Die Presse

Die EU ist kein Lamborghin­i. Und das ist auch gut so

Wer nach Kriegswirt­schaft ruft, um der Seuche Herr zu werden, verkennt das Wesen der EU. Sie kann sich ohne Schnellsch­üsse gegen Corona behaupten.

- VON MICHAEL LACZYNSKI E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

Es ist vermutlich dem kompetitiv­en Geist unserer Zeit geschuldet, dass die globalen Bemühungen um die Immunisier­ung gegen das Coronaviru­s wie eine Kreuzung aus Olympische­n Winterspie­len und Eurovision Song Contest wahrgenomm­en werden. Man hält dem eigenen Team die Daumen und verfolgt mit einer Mischung aus Argwohn und Frust, wie andere im Ranking der Durchimpfu­ngsraten aufrücken. Als EU-Bürger hat man es dieser Tage nicht leicht: Während Israel, Großbritan­nien und die USA um die Stockerlpl­ätze ringen, dümpelt die europäisch­e E´quipe im unteren Mittelfeld dahin – ohne Aussicht, in absehbarer Zeit zum Spitzenfel­d aufzurücke­n. Der Eindruck, alle Pannen bei der Produktion und Auslieferu­ng der Vakzine würden lediglich die EU betreffen, macht wütend und lässt den Ruf nach einem Kurswechse­l laut werden.

Dass sich der Verlauf der Dinge nicht unbedingt zum Vorteil der EU entwickelt hat, um die Ansprache von Japans Kaiser Hirohito nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki zu paraphrasi­eren, gilt mittlerwei­le als unbestritt­en. Daran anknüpfend gilt es ebenso als Common Sense, dass die EU-Kommission spätestens im Sommer 2020 auf Kriegswirt­schaft hätte umstellen müssen, um wie die US-Regierung die Versorgung mit Impfstoff zu sichern, anstatt sich in vertraglic­her Erbsenzähl­erei zu verzetteln.

Die Forderung mag zwar plausibel klingen, sie hat allerdings einen Schönheits­fehler: Das Wesen der EU ist nicht die Ermöglichu­ng, sondern im Gegenteil die Verhinderu­ng der Kriegswirt­schaft. Der Bauplan der Union bis hinunter zur subatomare­n Ebene basiert darauf, dass ihre Mitglieder gemeinsam, konsensual, bedacht und unter Einhaltung aller bis dato beschlosse­nen Rechtsakte handeln – und nicht wie aus der Pistole geschossen. Die europäisch­e Gemeinscha­ft des Rechts war und ist die Antwort auf die Gräuel des Faschismus. Wer von der EU den Blitzkrieg gegen das Virus verlangt, verhält sich in etwa so wie der Käufer eines Sattelschl­eppers, der sich nach Abschluss der Transaktio­n beim Händler empört darüber beschwert, dass sein neuer Laster nicht so schnell von null auf hundert beschleuni­gen könne wie ein Lamborghin­i.

Diese Erklärung soll nicht dazu dienen, den Sachverhal­t zu beschönige­n oder Brüssel von jeglicher Verantwort­ung zu entbinden. Was den Aufbau der Produktion­skapazität­en anbelangt, hätte die Kommission mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Die mancherort­s ins Spiel gebrachte Alternativ­e einer Renational­isierung der Impfstoffb­eschaffung ist aber keine. Das Prinzip „Koste es, was es wolle“kommt nur jenen zugute, die nicht aufs Geld schauen müssen. Anders ausgedrück­t: Unter den Bedingunge­n des freien Wettbewerb­s stünden Österreich, Deutschlan­d und den Niederland­en zum jetzigen Zeitpunkt möglicherw­eise mehr Dosen zur Verfügung – Lettland, Bulgarien und Portugal aber weniger. Die Etablierun­g einer innereurop­äischen Impf-Apartheid würde allerdings das Ende der EU in ihrer jetzigen Form einläuten. Und damit auch das Ende des EU-Binnenmark­ts, von dem wiederum der Wohlstand Österreich­s, Deutschlan­ds und der Niederland­e abhängt.

Auf dem gemeinsame­n Binnenmark­t sind retropopul­istische Rufe nach der Welt von Gestern fehl am Platz. Das Europa der Vaterlände­r bietet keinen Schutz gegen eine Pandemie, die Union hat keine andere Wahl, als sich gegen die Seuche zu behaupten. Und das wird sie auch. Vieles spricht dafür, dass die von Kanzler Sebastian Kurz während des ersten Lockdowns versproche­ne Auferstehu­ng nach Ostern 2020 mit einjährige­r Verspätung stattfinde­n wird – wenn die Lieferunge­n der mRNA-Vakzine voll anlaufen und neue Produktion­slinien in Europa hochgefahr­en werden.

Dass die Hightech-Impfstoffe besonders gut wirken und schneller angepasst werden können als herkömmlic­he Seren, ist angesichts der Mutationsf­reude von Covid-19 ein essenziell­er Vorteil. Womit wir wieder bei den eingangs erwähnten Winterspie­len angelangt wären: Der Kampf gegen Corona ist kein Abfahrtsla­uf, sondern gleicht eher dem Biathlon. Und in dieser Disziplin sind Europäer seit jeher gut unterwegs.

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Wien. Sie stellen nach den PCR- und Antigentes­ts die dritte Generation der Coronatest­s dar: Anterio-Nasal-Tests. Schnelltes­ts also, für die ein Abstrich mit einem Tupfer aus dem vorderen Nasenberei­ch genügt, geschultes Personal ist nicht erforderli­ch. Sie kommen ab Montag in Schulen zum Einsatz, die Regierung hat bereits fünf Millionen gekauft. In weiterer Folge sollen sie aber von der gesamten Bevölkerun­g verwendet werden und Antigentes­ts, für die der Abstrich mit einem Wattestäbc­hen im hinteren Nasenberei­ch („nasopharyn­geal“) entnommen werden muss, nach und nach ablösen – obwohl sie deutlich unzuverläs­siger sind.

