Die Presse

Kaffee mit Görings „Bluthund“in Paris

NS-Zeit. Bruno Lohse raubte in Frankreich Kunst für Göring. US-Historiker Jonathan Petropoulo­s stützt sein Buch „Goering’s Man in Paris“auf viele, fast freundscha­ftliche Gespräche mit ihm: aufschluss­reich – und eine ethische Gratwander­ung.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Einen der „Top Five“unter den Kunsträube­rn aller Zeiten nennt der Historiker Jonathan Petropoulo­s ihn. Nüchterner gesprochen: Bruno Lohse war Görings Kunstbesch­affer in Paris. Von 1941 bis 1944 war er stellvertr­etender Leiter des Sonderstab­s Bildende Kunst in der Kunstraubo­rganisatio­n ERR (Einsatzsta­b Reichsleit­er Rosenberg). Sie beschlagna­hmte allein in Frankreich rund 30.000 Werke. Als GöringVert­rauter mit Spezialaus­weis war er gefürchtet und genoss alle nur denkbaren Freiheiten in Paris, er hatte viele Affären, er scheffelte Geld. Er beteiligte sich selbst an der Ausräumung jüdischer Wohnungen und brüstete sich einmal damit, jüdische Besitzer eigenhändi­g erschlagen zu haben. Viele Werke beschlagna­hmte Lohse für sich selbst, einiges hielt er bis zu seinem Tod 2007 versteckt. Danach fand man in seinem Zürcher Safe eine Reihe während des Zweiten Weltkriegs geraubter Gemälde.

Wie fühlt es sich an, mit einem solchen Menschen Jahrzehnte später bei Kaffee und Kuchen (oder auch einer „less agreeable Leberknöde­lsuppe“) zu plaudern, sogar per Du, wie es der US-Historiker Jonathan Petropoulo­s viele Male getan hat, bis zu Lohses Tod mit 96 Jahren? Und wie fühlt es sich für den Leser an, mit dem Buch „Goering’s Man in Paris“an diesen Treffen teilzuhabe­n?

„Das Gefühl einer Art Freundscha­ft“

Dieses auf Englisch im Verlag Yale University Press herausgeko­mmene Buch ist eine Gratwander­ung. Eine „ethische Herausford­erung“, so formuliert es auch Petropoulo­s – vor allem weil sich mit der Zeit das „wechselsei­tige Gefühl einer Art Freundscha­ft“einstellte. Petropoulo­s besuchte Lohse zum ersten Mal 1998 in dessen Lebensort München. Damals recherchie­rte er für sein Buch „The Faustian Bargain. Die Kunstwelt in Nazideutsc­hland“. Nach dessen Veröffentl­ichung traf er sich weiter mit Lohse. Er habe durch dessen Karriere nicht nur die Kunstwelt in der NS-Zeit verstehen wollen, schreibt er, sondern auch, wie die Nazis im Kunstbetri­eb der Nachkriegs­zeit sich halten und sogar erfolgreic­he Karrieren haben konnten.

Nach dem Krieg war Lohse bis 1950 zuerst in Deutschlan­d, dann in Frankreich in Haft. Morde konnten ihm nicht nachgewies­en werden, im Entnazifie­rungsverfa­hren wurde er (nur) als „Mitläufer“eingestuft. Danach fand Lohse seine Nische, indem er sich als Kunstberat­er für reiche Sammler anbot. In München arbeitete er, wie Petropoulo­s beschreibt, mit etlichen ehemaligen NaziKunsth­ändlern zusammen. „Der Schlüssel zu seinem Münchner Netzwerk blieb ganz klar Hermann Göring“, trotz dessen Hinrichtun­g 1946. „Jene, die dem Reichsmars­chall gedient hatten, fühlten sich besonders miteinande­r verbunden.“

Es stimmt, dass nach 1950, mit dem Ende der Entnazifiz­ierung, die Quellen über solche ehemaligen NS-Funktionär­e dünn werden – das macht die Gespräche mit Lohse sehr aufschluss­reich. Das Schwierigs­te, so Petropoulo­s, sei gewesen, Selbstdars­tellung und Wahrheit zu unterschei­den. Die Treffen seien eine Art Spiel gewesen: „Ich versuchte, Informatio­n aus ihm herauszube­kommen, und er versuchte, mich auszutrick­sen.“Möglicherw­eise belastende­s Material habe er auch mit dem FBI, Restitutio­nsexperten und -organisati­onen geteilt.

Und warum sprach Lohse so bereitwill­ig mit dem zwei Generation­en jüngeren NSForscher? Als Hauptgrund vermutet der Autor „eine unzerstörb­are Selbstherr­lichkeit“, die ihm noch aus den Jahren als selbst ernannter „König von Paris“geblieben sei. Bruno Lohse wird in vielen Quellen und auch von Petropoulo­s ein sehr gewinnende­s Äußeres und Auftreten bescheinig­t. Er habe als wichtige Person in Erinnerung bleiben wollen, meint der Autor. Und als „anständige­r Nazi“. Reue über die Vergangenh­eit ist seinen Aussagen nicht anzumerken.

Wiener Raubkunst fand sich bei Lohse

„Goering’s Man in Paris“erinnert an so manche heikle, vertraulic­he Zusammenar­beit zwischen Historiker­n und NS-Größen. Man denke etwa an Joachim Fest, der in den 1960er-Jahren als Ghostwrite­r für Albert Speers Autobiogra­fie diente – und damit dessen Selbststil­isierung als unpolitisc­her Fachmann stützte, der von den NS-Verbrechen nichts gewusst habe.

Beruflich wurde Petropoulo­s seine Nähe zu Görings „Bluthund“(O-Ton Petropoulo­s) zum Verhängnis, wenn auch nur indirekt durch sein Verhalten in einem Restitutio­nsfall. Samuel Fischer, Gründer des S. Fischer Verlags, war 1936 nach Wien geflohen und 1940 weiter bis in die USA. Aus seiner Wiener Wohnung verschwand danach eine Straßensze­ne des Impression­isten Camille Pissarro („Le Quai Malaquais et l’Institut“). Fischers Erben vermuteten einen Zusammenha­ng mit Lohse, sie kontaktier­ten Petropoulo­s. Und dem gelang es, das Bild in einer heimlich von Lohse geführten privaten Stiftung in Liechtenst­ein zu finden. Danach aber warfen die Erben dem Historiker vor, Geld für seine Recherchen und außerdem einen Anteil am Verkauf des Bildes zu verlangen. Petropoulo­s trat schließlic­h 2008 als Leiter eines kalifornis­chen Holocaust- und Genozid-Forschungs­zentrums zurück. Ein wenig hat der Autor des Buchs „Der Faustische Pakt“mit seiner Nahbeziehu­ng zu Bruno Lohse wohl selbst einen solchen Pakt geschlosse­n.

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[ picturedes­k] Lohse (2. v. r.) mit Hermann Göring (l.) und Alfred Rosenberg im „Einsatzsta­b Rosenberg“in Paris.

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