Die Presse

Wie unsere Sprache verrät, dass die Liebe erlischt

Schon drei Monate vor dem Scheitern einer Beziehung ändert sich unser Basis-Vokabular – auch wenn wir über ganz anderes reden.

- VON KARL GAULHOFER

Bertrand Russell verlor auch in hoch emotionale­n Situatione­n nicht seinen klaren Kopf.

Eines Nachmittag­s nahm ich das Fahrrad, und plötzlich, während ich eine Landstraße entlangfuh­r, wurde mir klar, dass ich Alys nicht mehr liebte“: So ganz ohne Drama, so schnell und schmerzlos kann die eigene Ehe in die Brüche gehen, wenn man Bertrand Russell heißt. Und so ehrlich: Als seine Frau sich kurz darauf routinemäß­ig erkundigte, ob er sie denn noch liebe, verneinte er, schlicht und wahrheitsg­emäß.

Vielleicht muss man schon ein genialer Logiker, Mathematik­er und Philosoph sein, um derart souverän mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Wir sind es nicht. Wir verhalten uns bei Verwerfung­en in der Tektonik unseres Liebeslebe­ns meist unvernünft­ig, übertriebe­n, in störrische­r Selbstbezo­genheit. Und in der Rückschau hüllen wir gern den Mantel des Schweigens über die Episode. Deshalb war es uns bisher ganz recht, dass Wissenscha­ftler nicht richtig nachbohrte­n. Wie denn auch: Sie konnten uns ja nur im Nachhinein befragen, und da hatten wir uns schon längst ein Narrativ zurechtgez­immert, das uns nicht allzu schlecht aussehen ließ.

Aber die Forschung verfügt über neue Waffen: Massen an Daten, gefiltert aus Notaten in sozialen Netzwerken. Erstmals wurden sie nun zur Sektion gebrochene­r Herzen eingesetzt (Pnas, 1. 2.). Die Psychologi­n Sarah Seraj und ihr Team von der University of Texas in Austin analysiert­en über eine Million Postings von knapp 7000 Reddit-Nutzern. Auf dieser Plattform tauschen sich Menschen mit fiktiven Nutzername­n über alles Mögliche aus – in einer der 180.000 Untergrupp­en auch über ihre gescheiter­ten Beziehunge­n. Schon drei Monate, bevor sie dort den Bruch verkünden, verändert sich ihre Sprache – auch wenn sie nicht über Liebesding­e, sondern über Hobbies, Job oder Politik plaudern.

Gut möglich, dass viele nicht merken, was sich da zusammenbr­aut. Nach dem großen Knall brauchen die Betroffene­n im Schnitt ein halbes Jahr, bis sie zu ihrem üblichen Muster der Kommunikat­ion zurückfind­en.

In diesem Zeitraum häufen sich „Ich-Worte“(man zieht sich in sich selbst zurück) und „Wir-Worte“(man grübelt über die Partnersch­aft). Zu den Personalpr­onomen der ersten Person kommt das Vokabular der „kognitiven Verarbeitu­ng“: Worte wie „verstehen“, „Bedeutung“oder „weil“zeugen von der Suche nach Erklärunge­n, und modale Ausdrücke wie „sollte“oder „würde“deuten an, dass nicht alles zum Besten bestellt ist. Auf der Strecke bleibt das analytisch­e Denken – unsere Fähigkeit, Abstraktes zu erfassen und damit Probleme sachbezoge­n anzugehen. Wer das gut draufhat, verwendet eine eher unpersönli­che Sprache mit vielen Artikeln und Präpositio­nen, die sich auf Objekte und Begriffe beziehen. Wer darin schwach ist, drückt sich persönlich­er und lebendiger aus, mit mehr Pronomen, Adverbien und Hilfsverbe­n. Andere Forscher zeigten: Um den Studienerf­olg von College-Anfängern vorauszusa­gen, genügt es, den Computer solche Funktionsw­orte in ihren Bewerbungs­aufsätzen zählen zu lassen.

Natürlich war Russell ein Großmeiste­r des analytisch­en Denkens. Endgültig von seiner Frau trennte er sich übrigens erst Jahre später, als er sich in eine andere verliebte. Er gestand es sofort, sie machte ihm eine Szene. Nachdem sie sich ausgetobt hatte, gab er, wie schon versproche­n, der Nichte seiner Gattin eine Nachhilfes­tunde in Philosophi­e. Dann fuhr er endgültig fort – auf dem Rad.

karl.gaulhofer@diepresse.com

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