Die Farbe Rot und drei Finger als Protestakt
Burma. Nach dem Putsch regt sich Widerstand. Das Gesundheitspersonal tritt zeitweise in den Streik. Die Anhänger Aung San Suu Kyis hoffen auf eine Welle des zivilen Ungehorsams, während das Militär die Anklage zusammenzimmert.
Wien/Naypyidaw. Die gestürzte Freiheitsikone ist im erzwungenen Hausarrest in ihrer Residenz in der Hauptstadt Naypyidaw zwar vorerst zum Schweigen verurteilt. Das Konterfei Aung San Suu Kyis, der von der Armee von der Macht geputschten De-facto-Regierungschefin, ist in Burma (Myanmar) weitgehend aus dem öffentlichen Leben verschwunden, nicht jedoch aus den vier Wänden der Burmesen. Die 75-Jährige, die den Militärs zwei Jahrzehnte getrotzt hat, genießt weiterhin hohes Ansehen im Volk. Viele tragen als Hommage an die „Lady“rote oder schwarze Schleifen – oder haben ihr Facebook-Profil der Tochter des „Vaters der Nation“, des Generals Aung San, gewidmet.
Ihr Aufruf zum zivilen Ungehorsam, den ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) in den ersten Stunden nach dem Putsch am Montag verbreitet hat, zeigt bereits erste Wirkung. In Rangun, der ehemaligen Hauptstadt, schlugen Anhänger nach Einbruch der Dunkelheit als Zeichen des Protests auf
Töpfe und Pfannen. Eine Kakofonie erfüllte die Nacht, in die sich ein Hupkonzert in den Straßen und das Glockengeklingel der Fahrräder mischte.
Vielleicht noch beunruhigender für die elfköpfige Militärjunta um Min Aung Hlaing war eine Protestaktion des Gesundheitspersonals in Dutzenden Städten. Selbst in Armeespitälern traten Ärzte und Krankenschwestern zeitweise in den Streik, und sie schworen, trotz der prekären Coronakrise im südostasiatischen Land ihren Kampf für die Demokratie fortzusetzen. Als Akt des Widerstands reckten sie drei Mittelfinger hoch, eine Pose aus der Filmserie „Die Tribute von Panem“. Die Armee habe ihre Interessen über die des Volks gestellt, hieß es in einer Erklärung der Bewegung für zivilen Ungehorsam, die das ganze Land erfassen soll.
Bizarre Vorwürfe
Die bizarren Vorwürfe, die die Militärs nach einer Razzia in den Büros der Regierungspartei erheben, werden die Kritik am Putsch jedenfalls weiter anfachen. Demnach habe sich Aung San Suu Kyi des unzulässigen Imports von Funkgeräten für ihre Leibwächter schuldig gemacht. Win Myint, der abgesetzte Präsident, habe wiederum im Wahlkampf gegen die Coronamaßnahmen verstoßen.
Nach dem Wahltriumph der NLD im November war der Machtkampf hinter den Kulissen zwischen Armeechef Hlaing und Suu Kyi eskaliert. Das Zerwürfnis reicht indessen länger zurück. Die Staatsrätin, die faktisch die Regierungsgeschäfte führte, soll laut Insiderberichten die Ambitionen des Generals auf das Präsidentenamt zurückgewiesen haben. Als Verantwortlicher für den Völkermord an den Rohingya sei er als Staatschef international nicht vermittelbar. Seither herrschte angeblich Funkstille zwischen den beiden Spitzenrepräsentanten.
Min Aung Hlaing stand zudem unter Zeitdruck. Im Juli 2021, mit seinem 65. Geburtstag, wäre laut Reglement sein Rücktritt von der Armeeführung angestanden. Als abschreckendes Beispiel diente ihm der Abgang einiger Generäle, die neben ihrer Funktion auch einen Teil ihres angehäuften Reichtums verloren. Hlaing sah überdies Privilegien und Pfründe des Militärs in Gefahr, das über seine Firmen zentrale Wirtschaftszweige in Burma kontrolliert.
China, das sowohl mit Hlaing als auch mit Suu Kyi das Einvernehmen suchte, hält – auch im UNSicherheitsrat – die schützende Hand über das Regime. Peking investiert in großem Stil in Infrastrukturprojekte im Land und sieht die Armee als Stabilitätsfaktor.