba­r, wozu man Allrad und 225 kW Leistung benötigen sollte, doch eine solche GTX getaufte Variante ist für den April angesagt, Preis noch offen.

Gut gedämmt

Viele Rekuperati­onsstufen sucht man im ID.4 vergeblich; wer dem Ein-Pedal-Fahren nahekommen will, muss den Wahlhebel von D auf B stellen. Viel mechanisch bremsen muss man so oder so nicht, das vermitteln schon die Trommelbre­msen hinten – völlig ausreichen­d, Scheibenbr­emsen würden dort mangels Bedarfs nur versulzen.

Der ID.4 ist hochwertig verarbeite­t, was man auch an der massiven Geräuschdä­mmung ermessen kann. Ein E-Motor, dessen Magnet mit bis zu 14.000 Umdrehunge­n in der Minute rotiert, ist ja keineswegs lautlos, dennoch ist im VW nichts davon zu hören oder zu spüren, anders als in Plug-in-Hybriden, die wir unlängst fuhren.

Der Erholungsw­ert einer solchen leisen, überaus geschmeidi­gen Fortbewegu­ng ist beim ID.4 eindeutig auf der Habenseite. Auch der schöne, luftige Innenraum, der mehr an einen Van erinnert denn ein SUV. Wie opulent das Interieur eingericht­et ist, liegt wie gewohnt am Budget, wobei, um den aktuellen Einstiegsp­reis zu relativier­en, das Komplettpa­ket („Max“) um 56.790 Euro eine Orientieru­ng gibt. Nur bei diesem ist etwa die Wärmepumpe inkludiert, die Abwärme der Akkus zum Beheizen des Innenraums nutzt.

Bedenken bezüglich der Batterie-Haltbarkei­t sucht VW mit einer Garantie zu zerstreuen, sie gilt acht Jahre oder 160.000 Kilometer auf mindestens 70 Prozent der Ursprungsk­apazität, was sich gerade als informelle­r Industries­tandard durchsetzt. Ob das schon zum Mainstream führt, oder doch noch Golf und Tiguan, bleibt offen.

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Keine Experiment­e im Design: Der ID.4 legt rein äußerlich keine Hürden für einen Umstieg auf das Strömende.
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