Durch die Dolomiten – über Loipen
Langlaufen. Eine Reise mit Langlaufskiern von Osttirol ins Herz der Dolomiten ist seit einigen Jahren ein Dauerbrenner. Getestet in vorpandemischen Zeiten – für die Zeit nach den Lockdown. Schnee liegt heuer vermutlich lang.
Beim ersten Anblick scheint es schon gewöhnungsbedürftig. Eine mehrtägige Tour in der Loipe von Osttirol quer durch die Dolomiten bis nach Cortina d’Ampezzo. Asketische Langläufer sind nicht gerade das, was man mit dem Glamour in Cortina in Verbindung bringen mag. Das ist ungefähr so, wie wenn man mit dem Fahrrad zum Hahnenkamm nach Kitzbühel fährt. Aber heuer ist eh alles anders, sind wir alle froh, wenn wir uns halbwegs kontaktlos in der Natur bewegen können. Und da ist das Langlaufen eine vielversprechende Alternative. Außerdem hilft es, das Immunsystem zu stärken, sagt Eugenio, der Langlauflehrer aus Toblach, der auf diesem Ausflug der Guide ist. Trans Dolomiti heißt das Angebot, eine Reise mit Langlaufskiern von Untertilliach nach Südtirol bis Sexten und weiter durch das Höhlensteintal bis Cortina d’Ampezzo mit insgesamt 100 Kilometern. Entweder ganz gemütlich in einer Woche oder etwas sportlicher in vier Tagen mit 35 Kilometern pro Tag. Üblicherweise mit Gepäcktransport, organisierter Übernachtung und Shuttleservice am Ende der Tour.
Zum Warm-up wartet bei Untertilliach die Grenzlandloipe, die auf gut 50 Kilometern Gailtal und Lesachtal quert. Für den Einstieg reicht die Passage vorbei an Obertilliach bis zum Biathlonzentrum direkt neben der Talstraße. Auf diesem Abschnitt sind Durchhaltevermögen und Charakterfestigkeit gefragt. Etliche Bergauf- und Bergabpassagen treiben den Puls in die Höhe. Rund um das Biathlonzentrum sind auch Profis in der Loipe unterwegs, die einen so locker und dynamisch überholen, dass man zweifelt, ob man sich überhaupt nach vorn bewegt. Aber das Langlaufen auf dieser Tour hat eigentlich einen entspannten Charakter, geht es doch darum, sich gleichmäßig und ausgeglichen in der Natur zu bewegen. Das kann man so machen, muss man aber nicht. Jeder läuft sein individuelles Tempo.
Das gibt dem ersten Abschnitt bis Kartitsch einen speziellen Reiz, hier laufen wir durch den Bergwald mit mehreren Lichtungen, begleitet vom Knirschen des Schnees unter den schmalen Latten und dem Rauschen des Windes in den Ästen. Langlaufen an sich ist eine eher monotone Bewegung, lebt von der Gleichmäßigkeit. Für Abwechslung sorgt die Natur entlang der Loipe. Auch als ungeübter Läufer findet man irgendwann seinen Rhythmus, was die Reise wesentlich erleichtert und Voraussetzung dafür ist, dass es richtig Spaß macht. Für das kurze Stück von Kartitsch nach Sillian steht eine Busfahrt auf dem Programm. Die 250 Höhenmeter hinunter ins Hochpustertal wären auch für Gelegenheitslangläufer eine arge Mutprobe.
Unten im Tal lassen wir Sillian rechts liegen, laufen an den mächtigen weißen Fabrikgebäuden des Südtiroler Keksherstellers Loacker vorbei und folgen dem Waldrand auf der südlichen Talseite. Hier zieht die Loipe flach dahin, stellt keine besonderen technischen
Ansprüche. Der alte Grenzübergang mit einem trostlosen Arrangement aus Tankstellen, abgetakelten Frachtgebäuden und Zollhäusern ist wenig einladend. Wir sind jetzt in Südtirol und begleiten die Talstraße bis zu dem kleinen Ort Vierschach, wo an der Talstation des Skigebiets gewöhnlich viel los ist. Das moderne Gebäude mit den großzügigen Glasfassaden beherbergt eine Kaffeebar. Eine gute und seltene Gelegenheit für einen Espresso direkt neben der Loipe. Der Blick von der Terrasse zum Gipfel des Helm und weiter hinüber zu den Sextner Dolomiten ist auch nicht schlecht.
