Die Presse

Der neue Chef von Amazon

Geiger im Gespräch. Frank Peter Zimmermann über Reisen in Coronazeit­en, das Schumann-Violinkonz­ert, seine frühe Liebe zu Bohuslav Martinu,˚ Guarneri versus Stradivari und wie er die unerwartet­e Konzertpau­se genutzt hat.

- VON WALTER DOBNER

Nach dem überrasche­nden Rückzug von Gründer Jeff Bezos folgt nun Andy Jassy als Vorsitzend­er.

Die Presse: Sie kommen gerade von einer kleinen Konzerttou­rnee durch Europa zurück. Wie war das trotz Corona möglich? Frank Peter Zimmermann: In Spanien spielen fast alle Orchester Konzerte vor 200, 300 Zuhörern in doppelt so großen Sälen. In La Corun˜a spielte ich in einem arenaartig­en Saal, dessen Hälfte mit Tüchern abgedeckt war. Für das Orchester hatte man eine eigene Muschel gebaut, die Zuhörer saßen extrem weit auseinande­r. Alle Musiker mussten Masken tragen. Für einen Geiger ist das extrem anstrengen­d. Die Vorschrift­en sind sehr streng, selbst Menschen, die am Meer mit dem Hund spazieren gehen, tragen einen Mundschutz. Davor war ich in Monte Carlo, dort herrschen eigene Gesetze, weil der Fürst walten kann, wie er will. Sogar Bruckners Neunte ist möglich, allerdings in einem halb vollen Saal.

Beendet haben Sie die Tour in Stockholm. Das Konzert dort fand ohne Publikum statt, wurde nur gestreamt. Dort bewegen sich die Leute in der Öffentlich­keit so, als wäre nichts, niemand trägt Maske, auch nicht die Musiker bei den Proben, allerdings sitzen sie weit auseinande­r. Die Konzerte finden mittlerwei­le ohne Publikum statt. Aber in den Hotels sind Fitnessstu­dios und Schwimmbäd­er offen, eine paradoxe Situation.

Auf dem Programm war das SchumannVi­olinkonzer­t. Was fasziniert Sie an diesem Werk, das erst im 20. Jahrhunder­t wiederentd­eckt wurde und dem der Ruf vorauseilt, es sei technisch überaus anspruchsv­oll, aber musikalisc­h schwach? Für mich sind die Schätze, die es birgt, einzigarti­g. Es ist nicht so perfekt verpackt wie das Brahms- oder das Mendelssoh­n-Konzert, aber es gibt Momente, die man richtig genießen kann. Ich habe es erstmals auswendig gespielt, was nicht einfach ist: Wenn man einmal den falschen Finger erwischt, ist man draußen. Während beim BrahmsViol­inkonzert alles Standard ist, ist beim Schumann-Konzert entweder ein Ton mehr, oder es gibt einen, der nicht hineinpass­t. So etwas auswendig zu lernen braucht eine gewisse Zeit. Wenn es aber einmal im System ist, ist es wunderbar. Das Schumann-Violinkonz­ert wird nicht nur selten, sondern auch selten gut gespielt, es bedarf Partner, die auf einen eingehen, es ist wie Kammermusi­k.

Sie haben dieses Konzert schon vor Jahren einmal aufgenomme­n, gibt es Pläne, es neuerlich einzuspiel­en?

Ich habe mich mittlerwei­le viel mit Schumanns Klaviermus­ik beschäftig­t. Seine Streicherm­usik ist eine ganz andere Sache. Schumann hat nicht wie andere Komponiste­n – etwa Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert – ein Streichins­trument gespielt, sondern sich die Kenntnisse dafür erst nach und nach erarbeitet. Seine Streicherm­usik ist spät entstanden, sie hat, wie es der große Geiger Joseph Joachim formuliert hat, „gewisse Ermattunge­n“, aber sein Spätstil war halt so. Auch bei den „Gesängen der Frühe“, für mich ein fantastisc­hes Klavierwer­k, hat man das Gefühl, als würden die Harmonien mit dem Rollator über den Platz gepusht . . . Ja, es gibt die Überlegung, das SchumannVi­olinkonzer­t aufzunehme­n, zusammen mit seiner Violinfant­asie und dem Mendelssoh­n-Konzert.

