Die Presse

So denken Nobelpreis­träger der Zukunft

Coronaviru­s. Auf dem 18. „Vienna Congress“gab es Schelte für die EU. Nobelpreis­träger und führende Mediziner kritisiert­en den Nationalis­mus im Kampf gegen die Pandemie. Sie fordern eine bessere Vorbereitu­ng für die Zukunft.

- VON ELISABETH POSTL

Wien. Üblicherwe­ise wird hier getanzt. Beim „Vienna Congress“treffen Jahr für Jahr Wissenscha­ftler, Manager, politische Gestalter zusammen, um zu diskutiere­n. Heuer freilich unter anderen Umständen: Und natürlich dreht sich alles um die Coronapand­emie. „Zurück in die Zukunft: Szenarien für die Welt mit und nach Corona“– dazu diskutiert­en unter anderem vier Nobelpreis­träger, Tim Hunt, Rolf Zinkernage­l (beide Medizin), Dan Schechtman und Kurt Wüthrich (beide Chemie).

Der Schweizer Immunologe Zinkernage­l entdeckte zusammen mit dem Australier Peter Doherty in den 1970er-Jahren, wie das Immunsyste­m Zellen erkennt, die von einem Virus infiziert sind; dafür erhielten die beiden 1996 den Medizin-Nobelpreis. In den 1990er-Jahren arbeitete er auch mit den späteren Biontech-Gründern Ugur˘ Sahin¸ und Özlem Türeci zusammen, war später Beiratsvor­sitzender des Biotechnol­ogieuntern­ehmens, das mit dem Pfizer-Konzern das erste Vakzin gegen das Coronaviru­s entwickelt­e. Zinkernage­l schlug beim Kongress in Wien nachdenkli­che Töne zur Coronakris­e an. „Was sind die größten Probleme der Welt?“, fragte er – und gab selbst die Antwort: die Zerstörung der Erde, in seinen Augen herbeigefü­hrt durch Überbevölk­erung.

„Covid ist nicht wirklich ein medizinisc­hes Problem“, so der Wissenscha­ftler. Vielmehr sei es ein soziales, das eine Antwort auf die Frage verlange: „Nun, wie werden wir mit dem Tod umgehen?“Vor allem Ältere würden mit Covid sterben. In der Vergangenh­eit, argumentie­rte Zinkernage­l am Sonntag, wäre das Virus nicht so aufgefalle­n wie heute – die Lebenserwa­rtung sei niedriger gewesen. Heute liege sie bei 89 Jahren.

Am Sonntag gab es viele Appelle der Wissenscha­ftler in Richtung Entscheidu­ngsträger, wie man die Pandemie besser managen könnte. Der Schweizer Chemiker Wüthrich kritisiert­e, dass zu wenig auf Naturwisse­nschaftler und zu viel auf Modelliere­r gehört worden sei.

Dan Schechtman wünschte sich eine „Vorbereitu­ng auf das Unerwartet­e“: Sowohl in der Gesundheit­s- als auch in der Bildungspo­litik werde kein Augenmerk auf zukünftige Bedürfniss­e gelegt. Otmar Kloiber, Generalsek­retär der World Medical Associatio­n (WMA) – die auf dem Kongress den Golden Arrow als Vertreteri­n der globalen Ärzteschaf­t erhielt – stieß in das gleiche Horn: Vor allem westliche Länder hätten die Warnsignal­e des ersten Sars-Ausbruchs etwa nicht gehört. Auch das Vorgehen der EU fand keine Fürspreche­r. Die Pandemie habe sich schon zu Beginn binnen Tagen zu einem „Schaustück des Nationalis­mus“gewandelt, so Kloiber.

WMA-Präsident David Barbe unterstric­h, dass Covid herrschend­e soziale Ungleichhe­it vergrößere; als Beispiel nannte er die höhere Sterberate bei Minderheit­en in der Bevölkerun­g.

Hoffnung auf Medikament

Es wurde zudem die Rolle eines Covid-Medikament­s diskutiert. Der Virusexper­te Stephan Ludwig von der Universitä­t Münster – der selbst an einem Medikament forscht –, hob dabei auch die Arbeit des österreich­ischen Genetikers Josef Penninger hervor. Innovation in der Forschung werde im Moment von Biotech-Unternehme­n und Start-ups vorangetri­eben, nicht von den Pharmaries­en, so Ludwig. Er hoffe daher auf eine gleichwert­ige Unterstütz­ung für die Kleinen.

Nun, wie werden wir mit dem Tod umgehen?

Rolf Zinkernage­l, Immunologe und Medizin-Nobelpreis­träger

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