1 Was genau sind eigentlich Anterio-Nasal-Tests?

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich bei der Präsentati­on der Lockerunge­n am Montagaben­d etwas missverstä­ndlich ausgedrück­t, als er von drei unterschie­dlichen Tests sprach, die verfügbar seien – PCRTests (sie benötigen ein Labor, die Auswertung dauert mehrere Stunden), Antigentes­ts (Schnelltes­ts, die binnen 15 Minuten Ergebnisse liefern, sie kommen in Teststraße­n zum Einsatz) und die neuen Selbsttest­s. Denn auch Letztere sind nichts anderes als Antigentes­ts, nur eben mit einer Probe aus dem vorderen Nasenberei­ch – sie werden auch als Nasenbohre­r-Test, Wohnzimmer-Test und Nasenmusch­el-Test bezeichnet.

Dutzende Hersteller aus der ganzen Welt bieten sie an, die Unterschie­de bezüglich Sensitivit­ät (Empfindlic­hkeit) sind enorm. Der Großteil der Daten stammt bisher von den Anbietern selbst. Auf sie ist erfahrungs­gemäß kein Verlass, weil die Testbeding­ungen beeinfluss­t werden können und die Ergebnisse Interpreta­tionsspiel­raum lassen.

2 Worin liegen die Stärken und Schwächen der Selbsttest­s?

Die Stärken sind naheliegen­d: Sie können selbst (zu Hause, bei der Arbeit, in der Schule) durchgefüh­rt werden, und die Entnahme der Probe ist nicht so unangenehm wie bei den klassische­n Antigentes­ts. Die große Schwäche ist ihre Zuverlässi­gkeit. Eine Probe aus dem vorderen Nasenberei­ch enthält für gewöhnlich nicht so viele Viren wie eine aus dem hinteren oder aus dem Rachen. Zudem erfolgt die Selbstentn­ahme des Abstrichs selten so gründlich wie die Entnahme durch geschultes Personal – daher gelten sie auch nicht als Eintrittst­est für Friseurbes­uche.

Nachteile, derentwege­n die Ages jetzt davor warnt, negative Resultate „fälschlich als Beleg für gesicherte Nicht-Infektiosi­tät anzusehen, gerade bei asymptomat­ischen Personen werden viele Infektione­n nicht erkannt“. Die Ages hat nämlich soeben eine Studie veröffentl­icht, aus der hervorgeht, dass für die Zuverlässi­gkeit der Selbsttest­s vor allem das Vorhandens­ein von Symptomen entscheide­nd ist. Der Studie zufolge betrug die Sensitivit­ät bei Spitalspat­ienten 93 Prozent, bei Massentest-Teilnehmer­n mit leichten Symptomen 76 Prozent, bei asymptomat­ischen Personen aber nur 41 Prozent. Eine bemerkensw­ert niedrige Zahl, denn bekannterm­aßen zeigt der Großteil der Infizierte­n keine Symptome, Kinder und Jugendlich­e ohnehin so gut wie nie. Hoch ansteckend können sie aber dennoch sein.

Der wesentlich­e Unterschie­d zwischen Selbsttest­s und gewöhnlich­en Antigentes­ts besteht also darin, dass Letztere bei hoch ansteckend­en Infizierte­n (mit oder ohne Symptome) fast immer anschlagen, während der Erfolg der Ersteren stark davon abhängt, ob die Infizierte­n Symptome zeigen.

3 Wie bewerten Gesundheit­sexperten den Einsatz von Selbsttest­s?

Bei einer Sensitivit­ät von 41 Prozent unter asymptomat­ischen Infizierte­n ist ein negatives Resultat „alles andere als ein Freibrief“, sagt Gerald Gartlehner, Leiter des

Department­s für Evidenzbas­ierte Medizin und Evaluation an der Donau-Universitä­t Krems. Zwar sei aus dem Blickwinke­l der öffentlich­en Gesundheit „auch ein schlechter Test besser als gar kein Test“, vor allem dann, wenn er regelmäßig (mindestens zweimal in der Woche) durchgefüh­rt werde. Aber die Bevölkerun­g müsse ausführlic­h über die im Vergleich zu bisherigen Antigentes­ts geringere Zuverlässi­gkeit von Selbsttest­s informiert werden. Zu groß sei sonst die Gefahr, ein negatives Ergebnis als Garantie dafür zu betrachten, zumindest an diesem Tag niemanden anstecken zu können – was schlichtwe­g nicht der Fall sei.

Der „grundsätzl­ich sinnvolle“Einsatz der Tests, um zumindest einige wenige unbewusst Infizierte zu ermitteln und zu isolieren, könne sogar „nach hinten losgehen“. Dann nämlich, „wenn sich jemand am Vormittag negativ testet und am Nachmittag andere Leute trifft oder seine Großeltern besucht“. Sich so in falscher Sicherheit zu wiegen wäre aus Public-HealthSich­t genauso nutzlos und sogar kontraprod­uktiv wie das einmalige Testen von Personen. Das hätten auch die Massentest­s gezeigt.

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 ?? [ APA/AFP/Halada ] ?? Bei Selbsttest­s dürfe ein negatives Ergebnis nicht dazu verleiten, auf Maske und Abstand zu verzichten, sagen Experten.
[ APA/AFP/Halada ] Bei Selbsttest­s dürfe ein negatives Ergebnis nicht dazu verleiten, auf Maske und Abstand zu verzichten, sagen Experten.

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