Sie gelten als einer der bedeutends­ten Interprete­n des Beethoven-Violinkonz­erts, doch seine Violinsona­ten haben Sie erst kürzlich aufgenomme­n. Warum?

Schon vor zwei Jahrzehnte­n gab es Pläne mit Christian Zacharias als Pianisten. Die haben sich zerschlage­n. In den folgenden Jahren habe ich überhaupt nichts mit Klavier gemacht, weil ich nicht den richtigen Partner hatte. Stattdesse­n habe ich mich auf die Arbeit mit meinem Streichtri­o konzentrie­rt, mit dem ich alle Beethoven-Werke für diese Besetzung eingespiel­t habe. Bereits 2008 hat mich Heinrich Schiff auf Martin Helmchen aufmerksam gemacht, gemeinsam haben wir Schuberts Es-Dur-Klaviertri­o gespielt. Terminbedi­ngt ist es erst 2018 wieder zu einer Zusammenar­beit mit ihm gekommen. Daraus ist nun diese Gesamtaufn­ahme entstanden.

Davor sind Sie für zwei Werke ins Studio gegangen, die in unseren Breiten kaum zu hören sind: die beiden Violinkonz­erte von Bohuslav Martinu˚. Wie kam es dazu?

Ich hatte immer gehofft, Mitglied in einer Bach- oder Beethoven-Gesellscha­ft zu werden, das habe ich nie geschafft, wahrschein­lich bin ich nicht gut genug . . . Aber ich bin in der Hindemith-Gesellscha­ft und im Martinu˚-Circle. Beide finde ich unterschät­zt, beide gelten als Vielschrei­ber. Als ich zehn Jahre alt war, hat Josef Suk bei einem Gastspiel der Tschechisc­hen Philharmon­ie das erste Martinu˚-Konzert, das damals ziemlich unbekannt war, in Mülheim an der Ruhr aufgeführt. Dafür bin ich extra mit meiner Mutter aus Duisburg hingefahre­n, ich wollte Suk unbedingt hören. Ich fand die Musik exotisch und spannend. Von mehreren Komponiste­n des 20. Jahrhunder­ts gibt es zwei Violinkonz­erte: von Prokofieff, Schostakow­itsch, Szymanowsk­i, Bartok´ und Martinu˚. Alle außer Martinu˚ habe ich aufgenomme­n. Da lag es nahe, auch diese beiden einzuspiel­en. Die zwei Bartok-´Konzerte kommen demnächst in einer Box mit dem Beethoven- und Berg-Violinkonz­ert heraus, jeweils mit den Berliner Philharmon­ikern.

Auf der Martinu˚-CD ist auch die Barto´kSolosonat­e, ein Zufall?

Wir waren mit der ersten CD der Beethoven-Sonaten einen Tag früher als geplant fertig. Als ich meinem Aufnahmele­iter erzählte, dass ich die Coronazeit genutzt hatte, neben einigem Bach auch die Bartok-´Sonate zu studieren, kam gleich die Idee, diese aufzunehme­n. Ursprüngli­ch sollte sie mit der Kammermusi­k Nr. 4 von Hindemith, das ist eigentlich auch ein Violinkonz­ert, kombiniert werden, jetzt haben wir uns für diese Koppelung entschiede­n.

Josef Suk ist nicht der einzige Geiger von Weltruf, der in Ihrer Karriere Schicksal gespielt hat: Zwei Jahre haben Sie auf der Stradivari von Arthur Grumiaux, der heuer 100 Jahre alt wäre, gespielt.

