Der Welthandel liefert nicht mehr
Krise. Zu wenige Container, falsche Planung und kaputte Lieferketten. Der Welthandel hat Corona noch lang nicht überstanden. Firmen wollen unabhängiger werden. Doch das ist härter als gedacht.
Die Weltwirtschaft bleibt fest im Würgegriff der Pandemie. Und das selbst jetzt, da Produktion und Handel schon wieder voll angelaufen sind. Thailand sitzt auf Tonnen an Reis, Kanada wird seine Bohnen nicht los und Indien erstickt in Zucker. Sie alle bekommen keine Container, um die Ware zu verschiffen, da es für Logistikfirmen lukrativer ist, sie leer nach China zurückzuschicken. Die chinesische Volkswirtschaft hat sich schneller als die der meisten Staaten vom Corona-Schock erholt – und zahlt nun horrende Preise, um genug Container für den Export zu ergattern (siehe Grafik unten).
Das trifft nicht nur den Rohstoffhandel. Fehlplanung, knappe Ressourcen und strenge Coronaregeln setzen auch die Lieferketten der Industrie weiter unter Druck. Deutsche Autobauer müssen ihre Produktion bereits drosseln, weil ihre Lieferanten aus Taiwan keine Elektronikteile mehr liefern, an der Grenze zu Großbritannien stauen sich seit dem Brexit die Lkw und selbst an der verzögerten Lieferung des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca an die EU sollen Probleme bei Zulieferern schuld sein. Transportunternehmen wie Hapag-Lloyd warnen angesichts dieser Mischung aus steigender Nachfrage, geringen Kapazitäten und massiver Unsicherheit bereits vor einem „perfect storm“für die Weltwirtschaft.
Wo sitzen verlässliche Lieferanten?
Die Warnung kommt nicht ohne Grund. Seit der Jahrtausendwende hat sich der Wert der Zwischenprodukte, die weltweit verschifft werden, auf zehn Billionen US-Dollar (8,32 Billionen Euro) im Jahr verdreifacht. Die Unternehmen sind verstrickt in eine Kette an Abhängigkeiten quer über den Globus. Das trifft nicht nur Autobauer und Smartphone-Hersteller. Selbst bei einem Fahrrad der italienischen Kultmarke Bianchi kommen die Teile aus aller Welt, die Bremsen etwa aus Japan, die Lenker aus Taiwan (siehe Grafik). Fällt ein Glied in der Lieferkette aus, sind die Folgen rasch zu spüren. Wie sich das anfühlt, wissen Unternehmen und Konsumenten spätestens seit dem Frühjahr 2020, als das Virus für geschlossene Grenzen, Exportrestriktionen und Lockdowns gesorgt und die traditionellen Lieferketten zum Zerreißen gebracht hat. Über achtzig Prozent der Produktionsbetriebe waren betroffen. Es hat Monate gedauert, bis die Industrie glaubte, den Schock überwunden zu haben.
Viele Unternehmen haben die Zeit genutzt, um darüber nachzudenken, wie sie ihre Abhängigkeiten verringern können. Von den USA über Europa bis nach Asien forcieren Regierungen seither die Rückkehr der Produktion in die alte Heimat. Viele Unternehmensführer reagierten begeistert, zumindest zu Beginn. Acht von zehn Managern wollten im April laut einer Umfrage des Beratungsunternehmens EY ihre Fabriken bald in die alte Heimat verlagern. Doch die Euphorie hielt nicht lang an: Im Dezember sprachen sich in einer ähnlichen Umfrage
des Kreditversicherers Euler Hermes nur noch 15 Prozent der Firmenchefs dafür aus.
„Coronakrise zeigt Verwundbarkeit“
Die Unternehmen zögern also noch. Ist das angesichts der neuerlichen Engpässe im internationalen Handel ein Fehler? Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), glaubt das nicht: „Die Coronakrise hat die Verwundbarkeit internationaler Lieferketten gezeigt“, sagt der ge
bürtige Österreicher. „Daraus den Schluss zu ziehen, Produktion wieder zurück in die Heimatländer zu holen, ist extrem teuer und daher der falsche Weg.“Sein Institut hat eine Studie erstellt, wonach die Abschottung von globalen Lieferketten deutschen Produzenten und ihren Handelspartnern – darunter etwa Österreich – extrem schaden würde. Die Realeinkommen in der Bundesrepublik würden jedes Jahr um 3,3 Prozent sinken. Die Studie platzt mitten in den innerdeutschen Streit um ein strenges Lieferkettengesetz, das deutsche Firmen für die Umweltund Menschenrechtsverstöße ihrer Lieferanten haftbar machen soll. Auch hier würden sehr strikte Regeln die Volkswirtschaft über Gebühr belasten, so Felbermayr.
Die Firmen kommen nicht heim
Aber irgendetwas muss passieren. Die Pandemie wird auf absehbare Zeit nicht ver
schwinden. Und mit ihr bleibt auch die Unsicherheit im internationalen Handel bestehen. Das McKinsey Global Institute (MGI) schätzt, dass Unternehmen mittlerweile alle drei bis vier Jahre damit rechnen müssen, dass Lieferketten monatelang unterbrochen sind. In den nächsten fünf Jahren werde deshalb ein Viertel der globalen Liefer- und Warenströme in neue Länder verlagert.
Doch statt reumütig nach Hause zurückzukehren, rüsten sich die Firmen lieber für weitere Turbulenzen. VW will künftig etwa keine Zwischenhändler mehr beschäftigen und sich seine Halbleiter direkt beim Produzenten in Taiwan sichern. Unternehmen hamstern wichtige Vorprodukte, die Sicherheitsreserven werden ausgebaut. Und sie verlassen sich nicht mehr nur auf einen Lieferanten oder ein Herkunftsland. Je näher Lieferanten und Produktion am Kunden sind, desto sicherer. Der Trend nahm seinen Anfang schon vor Corona. Während des Handelskriegs zwischen China und den USA haben sich viele Firmen neben der Volksrepublik ein weiteres Standbein in Asien gesucht. Diese „China + 1“-Strategie wird nun auf die gesamte Welt ausgeweitet. Wer den amerikanischen Markt beliefern will, ist mit einer Fabrik in Mexiko womöglich besser bedient als in China. Und wer seine Kunden in Europa hat, sucht nach Standorten und Lieferanten in der Türkei und in Osteuropa. Die Firmen kommen also trotz Pandemie und löchriger Lieferketten nicht nach Hause. Aber sie könnten näher kommen.