Die EU ist kein Lamborghini. Und das ist auch gut so
Wer nach Kriegswirtschaft ruft, um der Seuche Herr zu werden, verkennt das Wesen der EU. Sie kann sich ohne Schnellschüsse gegen Corona behaupten.
Es ist vermutlich dem kompetitiven Geist unserer Zeit geschuldet, dass die globalen Bemühungen um die Immunisierung gegen das Coronavirus wie eine Kreuzung aus Olympischen Winterspielen und Eurovision Song Contest wahrgenommen werden. Man hält dem eigenen Team die Daumen und verfolgt mit einer Mischung aus Argwohn und Frust, wie andere im Ranking der Durchimpfungsraten aufrücken. Als EU-Bürger hat man es dieser Tage nicht leicht: Während Israel, Großbritannien und die USA um die Stockerlplätze ringen, dümpelt die europäische E´quipe im unteren Mittelfeld dahin – ohne Aussicht, in absehbarer Zeit zum Spitzenfeld aufzurücken. Der Eindruck, alle Pannen bei der Produktion und Auslieferung der Vakzine würden lediglich die EU betreffen, macht wütend und lässt den Ruf nach einem Kurswechsel laut werden.
Dass sich der Verlauf der Dinge nicht unbedingt zum Vorteil der EU entwickelt hat, um die Ansprache von Japans Kaiser Hirohito nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki zu paraphrasieren, gilt mittlerweile als unbestritten. Daran anknüpfend gilt es ebenso als Common Sense, dass die EU-Kommission spätestens im Sommer 2020 auf Kriegswirtschaft hätte umstellen müssen, um wie die US-Regierung die Versorgung mit Impfstoff zu sichern, anstatt sich in vertraglicher Erbsenzählerei zu verzetteln.
Die Forderung mag zwar plausibel klingen, sie hat allerdings einen Schönheitsfehler: Das Wesen der EU ist nicht die Ermöglichung, sondern im Gegenteil die Verhinderung der Kriegswirtschaft. Der Bauplan der Union bis hinunter zur subatomaren Ebene basiert darauf, dass ihre Mitglieder gemeinsam, konsensual, bedacht und unter Einhaltung aller bis dato beschlossenen Rechtsakte handeln – und nicht wie aus der Pistole geschossen. Die europäische Gemeinschaft des Rechts war und ist die Antwort auf die Gräuel des Faschismus. Wer von der EU den Blitzkrieg gegen das Virus verlangt, verhält sich in etwa so wie der Käufer eines Sattelschleppers, der sich nach Abschluss der Transaktion beim Händler empört darüber beschwert, dass sein neuer Laster nicht so schnell von null auf hundert beschleunigen könne wie ein Lamborghini.
Diese Erklärung soll nicht dazu dienen, den Sachverhalt zu beschönigen oder Brüssel von jeglicher Verantwortung zu entbinden. Was den Aufbau der Produktionskapazitäten anbelangt, hätte die Kommission mehr Geld in die Hand nehmen müssen. Die mancherorts ins Spiel gebrachte Alternative einer Renationalisierung der Impfstoffbeschaffung ist aber keine. Das Prinzip „Koste es, was es wolle“kommt nur jenen zugute, die nicht aufs Geld schauen müssen. Anders ausgedrückt: Unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs stünden Österreich, Deutschland und den Niederlanden zum jetzigen Zeitpunkt möglicherweise mehr Dosen zur Verfügung – Lettland, Bulgarien und Portugal aber weniger. Die Etablierung einer innereuropäischen Impf-Apartheid würde allerdings das Ende der EU in ihrer jetzigen Form einläuten. Und damit auch das Ende des EU-Binnenmarkts, von dem wiederum der Wohlstand Österreichs, Deutschlands und der Niederlande abhängt.
Auf dem gemeinsamen Binnenmarkt sind retropopulistische Rufe nach der Welt von Gestern fehl am Platz. Das Europa der Vaterländer bietet keinen Schutz gegen eine Pandemie, die Union hat keine andere Wahl, als sich gegen die Seuche zu behaupten. Und das wird sie auch. Vieles spricht dafür, dass die von Kanzler Sebastian Kurz während des ersten Lockdowns versprochene Auferstehung nach Ostern 2020 mit einjähriger Verspätung stattfinden wird – wenn die Lieferungen der mRNA-Vakzine voll anlaufen und neue Produktionslinien in Europa hochgefahren werden.
Dass die Hightech-Impfstoffe besonders gut wirken und schneller angepasst werden können als herkömmliche Seren, ist angesichts der Mutationsfreude von Covid-19 ein essenzieller Vorteil. Womit wir wieder bei den eingangs erwähnten Winterspielen angelangt wären: Der Kampf gegen Corona ist kein Abfahrtslauf, sondern gleicht eher dem Biathlon. Und in dieser Disziplin sind Europäer seit jeher gut unterwegs.
