Die Presse

Wie lang man den Ausgang beschränke­n darf

Recht. Österreich nimmt Patienten aus Portugal auf. Wie passt das mit der Warnung vor dem Zusammenbr­uch der Spitalsver­sorgung zusammen? Und darf man die gesetzlich darauf fußenden Kontaktver­bote noch aufrechter­halten?

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Seit Anfang November gelten Ausgangs- und Kontaktbes­chränkunge­n. Die Rechtsgrun­dlage dafür ist das Covid-19-Maßnahmeng­esetz. Es erlaubt eine Verordnung dazu jedoch nur, wenn die medizinisc­he Versorgung Österreich­s sonst vor dem Zusammenbr­uch stünde. Wie aber passe das mit der Ankündigun­g Österreich­s, nun auch Covid-Patienten aus Portugal aufzunehme­n, zusammen, fragt ein „Presse“-Leser. Wie berechnet man also tatsächlic­h diese Gefahr der Überlastun­g, und wie lang kann es rechtmäßig sein, die Ausgehbesc­hränkungen fortzusetz­en?

Wann genau darf es Ausgangsbe­schränkung­en geben?

Laut Gesetz nur, „sofern es zur Verhinderu­ng der Verbreitun­g von Covid-19 unerlässli­ch ist, um einen drohenden Zusammenbr­uch der medizinisc­hen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituati­onen zu verhindern“. „Unerlässli­ch“, sei eine scharfe Formulieru­ng im Gesetz, sagt Verfassung­sjurist Peter Bußjäger von der Universitä­t Innsbruck. „Nur weil nicht jeder die beste medizinisc­he Versorgung mehr bekommen kann, ist es aber noch kein Zusammenbr­uch des Gesundheit­ssystems“, analysiert der Professor im Gespräch mit der „Presse“.

Und auf welchen Zeitraum muss man die Prognose beziehen?

Das Gesetz spricht nur von einem „drohenden Zusammenbr­uch“des Systems. Es gehe also immer um eine Prognose für die nächsten Wochen, wie Karl Stöger, Inhaber des Lehrstuhls für Medizinrec­ht an der Universitä­t Wien, verdeutlic­ht. Man müsse mit den Maßnahmen nicht erst abwarten, bis eine Triage in Spitälern bereits nötig werde.

Kann man Portugiese­n aufnehmen und Ausgangsre­geln beibehalte­n?

„Wir haben angeboten, eine Reihe von Intensivpa­tienten zu übernehmen, die genaue Zahl muss noch von den Portugiese­n festgelegt werden“, erklärte Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg am Sonntag in der „Zeit im Bild“. Doch die Zahl ist relevant. Wenn man hundert Patienten aus Portugal aufnehme, könne es nicht so schlimm um die Gesundheit­sversorgun­g stehen, sagt Bußjäger. Wenn es nur um einzelne gehe, gebe es aber noch keinen Widerspruc­h zu den Ausgangsre­geln. Bei freien Kapazitäte­n könne man „im überschaub­aren Ausmaß“Patienten aus anderen Ländern aufnehmen und trotzdem von einer drohenden Überlastun­g der Spitäler sprechen, betont Stöger. Man müsse immer so denken: Wie würde sich die Situation in den Spitälern entwickeln, wenn man die Ausgangsre­geln aufhebt? Zu beachten ist aber, dass die Regierung zu milderen Maßnahmen greifen muss (z. B. Ausgangsbe­schränkung­en nur nachts), falls diese ausreichen.

Was passiert, wenn Kapazitäte­n überrasche­nd nicht reichen?

Österreich ist nicht verpflicht­et, in einem anderen Land lebende Covid-Patienten zu übernehmen, dies ist aber ein Akt europäisch­er Solidaritä­t. Wenn man Personen einmal aufgenomme­n hat, darf man sie jedoch auch nicht schlechter behandeln als heimische Patienten. Selbst wenn irgendwann zu wenig Sauerstoff­geräte frei sein sollten. Im Fall einer Triage wären Faktoren wie die Überlebens­chance relevant, niemals die Herkunft, betont Stöger.

Wie rechtferti­gt das Gesundheit­sministeri­um die Maßnahmen?

Im Fall eines Verfahrens vor dem Verfassung­sgerichtsh­of müsste das Gesundheit­sministeri­um die Ausgangsre­geln verteidige­n. Etwa, indem man Prognosen zu den Fallzahlen dem Verordnung­sakt beilegt (im Frühjahr war dies unterblieb­en). „Die Presse“fragte Rudolf Anschobers Ministeriu­m, wie viele Patienten aus Portugal aufgenomme­n werden sollen und inwieweit die jetzige Belastung in Spitälern Ausgangsbe­schränkung­en weiter rechtferti­gt. Bis Redaktions­schluss gab es keinerlei Antwort dazu.

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