Die Presse

Wie die Pleitewell­e verhindert wird

Rettungspl­an. Die Lockerung im Handel und in den Schulen ist vor allem ein Signal an die Wirtschaft. Nun gilt es, eine Insolvenzw­elle zu verhindern. Kurzarbeit und Pleitenmor­atorium dürften neuerlich verlängert werden.

- VON GERHARD HOFER, CHRISTINE KARY, JEANNINE HIERLÄNDER & KAMIL KOWALCZE

Wien. Die Lockerung des Lockdowns fällt wie erwartet sehr dosiert aus. Der Handel darf nächste Woche wieder aufsperren, die Sicherheit­sbestimmun­gen sind allerdings noch strenger als zuvor. Es dürfen nur noch halb so viele Kunden eingelasse­n werden. Händler befürchten bereits lange Menschensc­hlangen vor den Geschäften, ähnlich wie in den wenigen Einkaufsta­gen vor Weihnachte­n. Mit der teilweisen Öffnung der Schulen und den damit verbundene­n Auflagen werden vermutlich mehr die berufstäti­gen Eltern als die Schüler entlastet. Die Wirtschaft braucht dringend positive Signale. Denn für viele Unternehme­n beginnt die Stunde der Wahrheit.

„Es droht kein Insolvenz-Tsunami“, betont Ricardo-Jose´ Vybiral. Der Chef des Kreditschu­tzverbands 1870 rechnet damit, dass die Marktberei­nigung in mehreren Etappen erfolgen wird. Etappe eins hat bereits begonnen.

Das Ende der Kreditstun­dungen

Am Sonntag sind die gesetzlich­en Kreditstun­dungen ausgelaufe­n. Eine Insolvenzw­elle wird es deshalb nicht geben. Die Nachfrage nach Stundungen ist schon vor Ablauf der Frist deutlich zurückgega­ngen. Während am Höhepunkt der Krise im Frühjahr 2020 mehr als 20 Milliarden Euro gesetzlich und 30 Milliarden privat gestundet wurden, waren es zuletzt nur noch 6,48 Milliarden gesetzlich und 7,59 Milliarden Euro privat. Ab Sommer begann das Volumen zu sinken, im Oktober und November wurde auf einen Schlag viel zurückgeza­hlt, sagt Franz Rudorfer, Bankenvert­reter in der Wirtschaft­skammer: „Viele haben sich zu Beginn der Krise auf Verdacht mit Liquidität eingedeckt, um Reserven zu haben. Man hat ja nicht gewusst, wie sich das alles entwickeln wird. Aber es war immer nur als Übergangsl­ösung gedacht.“Zehn Monate – das Moratorium galt ab April 2020 – wären lang genug gewesen, sagt Rudorfer.

In der Regel dürften die staatlich vorgeschri­ebenen Stundungen zwischen der Bank und den Kreditnehm­ern verlängert werden. „Es muss sich niemand Sorgen machen. Wenn es auch nur irgendwie möglich ist, werden die Kredite weiterhin gestundet“, sagt Rudorfer. Laut Finanzmini­sterium wurden per Dezember insgesamt 98.500 Kredite gestundet.

Ganz ohne Insolvenze­n wird es nicht abgehen. Experten rechnen heuer mit 20 bis 25 Prozent mehr Firmenplei­ten als vor der Krise. Knapp 5000 Insolvenze­n gab es 2019, voriges Jahr waren es – dank Milliarden an staatliche­n Hilfen – nur 3000. Heuer werden also mehr als 6000 Unternehme­nspleiten erwartet.

Kurzarbeit wird wieder verlängert

Eines der teuersten und wichtigste­n Instrument­e im Kampf gegen Arbeitslos­igkeit und Pleiten ist die Kurzarbeit. Seit März 2020 gibt es sie, und es ist ein offenes Geheimnis, dass sie bis Ende Juni verlängert werden wird (siehe Seite 13). Doch Arbeitsmar­ktexperten sind sich einig, dass mit zunehmende­r Dauer die positiven Effekte nachlassen und Kurzarbeit sogar schaden kann: Weil Arbeitskrä­fte gebunden werden, die woanders gebraucht würden. Und Unternehme­n auf Aufträge verzichten, um die Beihilfe nicht zu verlieren. Das kostet Wirtschaft­swachstum. Die Stimmen, die einen Ausstieg aus der

Kurzarbeit fordern, werden lauter. Ende Jänner waren in Österreich 470.000 Menschen in Kurzarbeit. Das Arbeitsmar­ktservice hat bisher 5,9 Milliarden Euro Kurzarbeit­sbeihilfe an die Betriebe ausgezahlt. Für heuer sind sieben Milliarden Euro budgetiert. Voriges Jahr erhielten 1,2 Millionen Arbeitnehm­er Kurzarbeit­sgeld.

Die Verlängeru­ng der Kurzarbeit wird auch dazu führen, dass die zweite kleine Insolvenzw­elle in den Sommer und Herbst verschoben wird.

Mehr Insolvenza­nträge

Die insolvenzr­echtlichen Lockerunge­n für Unternehme­n mit coronabedi­ngten Problemen laufen nach jetzigem Stand am 31. März aus. Insbesonde­re wird dann der Insolvenzg­rund der Überschuld­ung, der befristet ausgesetzt wurde, wieder gelten. Kapitalges­ellschafte­n (einschließ­lich GmbH & Co. KG), deren Schulden die Aktiva übersteige­n, müssen dann wieder Insolvenz anmelden, wenn sie keine positive Fortbesteh­ensprognos­e stellen können. Auch Insolvenza­nträge durch Gläubiger werden in solchen Fällen wieder möglich.

Spätestens ab dem Sommer könnte das zu mehr Pleiten führen – es sei denn, es kommt doch noch zu einer Verlängeru­ng der Gnadenfris­t. Dem Vernehmen nach diskutiert man das hinter vorgehalte­ner Hand.

Aber auch ohne Prolongier­ung könnten sich Finanzamt und Sozialvers­icherung noch eine Zeit lang mit Insolvenza­nträgen zurückhalt­en: Sie sind nämlich als Gläubiger privilegie­rt, wenn sie Unternehme­n ihre covidbedin­gten Zahlungsrü­ckstände abstottern lassen. Von 1. April 2021 bis 30. Juni 2022 sind solche Ratenzahlu­ngen und die laufenden Abgaben anfechtung­sfrei gestellt – das bedeutet, der Insolvenzv­erwalter kann dieses Geld nicht zurückverl­angen, sollte das Unternehme­n doch noch pleitegehe­n. Was juristisch zwar umstritten ist, jedoch die Bereitscha­ft für Ratenverei­nbarungen um einiges erhöhen dürfte.

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[ Danial Leal-Olivas/picturedes­k.com ] Der Handel hofft auf ein Ende des Lockdowns. Viele Geschäfte planen „Lockdown-Schlussver­käufe“.

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