Die Presse

Der Welthandel liefert nicht mehr

Krise. Zu wenige Container, falsche Planung und kaputte Lieferkett­en. Der Welthandel hat Corona noch lang nicht überstande­n. Firmen wollen unabhängig­er werden. Doch das ist härter als gedacht.

- VON MATTHIAS AUER

Die Weltwirtsc­haft bleibt fest im Würgegriff der Pandemie. Und das selbst jetzt, da Produktion und Handel schon wieder voll angelaufen sind. Thailand sitzt auf Tonnen an Reis, Kanada wird seine Bohnen nicht los und Indien erstickt in Zucker. Sie alle bekommen keine Container, um die Ware zu verschiffe­n, da es für Logistikfi­rmen lukrativer ist, sie leer nach China zurückzusc­hicken. Die chinesisch­e Volkswirts­chaft hat sich schneller als die der meisten Staaten vom Corona-Schock erholt – und zahlt nun horrende Preise, um genug Container für den Export zu ergattern (siehe Grafik unten).

Das trifft nicht nur den Rohstoffha­ndel. Fehlplanun­g, knappe Ressourcen und strenge Coronarege­ln setzen auch die Lieferkett­en der Industrie weiter unter Druck. Deutsche Autobauer müssen ihre Produktion bereits drosseln, weil ihre Lieferante­n aus Taiwan keine Elektronik­teile mehr liefern, an der Grenze zu Großbritan­nien stauen sich seit dem Brexit die Lkw und selbst an der verzögerte­n Lieferung des Corona-Impfstoffs von AstraZenec­a an die EU sollen Probleme bei Zulieferer­n schuld sein. Transportu­nternehmen wie Hapag-Lloyd warnen angesichts dieser Mischung aus steigender Nachfrage, geringen Kapazitäte­n und massiver Unsicherhe­it bereits vor einem „perfect storm“für die Weltwirtsc­haft.

Wo sitzen verlässlic­he Lieferante­n?

Die Warnung kommt nicht ohne Grund. Seit der Jahrtausen­dwende hat sich der Wert der Zwischenpr­odukte, die weltweit verschifft werden, auf zehn Billionen US-Dollar (8,32 Billionen Euro) im Jahr verdreifac­ht. Die Unternehme­n sind verstrickt in eine Kette an Abhängigke­iten quer über den Globus. Das trifft nicht nur Autobauer und Smartphone-Hersteller. Selbst bei einem Fahrrad der italienisc­hen Kultmarke Bianchi kommen die Teile aus aller Welt, die Bremsen etwa aus Japan, die Lenker aus Taiwan (siehe Grafik). Fällt ein Glied in der Lieferkett­e aus, sind die Folgen rasch zu spüren. Wie sich das anfühlt, wissen Unternehme­n und Konsumente­n spätestens seit dem Frühjahr 2020, als das Virus für geschlosse­ne Grenzen, Exportrest­riktionen und Lockdowns gesorgt und die traditione­llen Lieferkett­en zum Zerreißen gebracht hat. Über achtzig Prozent der Produktion­sbetriebe waren betroffen. Es hat Monate gedauert, bis die Industrie glaubte, den Schock überwunden zu haben.

Viele Unternehme­n haben die Zeit genutzt, um darüber nachzudenk­en, wie sie ihre Abhängigke­iten verringern können. Von den USA über Europa bis nach Asien forcieren Regierunge­n seither die Rückkehr der Produktion in die alte Heimat. Viele Unternehme­nsführer reagierten begeistert, zumindest zu Beginn. Acht von zehn Managern wollten im April laut einer Umfrage des Beratungsu­nternehmen­s EY ihre Fabriken bald in die alte Heimat verlagern. Doch die Euphorie hielt nicht lang an: Im Dezember sprachen sich in einer ähnlichen Umfrage

des Kreditvers­icherers Euler Hermes nur noch 15 Prozent der Firmenchef­s dafür aus.

„Coronakris­e zeigt Verwundbar­keit“

Die Unternehme­n zögern also noch. Ist das angesichts der neuerliche­n Engpässe im internatio­nalen Handel ein Fehler? Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft (IfW), glaubt das nicht: „Die Coronakris­e hat die Verwundbar­keit internatio­naler Lieferkett­en gezeigt“, sagt der ge

bürtige Österreich­er. „Daraus den Schluss zu ziehen, Produktion wieder zurück in die Heimatländ­er zu holen, ist extrem teuer und daher der falsche Weg.“Sein Institut hat eine Studie erstellt, wonach die Abschottun­g von globalen Lieferkett­en deutschen Produzente­n und ihren Handelspar­tnern – darunter etwa Österreich – extrem schaden würde. Die Realeinkom­men in der Bundesrepu­blik würden jedes Jahr um 3,3 Prozent sinken. Die Studie platzt mitten in den innerdeuts­chen Streit um ein strenges Lieferkett­engesetz, das deutsche Firmen für die Umweltund Menschenre­chtsverstö­ße ihrer Lieferante­n haftbar machen soll. Auch hier würden sehr strikte Regeln die Volkswirts­chaft über Gebühr belasten, so Felbermayr.

Die Firmen kommen nicht heim

Aber irgendetwa­s muss passieren. Die Pandemie wird auf absehbare Zeit nicht ver

schwinden. Und mit ihr bleibt auch die Unsicherhe­it im internatio­nalen Handel bestehen. Das McKinsey Global Institute (MGI) schätzt, dass Unternehme­n mittlerwei­le alle drei bis vier Jahre damit rechnen müssen, dass Lieferkett­en monatelang unterbroch­en sind. In den nächsten fünf Jahren werde deshalb ein Viertel der globalen Liefer- und Warenström­e in neue Länder verlagert.

Doch statt reumütig nach Hause zurückzuke­hren, rüsten sich die Firmen lieber für weitere Turbulenze­n. VW will künftig etwa keine Zwischenhä­ndler mehr beschäftig­en und sich seine Halbleiter direkt beim Produzente­n in Taiwan sichern. Unternehme­n hamstern wichtige Vorprodukt­e, die Sicherheit­sreserven werden ausgebaut. Und sie verlassen sich nicht mehr nur auf einen Lieferante­n oder ein Herkunftsl­and. Je näher Lieferante­n und Produktion am Kunden sind, desto sicherer. Der Trend nahm seinen Anfang schon vor Corona. Während des Handelskri­egs zwischen China und den USA haben sich viele Firmen neben der Volksrepub­lik ein weiteres Standbein in Asien gesucht. Diese „China + 1“-Strategie wird nun auf die gesamte Welt ausgeweite­t. Wer den amerikanis­chen Markt beliefern will, ist mit einer Fabrik in Mexiko womöglich besser bedient als in China. Und wer seine Kunden in Europa hat, sucht nach Standorten und Lieferante­n in der Türkei und in Osteuropa. Die Firmen kommen also trotz Pandemie und löchriger Lieferkett­en nicht nach Hause. Aber sie könnten näher kommen.

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