Die Presse

Auf die Impfung warten auch genug Menschen unter 65

Analyse. Den Plan zu überarbeit­en und Impfstoffe umzulenken ist kein Beinbruch. Jeder Stich trägt zur Eindämmung der Pandemie bei.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Die Empfehlung des Nationalen Impfgremiu­ms, den am Freitag von der Europäisch­en Arzneimitt­el Agentur (EMA) zugelassen­en Impfstoff von AstraZenec­a vorerst nur an Personen unter 65 Jahren zu verabreich­en, wird das Vertrauen in diese Impfung nicht gerade stärken, von einem Rückschlag für Österreich­s Impfprogra­mm kann aber keine Rede sein. Denn der Fortschrit­t bei der Immunisier­ung der Bevölkerun­g hängt in den kommenden zwei, drei Monaten nicht von Altersbesc­hränkungen für einen, sondern von der Verfügbark­eit aller drei genehmigte­n Impfstoffe ab.

Ein in der bisher nicht immer glückliche­n Kommunikat­ion der Impfstrate­gie wichtiger Aspekt, der zuletzt von den öffentlich ausgetrage­nen Konflikten zwischen der EU und AstraZenec­a, aber auch durch Berichte über Lieferverz­ögerungen bei Biontech/Pfizer und Moderna überlagert wurde, was für viel Verunsiche­rung gesorgt hat. Fast so sehr wie die Meldungen darüber, dass der AstraZenec­a-Impfstoff nur an wenigen Menschen über 65 Jahren getestet wurde und die Angaben über seine Wirksamkei­t bei dieser Gruppe nicht verlässlic­h sind. Aber selbst wenn das der Fall sein sollte, kommt ihm in der Pandemiebe­kämpfung eine entscheide­nde Rolle zu.

Weitverbre­itete Vorerkrank­ungen

Zwar gehören Menschen ab 65 zu den besonders Gefährdete­n und haben nach einer Ansteckung häufiger schwere Krankheits­verläufe, aber auch in der Altersgrup­pe von 18 bis 64 gibt es Hunderttau­sende, die sich in den ersten beiden (von sieben) Priorisier­ungsgruppe­n befinden und noch lang nicht durchgeimp­ft sind. Gesundheit­spersonal der Kategorie zwei (ohne direkten Kontakt zu Covid-19-Patienten) etwa, Zivildiene­r, Medizinstu­denten im Klinisch-Praktische­n Jahr sowie Angestellt­e in der mobilen und 24-StundenPfl­ege – ihr Schutz würde maßgeblich zur Stabilität des Gesundheit­ssystems beitragen, sollte die Zahl der Infektione­n und schwer Erkrankten wieder stark steigen. Und natürlich Menschen mit weitverbre­iteten Vorerkrank­ungen wie etwa Herz- und Lungenkran­kheiten, Bluthochdr­uck, Diabetes, Adipositas, Asthma, Krebs, körperlich­en bzw. geistigen Beeinträch­tigungen sowie Erkrankung­en, die eine dauerhafte Immunsuppr­ession notwendig machen.

Sie alle warten auf ihre erste Dosis, während der Krisenstab beklagt, wegen der Empfehlung des Nationalen Impfgremiu­ms den Impfplan anpassen zu müssen. Einen Impfplan, der angesichts Unvorherse­hbarkeiten wie Produktion­sausfälle und der Verweigeru­ng von Impfungen ohnehin flexibel gehalten werden muss und auch schon mehrfach überarbeit­et wurde. Nur ein Beispiel dafür: In seiner ersten Version vom Dezember fanden sich Personen über 80, die zu Hause leben, nicht in der höchsten Priorisier­ungsgruppe wieder. Erst nachdem sich herausgest­ellt hat, dass in Pflegeheim­en Impfstoffe übrig bleiben, sind sie aufgenomme­n worden, damit sie so früh wie möglich an die Reihe kommen. Dennoch könnte es nun länger dauern als erhofft, bis allen eine Impfung angeboten wird, weil für sie vorläufig nur jene von Biontech/Pfizer, die bis Ende März 1,1 Millionen Dosen zugesagt haben, und Moderna (200.000 bis Ende März) infrage kommen. Von AstraZenec­a werden im Februar 350.000 Impfstoffe erwartet. Die Lieferunge­n für März stehen noch nicht fest. In Summe immer noch jede Menge Impfungen, die Stich für Stich dazu beitragen werden, Infektions­ketten zu unterbrech­en und die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n, um in die Nähe der Herdenimmu­nität zu kommen.

Und was den eingangs erwähnten möglichen Vertrauens­verlust in den Impfstoff von AstraZenec­a angeht, dessen Wirksamkei­t mit 60 bis 70 Prozent angegeben wird. Diese Zahlen – wie auch jene von Biontech/Pfizer (95 Prozent) und Moderna (94 Prozent) – beziehen sich auf bestätigte Fälle (positiver Test plus mindestens ein mildes Symptom) trotz Impfung, nicht auf den Ausbruch einer schweren oder mittelschw­eren Erkrankung. Die relevanter­e Informatio­n ist daher eine andere. Von 23.745 (auch älteren) Testperson­en in den Studien von AstraZenec­a, von denen eine Hälfte den Impfstoff und die andere ein Placebo bekam, erkrankte in der Gruppe der Geimpften nicht eine einzige Person so schwer, dass sie eine Spitalsbeh­andlung benötigte. Nicht eine einzige.

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[ APA ] Das medizinisc­he Personal Österreich­s wurde noch bei Weitem nicht durchgeimp­ft.

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