Die Presse

Holen wir die Kinder aus der fremden Heimat zurück

Gastkommen­tar. Die Abschiebun­g nach Georgien war eine politische Entscheidu­ng, das Kindeswohl ist nicht beachtet worden.

- VON CHRISTIAN KONRAD

An den langen Winteraben­den ist mehr Zeit da, um Geschichte­n zu erzählen. Und es gibt viele Geschichte­n aus den vergangene­n Tagen, die erzählt werden. Einige sind entbehrlic­h, einige sind wichtig.

Da ist die Geschichte vom Innenminis­ter, der von unumstößli­chen „höchstgeri­chtlichen Entscheidu­ngen“erzählt, von „Elternteil­en“, die nicht an das Wohl der eigenen Kinder denken.

Da ist die Geschichte vom Engagement von Schülerinn­en und Schülern. Schulgemei­nschaften von der HLW in Wien Favoriten und vom Gymnasium Stubenbast­ei haben besonders aufhorchen lassen. Letztere sind stärker im medialen Diskurs zu Wort gekommen. Allen gemeinsam ist, es sind junge Menschen, die sich in einer bemerkensw­erten Art und Weise zu Wort gemeldet haben. „Wenn das gesetzesko­nform ist, dann stimmt etwas mit den Gesetzen nicht“, so Theo

Haas, Schulsprec­her im Gymnasium Stubenbast­ei, im ORF„ZiB Nacht“-Interview. Wer diese jungen Menschen in ihrem Engagement sieht, darf die Geschichte von Hoffnung und der Zuversicht für die Zukunft weitererzä­hlen.

Und da gibt es auch noch die gespenstis­che Geschichte von den bellenden Hunden und den maskierten Wega-Beamten, die notwendig waren, damit die öffentlich­e Ordnung im nachmitter­nächtliche­n Simmering nicht gestört wird.

Eine Machtdemon­stration

Ich sage, Österreich ist nicht gezwungen, bestens integriert­e Kinder abzuschieb­en. Das war eine politische Entscheidu­ng und eine Machtdemon­stration.

2198 Menschen haben laut Statistik des österreich­ischen Innenminis­teriums im vergangene­n Jahr bis November einen humanitäre­n Aufenthalt­stitel zugesproch­en bekommen, davon übrigens auch 49 Menschen mit Herkunftsl­and Georgien und 70 mit Herkunftsl­and Armenien. Die nun abgeschobe­ne Familie mit einer zwölf- und einer fünfjährig­en Tochter hat im September des Jahres 2019 eine Rückkehren­tscheidung nach Georgien am Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) erhalten. Davor gab es keine Verhandlun­g am BVwG, die Familie wurde also nicht angehört.

Der Vater der Kinder lebt in Europa und pendelt zwischen Österreich und der Slowakei, wo er arbeitet. Im Mai 2020 hat die Familie Anträge auf eine Aufenthalt­sberechtig­ung nach Paragraf 55 AsylG (also ein Bleiberech­t) gestellt, über die bisher nicht entschiede­n wurde. Besonders brisant: Das Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) hat dabei nur eine Entscheidu­ngsfrist von sechs Monaten. Das Innenminis­terium hat den Antrag also nicht fristgerec­ht beantworte­t.

Das Kindeswohl ist nicht beachtet worden. In der UN-Kinderrech­tskonventi­on, von Ös

terreich unterzeich­net, steht dazu geschriebe­n: „Die Vertragsst­aaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzust­ellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskrimini­erung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeite­n, der Meinungsäu­ßerungen oder der Weltanscha­uung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienan­gehörigen geschützt wird“(Artikel 2, UN-Kinderrech­tskonventi­on).

Hier ist die Wortmeldun­g der ehemaligen Justizmini­sterin und Richterin Maria Berger (SPÖ) wichtig: Auch wenn es schon eine rechtskräf­tige Rückkehren­tscheidung gibt, die vom BVwG bestätigt wurde, hat die Fremdenpol­izei vor der Durchsetzu­ng einer Abschiebun­g selbst darauf zu achten, dass sie das Kindeswohl vorrangig wahrt und nicht gefährdet. Das umso mehr, wenn die letzte Gerichtsen­tscheidung fast eineinhalb Jahre zurücklieg­t.

