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Geiger im Gespräch. Frank Peter Zimmermann über Reisen in Coronazeiten, das Schumann-Violinkonzert, seine frühe Liebe zu Bohuslav Martinu,˚ Guarneri versus Stradivari und wie er die unerwartete Konzertpause genutzt hat.
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Die Presse: Sie kommen gerade von einer kleinen Konzerttournee durch Europa zurück. Wie war das trotz Corona möglich? Frank Peter Zimmermann: In Spanien spielen fast alle Orchester Konzerte vor 200, 300 Zuhörern in doppelt so großen Sälen. In La Corun˜a spielte ich in einem arenaartigen Saal, dessen Hälfte mit Tüchern abgedeckt war. Für das Orchester hatte man eine eigene Muschel gebaut, die Zuhörer saßen extrem weit auseinander. Alle Musiker mussten Masken tragen. Für einen Geiger ist das extrem anstrengend. Die Vorschriften sind sehr streng, selbst Menschen, die am Meer mit dem Hund spazieren gehen, tragen einen Mundschutz. Davor war ich in Monte Carlo, dort herrschen eigene Gesetze, weil der Fürst walten kann, wie er will. Sogar Bruckners Neunte ist möglich, allerdings in einem halb vollen Saal.
Beendet haben Sie die Tour in Stockholm. Das Konzert dort fand ohne Publikum statt, wurde nur gestreamt. Dort bewegen sich die Leute in der Öffentlichkeit so, als wäre nichts, niemand trägt Maske, auch nicht die Musiker bei den Proben, allerdings sitzen sie weit auseinander. Die Konzerte finden mittlerweile ohne Publikum statt. Aber in den Hotels sind Fitnessstudios und Schwimmbäder offen, eine paradoxe Situation.
Auf dem Programm war das SchumannViolinkonzert. Was fasziniert Sie an diesem Werk, das erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt wurde und dem der Ruf vorauseilt, es sei technisch überaus anspruchsvoll, aber musikalisch schwach? Für mich sind die Schätze, die es birgt, einzigartig. Es ist nicht so perfekt verpackt wie das Brahms- oder das Mendelssohn-Konzert, aber es gibt Momente, die man richtig genießen kann. Ich habe es erstmals auswendig gespielt, was nicht einfach ist: Wenn man einmal den falschen Finger erwischt, ist man draußen. Während beim BrahmsViolinkonzert alles Standard ist, ist beim Schumann-Konzert entweder ein Ton mehr, oder es gibt einen, der nicht hineinpasst. So etwas auswendig zu lernen braucht eine gewisse Zeit. Wenn es aber einmal im System ist, ist es wunderbar. Das Schumann-Violinkonzert wird nicht nur selten, sondern auch selten gut gespielt, es bedarf Partner, die auf einen eingehen, es ist wie Kammermusik.
Sie haben dieses Konzert schon vor Jahren einmal aufgenommen, gibt es Pläne, es neuerlich einzuspielen?
Ich habe mich mittlerweile viel mit Schumanns Klaviermusik beschäftigt. Seine Streichermusik ist eine ganz andere Sache. Schumann hat nicht wie andere Komponisten – etwa Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert – ein Streichinstrument gespielt, sondern sich die Kenntnisse dafür erst nach und nach erarbeitet. Seine Streichermusik ist spät entstanden, sie hat, wie es der große Geiger Joseph Joachim formuliert hat, „gewisse Ermattungen“, aber sein Spätstil war halt so. Auch bei den „Gesängen der Frühe“, für mich ein fantastisches Klavierwerk, hat man das Gefühl, als würden die Harmonien mit dem Rollator über den Platz gepusht . . . Ja, es gibt die Überlegung, das SchumannViolinkonzert aufzunehmen, zusammen mit seiner Violinfantasie und dem Mendelssohn-Konzert.
Sie gelten als einer der bedeutendsten Interpreten des Beethoven-Violinkonzerts, doch seine Violinsonaten haben Sie erst kürzlich aufgenommen. Warum?
Schon vor zwei Jahrzehnten gab es Pläne mit Christian Zacharias als Pianisten. Die haben sich zerschlagen. In den folgenden Jahren habe ich überhaupt nichts mit Klavier gemacht, weil ich nicht den richtigen Partner hatte. Stattdessen habe ich mich auf die Arbeit mit meinem Streichtrio konzentriert, mit dem ich alle Beethoven-Werke für diese Besetzung eingespielt habe. Bereits 2008 hat mich Heinrich Schiff auf Martin Helmchen aufmerksam gemacht, gemeinsam haben wir Schuberts Es-Dur-Klaviertrio gespielt. Terminbedingt ist es erst 2018 wieder zu einer Zusammenarbeit mit ihm gekommen. Daraus ist nun diese Gesamtaufnahme entstanden.
Davor sind Sie für zwei Werke ins Studio gegangen, die in unseren Breiten kaum zu hören sind: die beiden Violinkonzerte von Bohuslav Martinu˚. Wie kam es dazu?
