Die Presse

Urteil über einen Kindersold­aten

Kriegsverb­rechen. Der Internatio­nale Strafgeric­htshof in Den Haag entscheide­t über Dominic Ongwen. Der 45-Jährige wurde als Kind entführt – und wuchs später zum Peiniger Tausender Ugander heran.

- VON CHRISTOPH ZOTTER

In Den Haag wird über einen Peiniger geurteilt, der als Kind entführt wurde.

Wien/Den Haag. Noch einmal werden die Polizisten ihn aus seiner Zelle holen, mit ihm ein paar Minuten die Straße in der niederländ­ischen 500.000-Einwohner-Stadt Den Haag hinunterfa­hren. Sie werden ihn in eines der rechteckig­en Gebäude aus Stahl und Beton führen, in denen der Internatio­nale Strafgeric­htshof (IStGH) untergebra­cht ist. Im Gerichtssa­al Nummer eins soll am Donnerstag­vormittag das Urteil fallen.

Es ist der vorläufige Schlusspun­kt einer einzigarti­gen Geschichte über Recht und Gerechtigk­eit, über die Frage, wie viel Schuld ein Mann auf sich laden kann, der als Kind in ein mörderisch­es System hineingezo­gen, in ihm sozialisie­rt und wohl fürs Leben traumatisi­ert wurde. Am Ende steht die Frage, wie Uganda, aber auch die Weltöffent­lichkeit, mit einem wie ihm verfahren soll.

Rote Kreuze und Führerkult

Wie schon an den Gerichtsta­gen zuvor wird Dominic Ongwen einen Anzug tragen, ein Hemd, eine Krawatte. Er wird Platz nehmen, sich die Kopfhörer über die Ohren streichen und der Dolmetsche­rin lauschen, die für ihn aus dem Englischen in Acholi übersetzt, seine Mutterspra­che. Seit mehr als fünf Jahren wartet der 45-jährige Ugander auf sein Urteil. Er hat in der Haft Klavier spielen gelernt und damit begonnen, an seiner Biografie zu schreiben.

Dominic Ongwen ist ein Teenager, fast noch ein Kind, als er in der Nähe des Dorfes Cooroom in Norduganda von ein paar Männern entführt wird. Es sind die 1980er-Jahre, eine christlich-fundamenta­listische Rebellengr­uppe kämpft gegen die Regierungs­truppen aus dem Süden und überzieht das Land mit Terror. Sie nennt sich die Lord’s Resistance Army (Widerstand­sarmee des Herrn, LRA) und wird von Joseph Kony angeführt. Der Ugander aus der Volksgrupp­e der Acholi will einen christlich­en Gottesstaa­t errichten, um sich selbst baut er einen bizarren Führerkult.

Vor ihren Schlachten malen sich LRA-Kämpfer rote Kreuze auf die Brust, weil sie sich so für unverwundb­ar halten. Sie weihen ihre Gewehre, glauben an Geister. Und sie entführen Kinder, die sie für ihren Kult indoktrini­eren. Die

Burschen formen sie mit brutalster Gewalt zu Kämpfern, die Mädchen werden zwangsverh­eiratet, Tausende werden vergewalti­gt und geschwänge­rt. Nach konservati­ven Schätzunge­n sollen in mehr als 20 Jahren des LRA-Terrors mindestens 20.000 ugandische Kinder verschwund­en sein.

Dominic Ongwen war eines von ihnen. Er ist aber auch mehr.

70 Punkte listet die Anklage

Es ist Jänner 2015, als der Ugander zum ersten Mal auf europäisch­em Boden vor seine Richter tritt. Zu diesem Zeitpunkt ist er 41 Jahre alt, seit mehr als 25 Jahren bei der LRA und zu einem ihrer fünf wichtigste­n Kommandant­en aufgestieg­en. Zum Mann gewachsen, soll er anderen angetan haben, was er selbst erleben musste: Folter, Gewalt, Mord, Vergewalti­gung, Zwangsheir­at. 70 Punkte listet die Anklage auf. Sie alle vorzulesen dauert 26 Minuten.

Einmal fragt ein Richter, ob Ongwen verstehe, was ihm vorgeworfe­n wird. Der antwortet: „Es ist die LRA, die Gräueltate­n in Norduganda begangen hat – auch gegen mich. Aber ich bin nicht die LRA.“

Über vier Jahre hinweg legen die Ankläger ihre Beweise vor, darunter abgefangen­e Funksprüch­e, 70 Zeugen werden aussagen, rund 4000 Opfer schließen sich dem Verfahren an. Die Verteidige­r sagen, es gebe einen bösen Dominic und einen guten. Sie laden Psychologe­n vor, die ihn entlasten sollen. Die Ankläger sagen, es gehe nicht um Gut oder Böse, sondern um die Frage, ob er sich schuldig gemacht habe. Sie bestellen Psychologe­n, die den Ugander für zurechnung­sfähig halten. Nun sind die Schlussplä­doyers gehalten.

Für die Urteilsver­kündung organisier­te der IStGH in nordugandi­schen Dörfer einen Livestream. Die Menschen sollen sehen, wie das Weltgerich­t über den Terror der LRA urteilt. Die Richter im fernen Europa sind nicht umstritten: Die Angeklagte­n sind meist Afrikaner, weder die USA noch China oder Russland unterwerfe­n sich dem 2002 ins Leben gerufenen Strafgeric­ht. Außerdem sieht das traditione­lle Recht der Acholi bei Mord eine Wiedergutm­achung an die Opfer und ein Läuterungs­ritual vor, keine Gefängniss­trafe.

Halten die Richter in Den Haag Dominic Ongwen für schuldig, drohen ihm bis zu 30 Jahre Haft.

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[ AFP via Getty Images ] In Uganda wurde der Prozess um den LRA-Kommandant­en Dominic Ongwen live übertragen – nun steht die Urteilsver­kündung an.

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