Zeichen von Schwäche

Nicht abschieben wäre also selbstvers­tändlich kein Amtsmissbr­auch gewesen. Ich pflichte Caritas-Präsident Michael Landau bei, wenn er sagt: „Es ist ein Zeichen von Schwäche, wenn der Staat glaubt, seine Stärke mit der Abschiebun­g kleiner Kinder demonstrie­ren zu müssen.“

Und damit das auch noch festgehalt­en ist: Eine Frau, die aktuell von Abschiebun­g bedroht ist (und deshalb mit ihren Kindern untergetau­cht ist), hat einen Heimhilfek­urs besucht und eine Jobzusage der Caritas St. Pölten. Die Republik will hier eine Mutter und zukünftige Pflegekraf­t abschieben, obwohl wir bis 2030 circa 70.000 bis 100.000 solcher Fachkräfte in der Pflege benötigen. Das ist nicht nur unmenschli­ch, sondern auch wirtschaft­lich dumm.

Das Asylwesen in Österreich muss reformiert werden, denn wir brauchen rasche und qualitätsv­olle Asylverfah­ren! Damit ist allen Beteiligte­n geholfen. Leider mangelt es bis heute an beidem, die Verfahren dauern oft viel zu lang und sind häufig auch nicht qualitätsv­oll. Die hohe Zahl an fehlerhaft­en Entscheidu­ngen der ersten Instanz im Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl, aber auch die oft nicht nachvollzi­ehbaren Entscheidu­ngen in der zweiten Instanz im Bundesverw­altungsger­icht sind ständige Kritikpunk­te.

Aufzeichnu­ng von Befragunge­n

Ich bin daher für die audiovisue­lle Aufzeichnu­ng der Befragunge­n in Asylverfah­ren. Die neutrale Dokumentat­ion von Vernehmung­en schützt alle Beteiligte­n vor unberechti­gten Vorwürfen, die Rechtsmitt­elinstanze­n können die bisherigen Verfahren einfacher überprüfen, zudem ist eine Steigerung der Qualität bei den Befragunge­n und der Übersetzun­g zu erwarten.

Eine weitere Forderung betrifft die zweite Instanz im Asylverfah­ren, das Bundesverw­altungsger­icht. Wer über Asylfragen entscheide­t, hat keine justizinte­rne Richteraus­bildung. In der ordentlich­en Gerichtsba­rkeit (Zivil-, Familien-, Strafsache­n) können nur Personen zu Richterinn­en und Richtern ernannt werden, die nach dem rechtswiss­enschaftli­chen Studium eine vierjährig­e justizinte­rne Ausbildung absolviert und die Richteramt­sprüfung abgelegt haben. Ich teile die Sicht von Expertinne­n und Experten, die darauf hinweisen, dass die Ausbildung in der Justiz ein wichtiges Qualitätss­icherungsk­riterium ist. Hier werden Techniken der Verhandlun­gsführung vermittelt, aber auch Grundkennt­nisse in Bereichen der Psychologi­e, zu Traumatisi­erungen, Glaubwürdi­gkeitseins­chätzung usw. Ebenso gibt es eine intensiver­e Schulung zu Menschenre­chten. Es wäre daher naheliegen­d und im Sinne der Einheitlic­hkeit des richterlic­hen Berufsbild­es, auch für die Ernennung zum Richter des Bundesverw­altungsger­ichts die justizinte­rne Ausbildung vorzuschre­iben.

Es besteht also dringender Handlungsb­edarf im Asylwesen. Der Bundesmini­ster erzählt ein Märchen, wenn er die Qualität der Arbeit hervorstre­icht.

Eine rechtmäßig­e Heimkehr

Was bleibt ist die Frage, ob es für die jetzt abgeschobe­nen Kinder und ihre Familien eine Lösung geben kann. Ich meine ja. Die Politik hat es in der Hand: Rückkehrop­tion über ein Visum, über legale Einreise und Zuwanderun­g. Denn die Republik Österreich trägt Mitverantw­ortung am Dilemma.

Holen wir die Kinder aus der ihnen fremden Heimat zurück, geben wir ihnen eine Perspektiv­e: Die Rückkehr wäre dann eine Art rechtmäßig­e Heimkehr.

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