Ich hatte immer gehofft, Mitglied in einer Bach- oder Beethoven-Gesellschaft zu werden, das habe ich nie geschafft, wahrscheinlich bin ich nicht gut genug . . . Aber ich bin in der Hindemith-Gesellschaft und im Martinu˚-Circle. Beide finde ich unterschätzt, beide gelten als Vielschreiber. Als ich zehn Jahre alt war, hat Josef Suk bei einem Gastspiel der Tschechischen Philharmonie das erste Martinu˚-Konzert, das damals ziemlich unbekannt war, in Mülheim an der Ruhr aufgeführt. Dafür bin ich extra mit meiner Mutter aus Duisburg hingefahren, ich wollte Suk unbedingt hören. Ich fand die Musik exotisch und spannend. Von mehreren Komponisten des 20. Jahrhunderts gibt es zwei Violinkonzerte: von Prokofieff, Schostakowitsch, Szymanowski, Bartok´ und Martinu˚. Alle außer Martinu˚ habe ich aufgenommen. Da lag es nahe, auch diese beiden einzuspielen. Die zwei Bartok-´Konzerte kommen demnächst in einer Box mit dem Beethoven- und Berg-Violinkonzert heraus, jeweils mit den Berliner Philharmonikern.
Auf der Martinu˚-CD ist auch die Barto´kSolosonate, ein Zufall?
Wir waren mit der ersten CD der Beethoven-Sonaten einen Tag früher als geplant fertig. Als ich meinem Aufnahmeleiter erzählte, dass ich die Coronazeit genutzt hatte, neben einigem Bach auch die Bartok-´Sonate zu studieren, kam gleich die Idee, diese aufzunehmen. Ursprünglich sollte sie mit der Kammermusik Nr. 4 von Hindemith, das ist eigentlich auch ein Violinkonzert, kombiniert werden, jetzt haben wir uns für diese Koppelung entschieden.
Josef Suk ist nicht der einzige Geiger von Weltruf, der in Ihrer Karriere Schicksal gespielt hat: Zwei Jahre haben Sie auf der Stradivari von Arthur Grumiaux, der heuer 100 Jahre alt wäre, gespielt.
Seit 2001 spielte ich auf einer Stradivari, die einst Fritz Kreisler benutzte, der „Lady Inchiquin“. Die West Landesbank hat sie mir zur Verfügung gestellt. Im Zuge der Bankenkrise wurden Banken gezwungen, sich von ihren Kunstschätzen zu trennen. So musste ich 2015 die Geige innerhalb kurzer Zeit der Bank zurückgeben, wenige Tage vor einem Gastspiel mit New York Philharmonic. Ich hatte einen Mäzen, der das Instrument kaufen wollte. Den Kaufpreis, knapp unter sechs Millionen Euro, hätte er akzeptiert, nicht die zusätzlichen 19 Prozent Mehrwertsteuer. Versuche, über Stiftungen zu einer Stradivari zu kommen, schlugen fehl. Der berühmte Londoner Geigenhändler Charles Beare rettete mich, indem er mir seine Giuseppe Guarneri del Gesu` lieh. Trotzdem war es wie eine Schocktherapie: Eine Guarneri kann man nehmen, wie man will, die macht das mit. Sitzt man bei einer Stradivari nicht hundertprozentig auf dem Sattel, fällt man herunter, das hört man. Eine Guarneri ist pflegeleichter, bei Sibelius, Brahms, Schostakowitsch war sie auch wunderbar. Doch als ich die Mozart-Konzerte aufnahm, merkte ich, es fehlt ihr etwas: dieses Helle, Apollinische, der feine Pinselstrich der Stradivari. So probierte ich verschiedene Stradivaris aus. Im Oktober 2015 war ich auf Tournee in China. Dort wollte mir ein mit Deutschland sehr verbundener chinesischer Unternehmer unbedingt noch vor dem Konzert seine Geige zeigen. Schon nach fünf Tönen wusste ich: Das ist die „General Dupont“, die Geige von Grumiaux! Auf ihr habe ich gleich anschließend das Brahms-Violinkonzert aufgeführt und sie ein Jahr lang gespielt. 2017 gab ich sie zurück, nachdem die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen die „Lady Inchiquin“wieder gekauft hatte. Heute bin ich glücklich, wieder auf meiner alten Stradivari spielen zu können.
Haben Sie Grumiaux persönlich erlebt?
Ja, mehrmals, mit Mozart und Berg mit wunderbarem Ton und Übergängen sowie einer eigenen Intonation. Die Halbtöne waren immer eine Spur zu hoch, aber das war ein Teil seines Stils, sowie ein gewisses Parfum im Klang. Das war unnachahmlich. Er war der letzte Vertreter der weltberühmten belgischen Geigerschule, angefangen mit Vieuxtemps und Ysaye.¨ Er war auch ein besonderer Mensch, ziemlich verschlossen.
Wie haben Sie die letzten Monate verbracht, haben Sie auch einmal Urlaub von Ihrem Instrument genommen?
Diese erzwungene Auszeit nach über 35 Jahren mehr oder minder pausenlosem Spielen war toll und hat mir so viel gebracht. Wahrscheinlich zum ersten Mal seit der Kindheit hat sich mein Körper entspannt. Es mag seltsam klingen, aber für mich war es ein Segen, ich habe viel gelesen, Neues gelernt, bin wandern gegangen und habe so auch das Sabbatical nachgeholt, das ich in den letzten Jahren immer wieder vorhatte.
ZUR PERSON
Frank Peter Zimmermann, geboren 1965 in Duisburg, zählt zu den bedeutendsten Geigern der Gegenwart. Er ist mit allen führenden Orchestern aufgetreten, mit den Wiener Philharmonikern erstmals 1983 (unter Maazel), mit den Berliner Philharmonikern 1985 (unter Barenboim). Seine Diskografie umfasst fast das gesamte große Konzertrepertoire von Bach bis zur Gegenwart. 2007 gründete er mit Antoine Tamestit (Bratsche) und Christian Poltera´ (Cello) das Trio Zimmermann.