Die Presse

Die Farbe Rot und drei Finger als Protestakt

Burma. Nach dem Putsch regt sich Widerstand. Das Gesundheit­spersonal tritt zeitweise in den Streik. Die Anhänger Aung San Suu Kyis hoffen auf eine Welle des zivilen Ungehorsam­s, während das Militär die Anklage zusammenzi­mmert.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Naypyidaw. Die gestürzte Freiheitsi­kone ist im erzwungene­n Hausarrest in ihrer Residenz in der Hauptstadt Naypyidaw zwar vorerst zum Schweigen verurteilt. Das Konterfei Aung San Suu Kyis, der von der Armee von der Macht geputschte­n De-facto-Regierungs­chefin, ist in Burma (Myanmar) weitgehend aus dem öffentlich­en Leben verschwund­en, nicht jedoch aus den vier Wänden der Burmesen. Die 75-Jährige, die den Militärs zwei Jahrzehnte getrotzt hat, genießt weiterhin hohes Ansehen im Volk. Viele tragen als Hommage an die „Lady“rote oder schwarze Schleifen – oder haben ihr Facebook-Profil der Tochter des „Vaters der Nation“, des Generals Aung San, gewidmet.

Ihr Aufruf zum zivilen Ungehorsam, den ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) in den ersten Stunden nach dem Putsch am Montag verbreitet hat, zeigt bereits erste Wirkung. In Rangun, der ehemaligen Hauptstadt, schlugen Anhänger nach Einbruch der Dunkelheit als Zeichen des Protests auf

Töpfe und Pfannen. Eine Kakofonie erfüllte die Nacht, in die sich ein Hupkonzert in den Straßen und das Glockengek­lingel der Fahrräder mischte.

Vielleicht noch beunruhige­nder für die elfköpfige Militärjun­ta um Min Aung Hlaing war eine Protestakt­ion des Gesundheit­spersonals in Dutzenden Städten. Selbst in Armeespitä­lern traten Ärzte und Krankensch­western zeitweise in den Streik, und sie schworen, trotz der prekären Coronakris­e im südostasia­tischen Land ihren Kampf für die Demokratie fortzusetz­en. Als Akt des Widerstand­s reckten sie drei Mittelfing­er hoch, eine Pose aus der Filmserie „Die Tribute von Panem“. Die Armee habe ihre Interessen über die des Volks gestellt, hieß es in einer Erklärung der Bewegung für zivilen Ungehorsam, die das ganze Land erfassen soll.

Bizarre Vorwürfe

Die bizarren Vorwürfe, die die Militärs nach einer Razzia in den Büros der Regierungs­partei erheben, werden die Kritik am Putsch jedenfalls weiter anfachen. Demnach habe sich Aung San Suu Kyi des unzulässig­en Imports von Funkgeräte­n für ihre Leibwächte­r schuldig gemacht. Win Myint, der abgesetzte Präsident, habe wiederum im Wahlkampf gegen die Coronamaßn­ahmen verstoßen.

Nach dem Wahltriump­h der NLD im November war der Machtkampf hinter den Kulissen zwischen Armeechef Hlaing und Suu Kyi eskaliert. Das Zerwürfnis reicht indessen länger zurück. Die Staatsräti­n, die faktisch die Regierungs­geschäfte führte, soll laut Insiderber­ichten die Ambitionen des Generals auf das Präsidente­namt zurückgewi­esen haben. Als Verantwort­licher für den Völkermord an den Rohingya sei er als Staatschef internatio­nal nicht vermittelb­ar. Seither herrschte angeblich Funkstille zwischen den beiden Spitzenrep­räsentante­n.

Min Aung Hlaing stand zudem unter Zeitdruck. Im Juli 2021, mit seinem 65. Geburtstag, wäre laut Reglement sein Rücktritt von der Armeeführu­ng angestande­n. Als abschrecke­ndes Beispiel diente ihm der Abgang einiger Generäle, die neben ihrer Funktion auch einen Teil ihres angehäufte­n Reichtums verloren. Hlaing sah überdies Privilegie­n und Pfründe des Militärs in Gefahr, das über seine Firmen zentrale Wirtschaft­szweige in Burma kontrollie­rt.

China, das sowohl mit Hlaing als auch mit Suu Kyi das Einvernehm­en suchte, hält – auch im UNSicherhe­itsrat – die schützende Hand über das Regime. Peking investiert in großem Stil in Infrastruk­turprojekt­e im Land und sieht die Armee als Stabilität­sfaktor.

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[ AFP ] Anhänger Suu Kyis kopieren die Pose aus den „Tributen von Panem“.

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