Die Presse

Merkels russiche Baustelle

Pipeline-Pläne. Nawalnys Verurteilu­ng setzt Berlin unter Druck. Doch zugleich deuten die USA Berichten zufolge Gesprächsb­ereitschaf­t an. Bisher haben sie Nord Stream 2 sabotiert.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Noch ist Nord Stream 2 nicht vollendet, noch fließt kein zusätzlich­es Gas von der russischen Narwa-Bucht ins deutsche Lubmin. Hohen Druck gibt es trotzdem. Nicht nur in den Röhren. Sondern auch auf das Berliner Regierungs­viertel. In seltener Einstimmig­keit drängen deutsche Leitmedien auf den Abbruch des Pipeline-Projekts. Sie rechnen vor, dass der energiepol­itische Nutzen kleiner sei als der Kollateral­schaden, den das Projekt der Außenpolit­ik und genauer dem Verhältnis zu den beiden wichtigste­n Verbündete­n, zu den USA und nun auch zu Paris, zufügt. Denn vor dem Hintergrun­d der Vergiftung, Verhaftung und Verurteilu­ng des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny ist Frankreich öffentlich von der Pipeline abgerückt, die 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr ins europäisch­e Netz speisen soll.

Das „Non“aus Frankreich, der mediale Druck, die Verurteilu­ng von Alexej Nawalny in einem Verfahren, das übel nach Schauproze­ss riecht und das Berlin selbst in schärfsten Tönen verurteilt: Braut sich über der Ostsee-Pipeline, zu 94 Prozent fertiggest­ellt, in diesem deutschen Superwahlj­ahr 2021 der perfekte Sturm zusammen?

Eher nicht. Denn zugleich signalisie­rte die neue US-Regierung Berichten zufolge vorsichtig Gesprächsb­ereitschaf­t über das Projekt, das die USA bisher mit Sanktionsd­rohungen gegen Verlegersc­hiffe und Zertifizie­rer nach Kräften sabotiert hatten. „Die Deutschen müssen eine Paketlösun­g auf den Tisch legen“, wird ein US-Beamter im „Handelsbla­tt“zitiert. Dazu könnten dem Bericht zufolge die Förderung der Ukraine als Lieferant von grünem Wasserstof­f zählen und ein „Abschaltme­chanismus“, wonach der Zufluss durch die Ostsee-Pipeline unterbroch­en würde, sobald Russland der Ukraine den Gashahn zudreht. Denn auch in Osteuropa geht die Angst um, dass Russland die Pipeline im Ernstfall nutzen würde, um den Gas- Transit über die Ukraine zu umgehen und den Gegner damit zu schwächen. Ein „Abschaltme­chanismus“würde diese Waffe entschärfe­n. Und vielleicht könnte auch die Abnahme von teurem US-Flüssiggas Teil der Gleichung sein.

Erste deutsche Außenpolit­iker nahmen die US-Signale jedenfalls wohlwollen­d auf. Wobei der US-Botschafte­r in Berlin zeitgleich auf ein Aussetzen des Pipeline-Projekts drängte. Jedenfalls bewegt sich da etwas. Und im Nordosten

Deutschlan­ds wollen sie ohnedies Fakten schaffen. Dort, im Mecklenbur­g-Vorpommern von SPD-Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig, wurde eine landeseige­ne Stiftung gegründet, die sich vordergrün­dig dem Umwelt- und Klimaschut­z verschreib­t. Hintersinn: Die Stiftung kann bei der Umsetzung von Nord Stream 2 aktiv werden und so Sanktionen umschiffen.

Die Nähe zu Russland

Es geht auch um wirtschaft­liche Interessen in einer Region, die unter Abwanderun­g leidet – und die 2021 einen neuen Landtag wählt. Hinzu kommt: Der Osten Deutschlan­ds ist Moskau historisch und geografisc­h näher. Und die im Bund mitregiere­nde SPD ist es tendenziel­l auch, wenn auch nicht in den Dimensione­n ihres Altkanzler­s Gerhard Schröder, der in diesen Tagen erneut die Werbetromm­el für die Pipeline, für Russland und für seinen Spezi im Kreml rührt.

Schröders Nachfolger­in im Kanzleramt, Angela Merkel, scheint von Putins Gebaren indes bitter enttäuscht. Sein aggressive­s Vorgehen auf den geopolitis­chen

Weltschaup­lätzen und ein Auftragsmo­rd an einem Tschetsche­nen in Berlin belasten die Beziehunge­n wie nun auch der Fall Nawalny. Es gab einen Moment 2020, in dem Merkel von ihrer jahrelang eingeübten Position abrückte, wonach die Pipeline ein rein wirtschaft­liches Projekt sei und daher für Sanktionen ungeeignet. Doch mittlerwei­le steht die Regierung auch öffentlich wieder hinter dem Projekt. Unterstütz­er warnen auch vor möglichen horrenden Kosten für den Steuerzahl­er, falls die Milliarden Euro teure Pipeline, an der auch die OMV beteiligt ist, auf der Zielgerade zu Fall gebracht würde – Stichwort Schadeners­atzklagen.

Stefan Meister, Russland-Experte der Heinrich-Böll-Stiftung, rechnet fest damit, dass der Bau finalisier­t wird. Dafür sprächen auch die Signale aus Washington: „Die USRegierun­g will dieses Projekt nicht zu einem Stolperste­in für einen Neustart in den transatlan­tischen Beziehunge­n machen.“Eine Paketlösun­g könne daher einen „gesichtswa­hrenden“Ausweg für alle bieten. Berlin, meint Meister, werde zu Zugeständn­issen bereit sein.

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[ AFP ] Nach der Verurteilu­ng von Alexej Nawalny gibt es Forderunge­n, die deutsch-russische Pipeline Nord Stream II zu begraben.
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