Wien. Sie stellen nach den PCR- und Antigentests die dritte Generation der Coronatests dar: Anterio-Nasal-Tests. Schnelltests also, für die ein Abstrich mit einem Tupfer aus dem vorderen Nasenbereich genügt, geschultes Personal ist nicht erforderlich. Sie kommen ab Montag in Schulen zum Einsatz, die Regierung hat bereits fünf Millionen gekauft. In weiterer Folge sollen sie aber von der gesamten Bevölkerung verwendet werden und Antigentests, für die der Abstrich mit einem Wattestäbchen im hinteren Nasenbereich („nasopharyngeal“) entnommen werden muss, nach und nach ablösen – obwohl sie deutlich unzuverlässiger sind.
1 Was genau sind eigentlich Anterio-Nasal-Tests?
Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat sich bei der Präsentation der Lockerungen am Montagabend etwas missverständlich ausgedrückt, als er von drei unterschiedlichen Tests sprach, die verfügbar seien – PCRTests (sie benötigen ein Labor, die Auswertung dauert mehrere Stunden), Antigentests (Schnelltests, die binnen 15 Minuten Ergebnisse liefern, sie kommen in Teststraßen zum Einsatz) und die neuen Selbsttests. Denn auch Letztere sind nichts anderes als Antigentests, nur eben mit einer Probe aus dem vorderen Nasenbereich – sie werden auch als Nasenbohrer-Test, Wohnzimmer-Test und Nasenmuschel-Test bezeichnet.
Dutzende Hersteller aus der ganzen Welt bieten sie an, die Unterschiede bezüglich Sensitivität (Empfindlichkeit) sind enorm. Der Großteil der Daten stammt bisher von den Anbietern selbst. Auf sie ist erfahrungsgemäß kein Verlass, weil die Testbedingungen beeinflusst werden können und die Ergebnisse Interpretationsspielraum lassen.
2 Worin liegen die Stärken und Schwächen der Selbsttests?
Die Stärken sind naheliegend: Sie können selbst (zu Hause, bei der Arbeit, in der Schule) durchgeführt werden, und die Entnahme der Probe ist nicht so unangenehm wie bei den klassischen Antigentests. Die große Schwäche ist ihre Zuverlässigkeit. Eine Probe aus dem vorderen Nasenbereich enthält für gewöhnlich nicht so viele Viren wie eine aus dem hinteren oder aus dem Rachen. Zudem erfolgt die Selbstentnahme des Abstrichs selten so gründlich wie die Entnahme durch geschultes Personal – daher gelten sie auch nicht als Eintrittstest für Friseurbesuche.
Nachteile, derentwegen die Ages jetzt davor warnt, negative Resultate „fälschlich als Beleg für gesicherte Nicht-Infektiosität anzusehen, gerade bei asymptomatischen Personen werden viele Infektionen nicht erkannt“. Die Ages hat nämlich soeben eine Studie veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass für die Zuverlässigkeit der Selbsttests vor allem das Vorhandensein von Symptomen entscheidend ist. Der Studie zufolge betrug die Sensitivität bei Spitalspatienten 93 Prozent, bei Massentest-Teilnehmern mit leichten Symptomen 76 Prozent, bei asymptomatischen Personen aber nur 41 Prozent. Eine bemerkenswert niedrige Zahl, denn bekanntermaßen zeigt der Großteil der Infizierten keine Symptome, Kinder und Jugendliche ohnehin so gut wie nie. Hoch ansteckend können sie aber dennoch sein.
Der wesentliche Unterschied zwischen Selbsttests und gewöhnlichen Antigentests besteht also darin, dass Letztere bei hoch ansteckenden Infizierten (mit oder ohne Symptome) fast immer anschlagen, während der Erfolg der Ersteren stark davon abhängt, ob die Infizierten Symptome zeigen.
3 Wie bewerten Gesundheitsexperten den Einsatz von Selbsttests?
Bei einer Sensitivität von 41 Prozent unter asymptomatischen Infizierten ist ein negatives Resultat „alles andere als ein Freibrief“, sagt Gerald Gartlehner, Leiter des
Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Donau-Universität Krems. Zwar sei aus dem Blickwinkel der öffentlichen Gesundheit „auch ein schlechter Test besser als gar kein Test“, vor allem dann, wenn er regelmäßig (mindestens zweimal in der Woche) durchgeführt werde. Aber die Bevölkerung müsse ausführlich über die im Vergleich zu bisherigen Antigentests geringere Zuverlässigkeit von Selbsttests informiert werden. Zu groß sei sonst die Gefahr, ein negatives Ergebnis als Garantie dafür zu betrachten, zumindest an diesem Tag niemanden anstecken zu können – was schlichtweg nicht der Fall sei.
Der „grundsätzlich sinnvolle“Einsatz der Tests, um zumindest einige wenige unbewusst Infizierte zu ermitteln und zu isolieren, könne sogar „nach hinten losgehen“. Dann nämlich, „wenn sich jemand am Vormittag negativ testet und am Nachmittag andere Leute trifft oder seine Großeltern besucht“. Sich so in falscher Sicherheit zu wiegen wäre aus Public-HealthSicht genauso nutzlos und sogar kontraproduktiv wie das einmalige Testen von Personen. Das hätten auch die Massentests gezeigt.