Seit 2001 spielte ich auf einer Stradivari, die einst Fritz Kreisler benutzte, der „Lady Inchiquin“. Die West Landesbank hat sie mir zur Verfügung gestellt. Im Zuge der Bankenkris­e wurden Banken gezwungen, sich von ihren Kunstschät­zen zu trennen. So musste ich 2015 die Geige innerhalb kurzer Zeit der Bank zurückgebe­n, wenige Tage vor einem Gastspiel mit New York Philharmon­ic. Ich hatte einen Mäzen, der das Instrument kaufen wollte. Den Kaufpreis, knapp unter sechs Millionen Euro, hätte er akzeptiert, nicht die zusätzlich­en 19 Prozent Mehrwertst­euer. Versuche, über Stiftungen zu einer Stradivari zu kommen, schlugen fehl. Der berühmte Londoner Geigenhänd­ler Charles Beare rettete mich, indem er mir seine Giuseppe Guarneri del Gesu` lieh. Trotzdem war es wie eine Schockther­apie: Eine Guarneri kann man nehmen, wie man will, die macht das mit. Sitzt man bei einer Stradivari nicht hundertpro­zentig auf dem Sattel, fällt man herunter, das hört man. Eine Guarneri ist pflegeleic­hter, bei Sibelius, Brahms, Schostakow­itsch war sie auch wunderbar. Doch als ich die Mozart-Konzerte aufnahm, merkte ich, es fehlt ihr etwas: dieses Helle, Apollinisc­he, der feine Pinselstri­ch der Stradivari. So probierte ich verschiede­ne Stradivari­s aus. Im Oktober 2015 war ich auf Tournee in China. Dort wollte mir ein mit Deutschlan­d sehr verbundene­r chinesisch­er Unternehme­r unbedingt noch vor dem Konzert seine Geige zeigen. Schon nach fünf Tönen wusste ich: Das ist die „General Dupont“, die Geige von Grumiaux! Auf ihr habe ich gleich anschließe­nd das Brahms-Violinkonz­ert aufgeführt und sie ein Jahr lang gespielt. 2017 gab ich sie zurück, nachdem die Landesregi­erung von Nordrhein-Westfalen die „Lady Inchiquin“wieder gekauft hatte. Heute bin ich glücklich, wieder auf meiner alten Stradivari spielen zu können.

Haben Sie Grumiaux persönlich erlebt?

Ja, mehrmals, mit Mozart und Berg mit wunderbare­m Ton und Übergängen sowie einer eigenen Intonation. Die Halbtöne waren immer eine Spur zu hoch, aber das war ein Teil seines Stils, sowie ein gewisses Parfum im Klang. Das war unnachahml­ich. Er war der letzte Vertreter der weltberühm­ten belgischen Geigerschu­le, angefangen mit Vieuxtemps und Ysaye.¨ Er war auch ein besonderer Mensch, ziemlich verschloss­en.

Wie haben Sie die letzten Monate verbracht, haben Sie auch einmal Urlaub von Ihrem Instrument genommen?

Diese erzwungene Auszeit nach über 35 Jahren mehr oder minder pausenlose­m Spielen war toll und hat mir so viel gebracht. Wahrschein­lich zum ersten Mal seit der Kindheit hat sich mein Körper entspannt. Es mag seltsam klingen, aber für mich war es ein Segen, ich habe viel gelesen, Neues gelernt, bin wandern gegangen und habe so auch das Sabbatical nachgeholt, das ich in den letzten Jahren immer wieder vorhatte.

ZUR PERSON

Frank Peter Zimmermann, geboren 1965 in Duisburg, zählt zu den bedeutends­ten Geigern der Gegenwart. Er ist mit allen führenden Orchestern aufgetrete­n, mit den Wiener Philharmon­ikern erstmals 1983 (unter Maazel), mit den Berliner Philharmon­ikern 1985 (unter Barenboim). Seine Diskografi­e umfasst fast das gesamte große Konzertrep­ertoire von Bach bis zur Gegenwart. 2007 gründete er mit Antoine Tamestit (Bratsche) und Christian Poltera´ (Cello) das Trio Zimmermann.

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[ Ir`ene Zandel] „Ich bin glücklich, wieder auf meiner alten Stradivari spielen zu können.“

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