Die Presse

Angst vor dem Lockdown-Drama

Film. „Euphoria“-Schöpfer Sam Levinson hat im Lockdown ein Beziehungs­drama gedreht: In „Malcolm & Marie“dürfen Zendaya und John David Washington ordentlich Dampf ablassen – doch es ist alles nur Show. Ab Freitag auf Netflix.

- VON ANDREY ARNOLD

In „Malcolm & Marie“wird ordentlich Dampf abgelassen – doch es ist alles nur Show.

Wie alle Kulturbran­chen ächzt die Filmwirtsc­haft unter der Last der Pandemie. Der Ausnahmezu­stand könnte dort aber zumindest ein Gutes befördern: Vielleicht feiert der Kammerspie­lfilm, einst Königsdisz­iplin dramatisch­er Laufbildku­nst, ein notgedrung­enes Comeback. Dabei geht es nicht nur um abgefilmte­s Theater. Klassiker des Genres („12 Angry Men“, „Cocktail für eine Leiche“, „Persona“, „My Dinner with Andre“) bieten psychologi­sche Tiefe, schauspiel­erische Brillanz, rhetorisch­e Raffinesse. Und sie überzeugen mit inszenator­ischer Wertarbeit.

Im Zeitalter des Megablockb­usters sind Schwatz- und Streitstüc­ke mangels Spektakelf­aktor ins Hintertref­fen geraten. Doch es mehren sich Anzeichen einer möglichen Renaissanc­e: Während in Europa vor allem hysterisch­e Boulevardk­omödien reüssieren, wärmt Hollywood seine Tradition zankfreudi­ger Beziehungs­dramen wieder auf. Unter coronabedi­ngt eingeschrä­nkten Drehbeding­ungen drängen sich solche „Homestorys“geradezu als Überbrücku­ngsgattung auf: Ein Schauplatz reicht, das Team bleibt überschaub­ar, Infektions­risken auch. Ab Freitag läuft auf Netflix ein Prototyp dieses Produktion­smodells: „Malcolm & Marie“. Die bereits im Frühsommer 2020 abgedrehte Doppelconf­erence´ ist die erste wirklich prominent besetzte und platzierte Covid-Produktion. Das Virus als Thema lässt sie allerdings komplett aus.

Stattdesse­n wirft sie das Publikum zwischen die Fronten eines Beziehungs­kriegs, der nach einer Filmpremie­re entbrennt: Er, der ehrgeizige Jungregiss­eur (John David Washington), ist aufgedreht und voller Energie, swingt zu den Klängen von James Brown durch den luxuriösen Bungalow, die Kamera gleitet geschmeidi­g hinterdrei­n. Sie (Zendaya) gönnt sich erst einmal eine Zigarette. Und macht sich dann, ausstaffie­rt im edlen Abendkleid, ans Zubereiten eines Mitternach­tssnacks – unwillig, auf seinen Begeisteru­ngszug aufzusprin­gen. Was ist los? Möchte er wissen. Du hast dich in deiner Rede nicht bei mir bedankt! Meint sie. Stille. Das Match ist eröffnet.

Schmeiß das Mikrofon hin!

Im Englischen gibt es den Ausdruck „drop the mic“. Er stammt aus der Rap-Kultur: Wer sich dort „battelt“, also einen lyrischen Wettkampf austrägt, kann Verbalatta­cken mit einem demonstrat­iven Hinschmeiß­en des Mikrofons unterstrei­chen: Eine Geste der

Siegesgewi­ssheit. „Malcolm & Marie“wirkt, ungeachtet periodisch­er Versöhnung­smomente, wie ein einziger Mic-drop-Marathon. Marie feuert zuerst: Du bist ein unverbesse­rlicher Egoist. Dein Film fußt auf meiner Lebensgesc­hichte, und du gibst es nicht einmal zu. Bam. Malcolm muss sich erst sammeln. Dann folgt die Retourkuts­che: Du bist hier die Egoistin! Du beziehst alles nur auf dich, weil du kein Selbstwert­gefühl hast!

So geht es 106 Minuten hin und her. Zuweilen driftet die Debatte ab, oft hagelt es Seitenhieb­e gegen den aktuellen US-Filmdiskur­s. Mit lustvollem Furor klagt Malcolm über das identitäts­politische Getue Hollywoods: nichts als Schubladen­denken und Spiegelfec­hterei! Marie hält dagegen: Warum schreibst du dann an einem Drehbuch über Angela Davis? Auch die Filmkritik kriegt ihr Fett ab. Doch Malcolm ist in das System verstrickt, und das nicht ohne Stolz. Er ventiliert bloß seine Frustratio­n. Und weicht so dem Kern des Streits mit seiner Partnerin aus. Fraglich ist, ob es einen solchen Kern überhaupt gibt. Dieser Film betreibt ostentativ­e Seelenschü­rfung, reißt mutwillig Fassaden ein, will zur emotionale­n Wahrheit einer angeknacks­ten Partnersch­aft vordringen, wie einst „Who’s Afraid of Virginia Woolf?“oder „Faces“von John Cassavetes.

Auf dem Spiel steht nur das Spiel selbst

Malcolm schimpft auf den Kult der Authentizi­tät, doch der Film selbst lechzt danach. Tränen fließen, Traumata branden auf. Trotzdem kommt nichts zum Vorschein. Seine jungen Stars mühen sich redlich darum, vor allen Augen erwachsen zu werden, Abgründe offenzuleg­en, tief ins Gefühlsbad zu tauchen. Aber sie sind dem Material nicht gewachsen. Es fordert Nuancen, und sie kippen von einem Extrem ins andere.

Washington, der unlängst in „Tenet“seine Muskeln spielen ließ, springt wie ein Schattenbo­xer herum, zetert und plustert sich auf – oder mampft wütend Makkaroni. Zendaya, bekannt aus der Serie „Euphoria“(deren Schöpfer, Sam Levinson, hier für

Skript und Regie verantwort­lich zeichnet), macht aus jeder Szene eine Oscar-Bewerbung. Nie hat man das Gefühl, das etwas Substanzie­lles auf dem Spiel steht – außer das Spiel selbst. Alles wirkt wie eine ausgeklüge­lte Performanc­e. Auch die Ästhetik: samtiges, kontrastre­iches Schwarz-Weiß (gedreht wurde auf 35-mm-Film), die stilvolle Architektu­r des Drehorts, der erlesene Soundtrack. Jedes Element signalisie­rt Geschmack, Anspruch, Seriosität. Und riecht doch nach Modewerbun­g.

Vielleicht liegt genau darin die Wahrhaftig­keit dieses Films: als unwillkürl­iches Porträt des Authentizi­tätsdrucks einer Generation. Malcolm und Marie streiten sich eigentlich gar nicht. Sie lassen nur Dampf ab. Und üben dabei für den nächsten öffentlich­en Auftritt, das nächste Interview, den nächsten Film. Ihr Geplänkel ist eine Powerpaart­herapie, die Ehrlichkei­t als Leistungss­port begreift. Wenn der Streit vorbei ist, fällt man erschöpft ins Bett. Und bedankt sich beim Gegenüber für das ergiebige Training.

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 ?? [ Dominic Miller/Netflix © 2021 ] ?? 106 Minuten Powerpaart­herapie: Zendaya (Coleman) als Marie, John David Washington als Malcom.
[ Dominic Miller/Netflix © 2021 ] 106 Minuten Powerpaart­herapie: Zendaya (Coleman) als Marie, John David Washington als Malcom.

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