Merkels russiche Baustelle
Pipeline-Pläne. Nawalnys Verurteilung setzt Berlin unter Druck. Doch zugleich deuten die USA Berichten zufolge Gesprächsbereitschaft an. Bisher haben sie Nord Stream 2 sabotiert.
Berlin. Noch ist Nord Stream 2 nicht vollendet, noch fließt kein zusätzliches Gas von der russischen Narwa-Bucht ins deutsche Lubmin. Hohen Druck gibt es trotzdem. Nicht nur in den Röhren. Sondern auch auf das Berliner Regierungsviertel. In seltener Einstimmigkeit drängen deutsche Leitmedien auf den Abbruch des Pipeline-Projekts. Sie rechnen vor, dass der energiepolitische Nutzen kleiner sei als der Kollateralschaden, den das Projekt der Außenpolitik und genauer dem Verhältnis zu den beiden wichtigsten Verbündeten, zu den USA und nun auch zu Paris, zufügt. Denn vor dem Hintergrund der Vergiftung, Verhaftung und Verurteilung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny ist Frankreich öffentlich von der Pipeline abgerückt, die 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr ins europäische Netz speisen soll.
Das „Non“aus Frankreich, der mediale Druck, die Verurteilung von Alexej Nawalny in einem Verfahren, das übel nach Schauprozess riecht und das Berlin selbst in schärfsten Tönen verurteilt: Braut sich über der Ostsee-Pipeline, zu 94 Prozent fertiggestellt, in diesem deutschen Superwahljahr 2021 der perfekte Sturm zusammen?
Eher nicht. Denn zugleich signalisierte die neue US-Regierung Berichten zufolge vorsichtig Gesprächsbereitschaft über das Projekt, das die USA bisher mit Sanktionsdrohungen gegen Verlegerschiffe und Zertifizierer nach Kräften sabotiert hatten. „Die Deutschen müssen eine Paketlösung auf den Tisch legen“, wird ein US-Beamter im „Handelsblatt“zitiert. Dazu könnten dem Bericht zufolge die Förderung der Ukraine als Lieferant von grünem Wasserstoff zählen und ein „Abschaltmechanismus“, wonach der Zufluss durch die Ostsee-Pipeline unterbrochen würde, sobald Russland der Ukraine den Gashahn zudreht. Denn auch in Osteuropa geht die Angst um, dass Russland die Pipeline im Ernstfall nutzen würde, um den Gas- Transit über die Ukraine zu umgehen und den Gegner damit zu schwächen. Ein „Abschaltmechanismus“würde diese Waffe entschärfen. Und vielleicht könnte auch die Abnahme von teurem US-Flüssiggas Teil der Gleichung sein.
Erste deutsche Außenpolitiker nahmen die US-Signale jedenfalls wohlwollend auf. Wobei der US-Botschafter in Berlin zeitgleich auf ein Aussetzen des Pipeline-Projekts drängte. Jedenfalls bewegt sich da etwas. Und im Nordosten
Deutschlands wollen sie ohnedies Fakten schaffen. Dort, im Mecklenburg-Vorpommern von SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, wurde eine landeseigene Stiftung gegründet, die sich vordergründig dem Umwelt- und Klimaschutz verschreibt. Hintersinn: Die Stiftung kann bei der Umsetzung von Nord Stream 2 aktiv werden und so Sanktionen umschiffen.
Die Nähe zu Russland
Es geht auch um wirtschaftliche Interessen in einer Region, die unter Abwanderung leidet – und die 2021 einen neuen Landtag wählt. Hinzu kommt: Der Osten Deutschlands ist Moskau historisch und geografisch näher. Und die im Bund mitregierende SPD ist es tendenziell auch, wenn auch nicht in den Dimensionen ihres Altkanzlers Gerhard Schröder, der in diesen Tagen erneut die Werbetrommel für die Pipeline, für Russland und für seinen Spezi im Kreml rührt.
Schröders Nachfolgerin im Kanzleramt, Angela Merkel, scheint von Putins Gebaren indes bitter enttäuscht. Sein aggressives Vorgehen auf den geopolitischen
Weltschauplätzen und ein Auftragsmord an einem Tschetschenen in Berlin belasten die Beziehungen wie nun auch der Fall Nawalny. Es gab einen Moment 2020, in dem Merkel von ihrer jahrelang eingeübten Position abrückte, wonach die Pipeline ein rein wirtschaftliches Projekt sei und daher für Sanktionen ungeeignet. Doch mittlerweile steht die Regierung auch öffentlich wieder hinter dem Projekt. Unterstützer warnen auch vor möglichen horrenden Kosten für den Steuerzahler, falls die Milliarden Euro teure Pipeline, an der auch die OMV beteiligt ist, auf der Zielgerade zu Fall gebracht würde – Stichwort Schadenersatzklagen.
Stefan Meister, Russland-Experte der Heinrich-Böll-Stiftung, rechnet fest damit, dass der Bau finalisiert wird. Dafür sprächen auch die Signale aus Washington: „Die USRegierung will dieses Projekt nicht zu einem Stolperstein für einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen machen.“Eine Paketlösung könne daher einen „gesichtswahrenden“Ausweg für alle bieten. Berlin, meint Meister, werde zu Zugeständnissen bereit sein.