Nun sind 94 Sekunden mehr Mozart in der Welt
Mozartwoche. Zum Auftakt des diesmal rein digitalen Festivals präsentiert Intendant Rolando Villazon´ ein bisher unbekanntes kurzes Klavierstück und ein gutes Konzert des Mozarteumorchesters, in dem er selbst sang.
Besucher haben aus bekannten Gründen heuer keinen Zutritt. Aber mehr Musikfreunde als je zuvor können via „Fidelio“Streaming live bei der Salzburger Mozartwoche dabei sein. Sie werden gespannt gewartet haben, was zum Auftakt dieser Digital-Initiative passiert, denn es war eine MozartUraufführung angekündigt.
Die Stiftung Mozarteum konnte ein Blatt Papier erwerben, auf dem ein kleines Klavierstück aufgezeichnet ist. Die Handschrift konnte einwandfrei als jene Mozarts identifiziert, die Entstehungszeit etwa mit 1773 datiert werden.
Am nächsten kommen dem Blatt Mozarts eigenhändige Aufzeichnungen der (nicht von ihm selbst stammenden) Ballettmusik, die anlässlich der Mailänder Uraufführung seines „Lucio Silla“gespielt wurde. Wer das nunmehr unter Köchel-Nummer 626b-16 katalogisierte „Allegro in D-Dur“gespielt von Seung-Jin Cho nun hört, könnte auf den Gedanken kommen, auch dieses knapp eineinhalbminütige Werklein könnte von einem Mozart-Zeitgenossen stammen und aus dem Gedächtnis niedergeschrieben worden sein wie die „Lucio Silla“-Tänze.
Wie auch immer: Wir sind um ein paar Sekunden Musik reicher, die Mozart immerhin für notierenswert befunden hat. Wie das war, wenn er innerlich brannte, hörte man im abendlichen Eröffnungskonzert am 265. Geburtstag des Komponisten. Der sonorholzige Klang des leeren Mozarteums entpuppte sich als idealer Ort zur Demonstration jenes Schönklangs, den das Mozarteumorchester in den vergangenen Jahren kultiviert hat und auch unter der Leitung der Dirigentin Keri-Lynn Wilson pflegt.
Dramatik im leeren Konzertsaal
„Mozart als Dramatiker“heißt das FestivalMotto. Wie ließe sich das im Konzertsaal schöner erfüllen als mit der sogenannten kleinen g-Moll-Symphonie, in der die furiosen Passagen mit schönen, empfindsamen Oboensoli kontrastierten. Moderator Villazon´ erinnerte, apropos, daran, dass das Thema „Mozart und die Bläser“bereits vergangenes Jahr abgehandelt worden war.
Als Nachzügler gab man das Konzert für Flöte und Harfe, in dem Mathilde Calderini zart, poetisch das Solo blies, fast zu behutsam gegen Xavier de Maistres vollen, runden Harfenton, der auch Pointen verschmitzt, aber immer prägnant setzte.
In Fragmenten aus „Figaros Hochzeit“suchten Giulia Semenzato (Susanna), Luca Pisaroni (Graf ) und der Intendant selbst als Basilio per Mienenspiel und Gestik die fehlende Szene zu ersetzen. Villazon´ hatte zuvor Mozarts allererste Konzertarie gesungen, die mehrheitlich in einer Lage notiert ist, in der die Stimme noch gut anspricht.
Die wild bewegte Arie „Aspri rimorsi atroci“(KV 432), für den ersten Osmin komponiert, lag Pisaroni ein wenig tief, was ihn nicht hinderte, die Erregung der Situation vokal ausdrucksvoll umzusetzen. Wogegen Semenzato angesichts der chromatischen Schmerzensbotschaften von „Bella mia fiamma“doch zu eindimensional tönte. Dass Mozarts Figuren Zeitgenossen von Goethes „Werther“sind, war nicht auszumachen.
Die Präsentation auf myfidelio.at ist mustergültig: Villazon´ erläutert im Gespräch mit Barbara Rett das Programm des Festivals und entlockt dem Mozart-Forscher Ulrich Leisinger alle Geheimnisse rund um das wieder aufgefundene Manuskript. Bis Sonntag gibt es noch sechs Livestreams, u. a. mit philharmonischer Kammermusik, Daniel Barenboim und Martha Argerich. Die 94-Sekunden-Sensation ist auch auf YouTube zu hören (im Kanal der Deutsche Grammophon).