Malerisch im Fischleintal
Langsam kommt immer mehr Dolomitenfeeling auf. Die nächsten drei Kilometer laufen wir mittlerweile recht routiniert über flache Wiesen nach Innichen, wo Eugenio eine kurze Passage mit dem Skibus nach Sexten vorschlägt. Dafür hat er auch zwei gute Gründe. Der eine ist die malerische Loipe hinein in das berühmte Fischleintal Richtung Drei Zinnen vorbei am Hotel Dolomitenhof der legendären Bergführerfamilie Innerkofler und durch den Lärchenwald. Dass man die Drei Zinnen nicht zu sehen bekommt, lässt sich verschmerzen. Dafür tröstet uns die Einkehr in die gemütliche Talschlusshütte, die eigentlich ein ausgewachsenes Gasthaus ist. Eugenio hat wenig Probleme, uns zu seinem Lieblingsgericht Sextner Schwarzbrotnudeln mit Ziegenkäse zu überreden. Noch ein obligatorischer Espresso, und dann stehen wir wieder in der Loipe und lernen es rasch zu schätzen, dass es talauswärts Richtung Innichen leicht bergab geht.
Villen, Bunker, Zinnen
Nach einer Nacht im Wellnesshotel direkt neben der Nordic Arena in Toblach wartet am nächsten Tag die schönste Etappe dieser Tour. Die Nordic Arena, Schauplatz von Tour-de-Ski-Wettbewerben, Weltcuprennen und des alljährlichen Volksrennens Pustertaler Marathon, ist ein stilgerechter Startort. Durch das Höhlensteintal geht es heute auf rund 30 Kilometern auf einer ehemaligen Bahntrasse, die im Sommer ein Radweg ist. Die ersten sanften Anstiege stecken wir locker weg, laufen am idyllischen Toblacher See vorbei, bewundern die Villen am Ufer. Auch wenn die Loipe immer geradeaus verläuft, wird es nicht langweilig. Links ragen alte Bunker aus dem Ersten Weltkrieg aus dem Schnee, weiter hinten erkennt man in dem Seitental das Profil der Drei Zinnen.
Es hat seine Vorteile, wenn man einen Guide wie Eugenio dabei hat, der ein Händchen für das richtige Timing hat. Genau an der Stelle, an der wir die ersten 15 Kilometer und solide 200 Höhenmeter absolviert haben, wir am höchsten Punkt der Strecke sind, lotst er uns in eine ziemlich antiquarische Trattoria. In der Cima Banche tafeln wir Tagliatelle mit Steinpilzen und Papardelle mit Hirschragout, lassen uns vom Wirt die Geschichten zu den SchwarzWeiß-Fotos an der Wand mit den einstigen Luxushotels im Tal erzählen. So kann Geschichtsunterricht gern aussehen. Vor dem obligaten Grappa drücken wir uns. Schließlich warten da noch 15 Loipenkilometer. Die stellen sich dann als gemütliche Passage dar. Es geht kontinuierlich bergab, wir können mit wenigen Stockeinsätzen die schmalen Skier laufen lassen und den Blick auf Monte Cristallo und Tofana genießen.
Loipe mit Buckeln und Kurven
Der Rest des Tages in Cortina d’Ampezzo ist gut gefüllt mit Entspannen, einer Promenade über den berühmten Corso Italia und abends mit einem ausführlichen Exkurs in die klassische italienische Küche. Die haben wir uns auch verdient. Der nächste Morgen gehört einem Ausflug hinauf zum 1800 Meter hohen Tre-CrociPass mit einer sportlichen, man könnte auch sagen abwechslungsreichen, Loipe mit vielen Buckeln und Kurven, einem verlassenen Luxushotel und dem einen und anderen Militärbunker neben der Spur. Tagsüber langlaufen und abends hemmungslos gut essen, das ist eine Kombination, an die man sich rasch gewöhnt. Bis der Shuttlebus kommt und uns in Richtung Untertilliach wieder ins normale Leben zurückbringt.