Holen wir die Kinder aus der fremden Heimat zurück
Gastkommentar. Die Abschiebung nach Georgien war eine politische Entscheidung, das Kindeswohl ist nicht beachtet worden.
An den langen Winterabenden ist mehr Zeit da, um Geschichten zu erzählen. Und es gibt viele Geschichten aus den vergangenen Tagen, die erzählt werden. Einige sind entbehrlich, einige sind wichtig.
Da ist die Geschichte vom Innenminister, der von unumstößlichen „höchstgerichtlichen Entscheidungen“erzählt, von „Elternteilen“, die nicht an das Wohl der eigenen Kinder denken.
Da ist die Geschichte vom Engagement von Schülerinnen und Schülern. Schulgemeinschaften von der HLW in Wien Favoriten und vom Gymnasium Stubenbastei haben besonders aufhorchen lassen. Letztere sind stärker im medialen Diskurs zu Wort gekommen. Allen gemeinsam ist, es sind junge Menschen, die sich in einer bemerkenswerten Art und Weise zu Wort gemeldet haben. „Wenn das gesetzeskonform ist, dann stimmt etwas mit den Gesetzen nicht“, so Theo
Haas, Schulsprecher im Gymnasium Stubenbastei, im ORF„ZiB Nacht“-Interview. Wer diese jungen Menschen in ihrem Engagement sieht, darf die Geschichte von Hoffnung und der Zuversicht für die Zukunft weitererzählen.
Und da gibt es auch noch die gespenstische Geschichte von den bellenden Hunden und den maskierten Wega-Beamten, die notwendig waren, damit die öffentliche Ordnung im nachmitternächtlichen Simmering nicht gestört wird.
Eine Machtdemonstration
Ich sage, Österreich ist nicht gezwungen, bestens integrierte Kinder abzuschieben. Das war eine politische Entscheidung und eine Machtdemonstration.
2198 Menschen haben laut Statistik des österreichischen Innenministeriums im vergangenen Jahr bis November einen humanitären Aufenthaltstitel zugesprochen bekommen, davon übrigens auch 49 Menschen mit Herkunftsland Georgien und 70 mit Herkunftsland Armenien. Die nun abgeschobene Familie mit einer zwölf- und einer fünfjährigen Tochter hat im September des Jahres 2019 eine Rückkehrentscheidung nach Georgien am Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erhalten. Davor gab es keine Verhandlung am BVwG, die Familie wurde also nicht angehört.
Der Vater der Kinder lebt in Europa und pendelt zwischen Österreich und der Slowakei, wo er arbeitet. Im Mai 2020 hat die Familie Anträge auf eine Aufenthaltsberechtigung nach Paragraf 55 AsylG (also ein Bleiberecht) gestellt, über die bisher nicht entschieden wurde. Besonders brisant: Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hat dabei nur eine Entscheidungsfrist von sechs Monaten. Das Innenministerium hat den Antrag also nicht fristgerecht beantwortet.
Das Kindeswohl ist nicht beachtet worden. In der UN-Kinderrechtskonvention, von Ös
terreich unterzeichnet, steht dazu geschrieben: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird“(Artikel 2, UN-Kinderrechtskonvention).
Hier ist die Wortmeldung der ehemaligen Justizministerin und Richterin Maria Berger (SPÖ) wichtig: Auch wenn es schon eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung gibt, die vom BVwG bestätigt wurde, hat die Fremdenpolizei vor der Durchsetzung einer Abschiebung selbst darauf zu achten, dass sie das Kindeswohl vorrangig wahrt und nicht gefährdet. Das umso mehr, wenn die letzte Gerichtsentscheidung fast eineinhalb Jahre zurückliegt.
Zeichen von Schwäche
Nicht abschieben wäre also selbstverständlich kein Amtsmissbrauch gewesen. Ich pflichte Caritas-Präsident Michael Landau bei, wenn er sagt: „Es ist ein Zeichen von Schwäche, wenn der Staat glaubt, seine Stärke mit der Abschiebung kleiner Kinder demonstrieren zu müssen.“
Und damit das auch noch festgehalten ist: Eine Frau, die aktuell von Abschiebung bedroht ist (und deshalb mit ihren Kindern untergetaucht ist), hat einen Heimhilfekurs besucht und eine Jobzusage der Caritas St. Pölten. Die Republik will hier eine Mutter und zukünftige Pflegekraft abschieben, obwohl wir bis 2030 circa 70.000 bis 100.000 solcher Fachkräfte in der Pflege benötigen. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern auch wirtschaftlich dumm.
Das Asylwesen in Österreich muss reformiert werden, denn wir brauchen rasche und qualitätsvolle Asylverfahren! Damit ist allen Beteiligten geholfen. Leider mangelt es bis heute an beidem, die Verfahren dauern oft viel zu lang und sind häufig auch nicht qualitätsvoll. Die hohe Zahl an fehlerhaften Entscheidungen der ersten Instanz im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, aber auch die oft nicht nachvollziehbaren Entscheidungen in der zweiten Instanz im Bundesverwaltungsgericht sind ständige Kritikpunkte.
Aufzeichnung von Befragungen
Ich bin daher für die audiovisuelle Aufzeichnung der Befragungen in Asylverfahren. Die neutrale Dokumentation von Vernehmungen schützt alle Beteiligten vor unberechtigten Vorwürfen, die Rechtsmittelinstanzen können die bisherigen Verfahren einfacher überprüfen, zudem ist eine Steigerung der Qualität bei den Befragungen und der Übersetzung zu erwarten.
Eine weitere Forderung betrifft die zweite Instanz im Asylverfahren, das Bundesverwaltungsgericht. Wer über Asylfragen entscheidet, hat keine justizinterne Richterausbildung. In der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Zivil-, Familien-, Strafsachen) können nur Personen zu Richterinnen und Richtern ernannt werden, die nach dem rechtswissenschaftlichen Studium eine vierjährige justizinterne Ausbildung absolviert und die Richteramtsprüfung abgelegt haben. Ich teile die Sicht von Expertinnen und Experten, die darauf hinweisen, dass die Ausbildung in der Justiz ein wichtiges Qualitätssicherungskriterium ist. Hier werden Techniken der Verhandlungsführung vermittelt, aber auch Grundkenntnisse in Bereichen der Psychologie, zu Traumatisierungen, Glaubwürdigkeitseinschätzung usw. Ebenso gibt es eine intensivere Schulung zu Menschenrechten. Es wäre daher naheliegend und im Sinne der Einheitlichkeit des richterlichen Berufsbildes, auch für die Ernennung zum Richter des Bundesverwaltungsgerichts die justizinterne Ausbildung vorzuschreiben.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf im Asylwesen. Der Bundesminister erzählt ein Märchen, wenn er die Qualität der Arbeit hervorstreicht.
Eine rechtmäßige Heimkehr
Was bleibt ist die Frage, ob es für die jetzt abgeschobenen Kinder und ihre Familien eine Lösung geben kann. Ich meine ja. Die Politik hat es in der Hand: Rückkehroption über ein Visum, über legale Einreise und Zuwanderung. Denn die Republik Österreich trägt Mitverantwortung am Dilemma.
Holen wir die Kinder aus der ihnen fremden Heimat zurück, geben wir ihnen eine Perspektive: Die Rückkehr wäre dann eine Art rechtmäßige Heimkehr.